Erfahrungsbericht

„Pädagogische Doppeldecker“: flugunfähig, aber leistungsstark

Die Kursleiterausbildung „Alltagsmathematische Kompetenzen in Alltag und Beruf“ des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung SVEB stellt das Situative Problemlösen als zentrale Form der Unterstützung von geringqualifizierten Lernenden in den Mittelpunkt. Damit die auszubildenden Kursleiter selbst erfahren, welche lernförderliche Wirkung der doppelte Blick der Lehrenden auf den Stoff und auf die Bedarfe der Lernenden hat, ist der Kurs als „doppelter pädagogischer Doppeldecker“ organisiert: So erfahren die Teilnehmenden immer gleich aus der Perspektive der Lernenden, wie sich die vorgeschlagenen Konzepte praktisch auswirken.

Doppeldecker

Vier verschiedene Bedürfnisse der geringqualifizierten Kursteilnehmenden werden für den Kurs unterschieden:

  • Probleme situativ lösen: Die Kursteilnehmenden haben oft Schwierigkeiten mit einer ganz bestimmten Situation in ihrem Alltag – etwa damit, Reisezeiten so zu planen, dass sie rechtzeitig für ein Vorstellungsgespräch vor Ort sind. Sie benötigen in diesem Fall Unterstützung, all das gezielt zu integrieren, was man zur Bewältigung dieser Situation können und wissen muss.
  • Wissensbestände ordnen und integrieren: Die Kursteilnehmenden haben Mühe, ein Konzept zu verstehen, das ihnen immer wieder begegnet – beispielsweise „Prozente“. In diesem Fall geht es darum, sie dabei zu unterstützen, bereits vorhandene Wissensbestände zu einem kohärenten Ganzen zu integrieren.
  • Neue Handlungsstrategien erlernen: Im Rahmen des Situativen Problemlösens kann es sich zeigen, dass den Kursteilnehmenden eine bestimmte, in dieser Situation relevante Handlungsstrategie oder Fähigkeit fehlt – beispielsweise die Fähigkeit einen Fahrplan lesen zu können. Dann geht es darum, ihnen dafür ein geeignetes Verfahren zu vermitteln und dieses mit ihnen einzuüben.
  • Neue Handlungsstrategien einüben und dadurch automatisieren: In gewissen Situationen muss eine Handlungsstrategie oder ein Verfahren zwingend automatisiert und routiniert beherrscht werden. Ein Beispiel dafür ist bei Servicefachangestellten das schriftliche Addieren, wenn die Kunden an einem Tisch je separat bezahlen wollen und daher die von der Kasse gedruckte Rechnung nicht brauchbar ist. Die Kursteilnehmenden benötigen in diesem Fall viele Übungsgelegenheiten, bis sich die notwendige Routine einstellt.

Situatives Problemlösen in der Kursleiterausbildung

Die Teilnehmenden sind in der Kursleiterausbildung, weil sie „Schwierigkeiten“ haben mit der Situation „Alltagsmathematik unterrichten“. Die Kursleiterausbildung unterstützt sie dabei, all das, was sie zur Bewältigung dieser Situation können und wissen müssen, gezielt zu integrieren.

Die Kursleiterausbildung geht davon aus, dass sich die mathematischen Herausforderungen des privaten und beruflichen Alltags oft stark von den Aufgaben unterscheiden, wie sie typischerweise in der Schule bearbeitet werden. Ziel ist es deshalb, die Kursleitenden zu befähigen, direkt von den Anforderungen des (Berufs-)Alltags ihrer Kursteilnehmenden auszugehen und sie bei deren Bewältigung zu unterstützen. Ebenfalls gearbeitet wird an der typischen, oft falschen, Vorstellung der Teilnehmenden, alltagsmathematische Herausforderungen würden sich dadurch auszeichnen, dass es immer eine klare und eindeutige Lösung gibt.

„Doppeldecker“ als Grundstruktur

Die gesamte Kursleiterausbildung ist nach dem Muster Situatives Problemlösen unterstützen aufgebaut. Einzelne Einheiten zu verschiedenen didaktischen Arrangements sind wiederum als Doppeldecker aufgebaut. Geht es beispielsweise um die Frage, wie man sinnvoll das Erlernen neuer Handlungsstrategien unterstützen kann, bringt der Dozent den Lehrgangsteilnehmenden etwas Neues bei und anschließend werden die gemachten Erfahrungen gemeinsam reflektiert. Im Handbuch zur Kursleiterausbildung (Kaiser, Schwammberger, 2012) findet sich dazu etwa folgendes Beispiel:

„Kein Test ist unfehlbar. Setzt man Tests ein, um herauszufinden, welche Personen einen Kurs in Alltagsmathematik nötig hätten, werden immer auch einige der Getesteten den Test nicht bestehen, obwohl sie den Kurs gar nicht nötig haben. Wie viele das etwa sein werden, kann man mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung abschätzen. Versucht man aber dieses Vorgehen zu erklären, indem man eine kleine Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung macht, überfordert man die typischen Teilnehmenden an der Kursleiterausbildung gründlich. Mehr erreicht man, wenn man sorgfältig auf dem vorhandenen Vorwissen der Teilnehmenden aufbaut. Macht man dieses Vorwissen mit Hilfe eines „horizontalen Transfers“ für die Aufgabenstellung nutzbar, erleben meist alle Teilnehmenden überrascht, dass sie sehr wohl in der Lage sind, diese Frage zu behandeln.“

Doppeldecker dieser Art wirken sowohl auf die Kursteilnehmenden, welche Mathematik lieben, wie auch auf jene, welche davon überzeugt sind, dass Mathematik für sie immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben wird. Die erste Gruppe entdeckt dabei, dass sie beim Erlernen neuer Inhalte genau dieselben Schwierigkeiten haben wie alle anderen auch. Und die zweite Gruppe erfährt, dass Mathematik für sie gar nicht so unzugänglich ist.

CC BY-SA 3.0 by Hansruedi Kaiser und Martina Fleischli für wb-web

Literatur

Kaiser, H. (2009). Bausteine für ein Rahmenkonzept zur Förderung alltagsmathematischer Kompetenz. Zürich: SVEB.

Kaiser, H. & Schwammberger, M. (2012). Handbuch zur Ausbildung für Kursleitende in „Fördern alltagsmathematischer Kompetenzen“. Zürich: SVEB.


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