Erfahrungsbericht

„Lernbarrieren machen meine Arbeit spannend“

Die Kursleiterin Melanie Rudolph berichtet aus ihren Integrationskursen, wie sich Lernbarrieren zeigen und wie sie damit umgeht.

Melanie Rudolph

Melanie Rudolph berichtet über die Bedeutung von Lernbarrieren bei ihrer Arbeit. (Bild: Melanie Rudolph, CC BY-ND)

wb-web: Frau Rudolph, worum genau geht es in Ihren Kursen?

Melanie Rudolph: Ich unterrichte Deutsch als Zweitsprache in Integrationskursen, zum Teil mit Alphabetisierung und für Berufstätige, die mit der B1-Prüfung abschließen. In den Kursen für Berufstätige unterrichte ich häufiger Teilnehmer mit akademischem Abschluss. In den Alphabetisierungskursen gibt es Lernende ohne jegliche Schulerfahrung. Das bedeutet, dass die Lernvoraussetzungen in den verschiedenen Kursangeboten sehr unterschiedlich sind. Bei meinen Integrationskursen ist die Teilnahme formal verpflichtend. Viele meiner Teilnehmenden werden vom Jobcenter geschickt oder aber ihr Arbeitgeber hat ihnen nahegelegt, einen solchen Kurs zu besuchen.

wb-web: Sind Sie im Rahmen Ihrer Kurse auf Lernbarrieren bei den Lernenden gestoßen und wenn ja, wie sind Sie darauf aufmerksam geworden? Können Sie ein Beispiel aus der Praxis nennen?

Melanie Rudolph: Während meiner Arbeit als Lehrende stoße ich häufig auf Lernbarrieren. Das kann sich ganz unterschiedlich äußern. Beispielsweise durch schnelles Ermüden oder schnelles Abgelenktsein. Dadurch können die Teilnehmenden sich nicht auf die Unterrichtsgespräche konzentrieren. Dann kommt es vor, dass eine gewisse Unlust herrscht, die Lernenden benötigen viel Zeit, um eine Aufgabe in Angriff zu nehmen, oder notwendige Materialien sind nicht vorhanden, wurden also zu Hause vergessen. Ebenso kann Unpünktlichkeit oder häufiges Fehlen ein Indiz für Barrieren beim Lernen sein. Diese Liste könnte man unbegrenzt fortführen.

wb-web: Äußern sich die Kursteilnehmenden über ihre Lernbarrieren oder sind Sie diejenige, die diese als erste erkennt und anspricht?

Melanie Rudolph: Ich würde behaupten, dass das davon abhängig ist, wie das Vertrauensverhältnis innerhalb der Gruppe und zu mir als Lehrende ist. Zu Beginn eines Kurses äußern sich die Teilnehmenden diesbezüglich in der Regel nicht von selbst. In diesem Fall suche ich dann das Einzelgespräch. Trotzdem betone ich immer wieder im Unterrichtsverlauf, wie wichtig es ist, dass die Lernenden meine Hilfe einfordern und sich selbstständig an mich wenden. Wenn der Deutschkurs schon einige Zeit läuft, thematisiere ich Möglichkeiten zu lernen. Dann sprechen wir über Lernstrategien und Arbeitsformen und ich bekomme einen Überblick über die Problematiken.

wb-web: Wie genau gehen Sie vor, wenn feststeht, dass Lernwiderstände bestehen?

Melanie Rudolph: In einem Beratungsgespräch befinde ich mich mit dem Teilnehmer oder der Teilnehmerin auf einer persönlichen Ebene. Wenn private Probleme Auslöser für Lernblockaden sind, suchen wir gemeinsam Lösungen. Im Extremfall kann es passieren, dass ich Lernende nach Hause schicke, wenn ich merke, dass der Unterricht an diesem Tag einfach keinen Sinn für sie macht. In den meisten Situationen passe ich meinen Unterricht an. Dann gebe ich Stützen und wiederhole nicht Verstandenes mit anderen Methoden, bis die Unsicherheiten weitgehend aufgehoben sind.

wb-web: Was lösen Lernbarrieren der Lernenden bei Ihnen persönlich aus?

Melanie Rudolph: Ich finde diese Situationen sehr spannend, weil jeder Erwachsene mit seiner eigenen Geschichte zu mir kommt, mit seinen ganz individuellen Stärken und Problemen. Ich unterrichte nicht nur wegen der Lerninhalte, sondern vielmehr wegen der Menschen, auf die ich treffe. Wenn mir dann die jeweiligen Probleme anvertraut werden und ich gemeinsam mit meinen Lernenden Antworten finden kann und ggf. die passenden Lösungen, bereichert das meine Arbeit sehr.

wb-web: Welche Grenzen gibt es für Sie als Lehrende im Umgang mit Lernbarrieren Ihrer Lernenden?

Melanie Rudolph: Manchmal gibt es Fälle bzw. Situationen, die ich als Kursleiterin einfach akzeptieren muss. Dass ein Kurs wirklich abgebrochen werden muss, ist ein absoluter Einzelfall. Wenn es zu einer Unterbrechung des Kurses kommt, muss ich mich damit arrangieren, weil es immer wieder Teilnehmende gibt, die sich entziehen oder Vermeidungsstrategien einsetzen. Da gelingt es mir als Lehrender manchmal nicht, einen Zugang zu den Lernenden zu finden oder diese zu motivieren. Ich muss dann leider Abstriche machen, bin dann aber gleichzeitig im Konflikt mit mir selbst, weil dieses Szenario eigentlich so nicht sein darf, es aber einfach passiert.

Melanie Rudolph ist Grundschullehrerin. Seit 2008 arbeitet sie als freiberufliche Dozentin für Deutsch als Zweitsprache und für Alphabetisierung. Sie ist Prüferin für das Sprachzertifikat B1, Trainerin in der Arbeitsorientierten Grundbildung (AoG) und Gründungsmitglied des AoG-Netz-NRW (www.aog-nrw.de). Seit 2015 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im bbb Büro für berufliche Bildungsplanung zuständig für die Entwicklung nachhaltiger Strukturen für Arbeitsorientierte Grundbildung in NRW (www.gruwe-nrw.de).

CC BY-SA 3.0 DE  by Ellen Schmidt für wb-web


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