Erfahrungsbericht

Beratung schafft Zugänge zu Weiterbildung

Die sogenannten Geringqualifizierten stellen vor allem bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt eine problematische Gruppe dar. Gibt es dieses Phänomen auch im Ausland? Aus Italien schildern Peter Litturi, ehemaliger Mitarbeiter des Bereichs Italienische Berufsbildung, und Christian Tecini von der Koordinationsstelle Berufliche Weiterbildung ihre Erfahrungen. 

Bahngleise mit Weiche

Lernberatung ist wichtig bei der Neuorientierung. (Bild: pvdv63/pixabay.com, CC 0)

In Italien gibt es keine offizielle Definition für die Gruppe der Geringqualifizierten. Peter Litturi zählt vor allem Bildungsferne, die keine berufliche Qualifikation aufweisen bzw. eine solche nicht nachweisen können, dazu. Ein klassisches Zuordnungskriterium ist das Mismatch in Bezug auf die Arbeitsanforderungen, in fachlicher Hinsicht oder auch bezogen auf die Sprachkenntnisse.

Auch Christian Tecini findet den Begriff geringqualifiziert und seine Zuschreibungen problematisch. Verfügt jemand nur über den Pflichtschulabschluss, ist dies nicht ausreichend, um jemanden als geringqualifiziert einzustufen: Häufig kommt es auf andere individuelle Eigenschaften, auf Gesundheit und auf soziale bzw. arbeitsmarktspezifische Rahmenbedingungen an, ob eine solche Person sich erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt behaupten kann. Manche ältere Betriebsleiter im auf lokaler Ebene tätigen Handwerk weisen nur einen Pflichtschulabschluss auf.

Biografisch orientierte Beratung als Einstieg

Im Bereich der italienischen Berufsbildung existiert neben dem Dienst für die berufliche Weiterbildung eine Beratungsstelle für Integration, die vor allem mit der Zielgruppe der schwer vermittelbaren Personen arbeitet. Voraussetzung für die Definition der passenden Maßnahmen ist eine personenzentrierte Überprüfung der Voraussetzungen, die in Form einer Beratung stattfindet.

Von der methodischen Herangehensweise hat sich, gemessen am Vermittlungserfolg, folgendes Vorgehen als erfolgreich erwiesen:

  • biografisch orientierte Überprüfung der Wissensvoraussetzungen
  • auf die formale Ausbildung aufbauende Kompetenzvermittlung (z. B. ein Informatikkurs)
  • anschließendes Praktikum in einem realen betrieblichen Umfeld und
  • sukzessive Vermittlung an einen Arbeitsplatz.

Die Weiterbildungsbeteiligung geringqualifizierter Arbeitskräfte ist niedrig. Es fehlt vor allem an eigenen Weiterbildungsaktivitäten. Ziel der Beratung ist daher oft erst einmal die Erarbeitung eines Curriculums für Stellenbewerbungen. Im Beratungsprozess wird versucht, die volitionalen Ressourcen der Kunden und Kundinnen zu erschließen, damit die Arbeitstätigkeit nicht als Muss sondern als Chance empfunden und begriffen wird.

Wenn man auf die Qualifizierung Geringqualifizierter blickt, sind insbesondere individuelle biografische Elemente oft schwierig zu handhaben: Psychische Schwächen und persönliche Krisen bzw. allgemein der Mangel an persönlichen Ressourcen sind häufig Auslöser von Vermeidungspraktiken: Die Menschen scheuen sich davor, neue Situationen anzugehen, auch schon im Alter zwischen 40 und 50 Jahren. In der Grauzone zwischen niedriger Qualifizierung und Sozialfall erscheint dann selbst ein geringer Aufwand für die Qualifikationsaneignung als zu mühevoll. Nicht nur das Fehlen an Arbeitserfahrung stellt einen Mangel dar: Für eine erfolgreiche Arbeitssuche braucht es auch die Fähigkeit, eigene Kompetenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren. Soziale Kompetenzen entwickeln.

Wesentlich ist bei der Weitervermittlung von Geringqualifizierten heute die bestmögliche Nutzung von Schulwissen (auch wenn ein Oberschulabschluss nicht erzielt wurde), die Arbeitserfahrung und eine positive Arbeitseinstellung. Wer das mitbringt oder sich aneignet, hat auch mit einem Pflichtschulabschluss gute Beschäftigungschancen. Zunehmend wird auf dem Arbeitsmarkt auch ein Mindestmaß an Umgangsformen und an sozialer Kompetenz sowie an Kenntnis bzw. Anerkennung betriebsorganisatorischer Standards (Hierarchie, Respektierung von Arbeitszeit und Orientierung innerhalb der Organisationsstruktur, die sich auch sozialräumlich darstellt und entwickelt) als Mindestanforderung für eine Anstellung betrachtet. Auch dies sind Kompetenzen, die sich erlernen lassen.

Schwierige Berufswechsel

In den letzten Jahren wurde vor allem für Arbeitende aus aufgelassenen größeren Betrieben der Metallindustrie ein Umschulungslehrgang von etwa 1.000 Stunden organisiert, um diesen den Weg in den Beruf als Pflegehelfer und -helferinnen zu eröffnen. Beim ersten Treffen waren 100 Personen anwesend, beim zweiten 50. 20 haben sich schließlich entschieden, den Lehrgang zu absolvieren. Vor dem Start haben die Teilnehmenden einen Monat lang ein Praktikum als Pflegehelfer und -helferinnen absolviert. 12 davon sind nach Abschluss der Ausbildung effektiv in den Pflegeberuf übergewechselt, davon eine Frau.

Die besondere Herausforderung: Trotz guter Beschäftigungschancen ging es zunächst darum, Verständnis für ein ganz anderes Tätigkeitsfeld zu wecken, das zumal in der Wahrnehmung von Metallarbeitenden kein hohes Ansehen genoss. Vielfach ging die Enttäuschung über den Arbeitsplatzverlust mit Selbstentwertung einher. Die Betroffenen mussten ihr Selbstbild in Bezug auf das neue Berufsfeld aufarbeiten. Manche sind deshalb ausgestiegen, weil sie die neue Erfahrung nicht in ihren Lebensplan einbauen konnten.

Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilnahme an Weiterbildungskursen sind von Person zu Person ganz unterschiedlich. In der Regel werden die Voraussetzungen bereits in der Kursplanung berücksichtigt und die Lehrkräfte und Tutoren und Tutorinnen entsprechend den besonderen Anforderungen ausgewählt. Der biografische Ansatz der Überprüfung der Kompetenzen und der Lernvoraussetzungen ist mit dem Versuch verbunden, bei den Teilnehmenden einen individuellen Reflexionsprozess im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung und die Neuorientierung einzuleiten. Das ist ein schwieriges Unterfangen, da die Arbeitskräfte allgemein für die Deutungsfähigkeit der Erfahrungen, der Informationen und der Perspektiven ein hohes Maß an Reflexion aufbringen müssen.

 CC BY SA 3.0 by Dr. Karl Gudauner für wb-web


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