Lars Kilian Blog

Darf es ein bisschen mehr Erwachsenenbildung sein?

Titelbild Nationale Weiterbildungsstrategie

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Die im Juni 2019 veröffentlichte Nationale Weiterbildungsstrategie akzentuiert die berufliche Weiterbildung. Die allgemeine Erwachsenenbildung findet hingegen fast keine explizite Beachtung. Der vorliegende Beitrag beleuchtet ausgewählte Bereiche dieses Strategiepapiers vor dem Hintergrund der damit verbundenen Herausforderungen für Lernende und berufliche Weiterbildung. Es wird der Versuch unternommen, Anschlussmöglichkeiten und Synergien zur allgemeinen Erwachsenenbildung herzustellen, um die Potentiale dieser Strategie auszuschöpfen.

Am 12. Juni 2019 wurde die Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) veröffentlicht. Bund, Länder, Wirtschaft und Sozialpartner haben ein Papier erstellt, dass in einem Zehn-Punkte-Programm Handlungsziele definiert, die helfen sollen, den digitalen Wandel durch berufliche Weiterbildung zu meistern. Gefordert wird eine „neue Weiterbildungskultur in Deutschland, die Weiterbildung als selbstverständlichen Teil des Lebens versteht“ (S. 2). Profitieren sollen insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Niedrigqualifizierte und Zugewanderte mit für den Arbeitsmarkt zu geringem Sprachniveau. Auch die Frage, wohin und wie qualifiziert werden soll, steht zur Debatte. Doch für eine Nationale Weiterbildungsstrategie wäre die Einbindung weiterer Akteure der Erwachsenen- und Weiterbildung zu bedenken.

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Digitalisierung als Weiterbildungsgrund und Teil der Lösung

Die Digitalisierung bringt nicht nur die Notwendigkeit der (beruflichen) Weiterbildung mit sich, sondern sie ist laut dem Papier auch ein Teil der Lösung. So sieht die NWS aufgrund der Digitalisierung „Möglichkeiten, Weiterbildung so zu gestalten, das sie noch bedarfsgerechter erfolgt und individueller ausgestaltet wird“ (S. 3). Zugleich sollen nach dem Strategiepapier „Menschen Weiterbildungschancen nicht erst dann nutzen (…), wenn konkrete oder drohende Arbeitslosigkeit vorliegt, sondern dass sie frühzeitig und präventiv aktiv werden können.“ (S. 5).

Bereits hier wird deutlich, dass lebenslanges Lernen vor dem Hintergrund des digitalen Wandels unabdingbar ist. Dies ist nicht alleinige Aufgabe beruflicher Weiterbildung und kann es auch nicht sein. Vielmehr können hier die Einrichtungen der Erwachsenenbildung flankierende und unterstützende Angebote für all diejenigen bereithalten, die nicht im Erwerbsleben stehen. Neben Personen im Ruhestand gilt dies insbesondere auch für diejenigen, die eine Auszeit vom Erwerbsleben genommen haben (z.B. Elternzeit, Sabbatical). Oder für Personen, die sich beruflich neu orientieren möchten, aber durch betriebliche Weiterbildungsangebote für die geänderten Anforderungen an ihrem aktuellen Arbeitsplatz qualifiziert werden.

Herausforderungen für die Lernenden

Zugleich fordert das Strategiepapier eine neue Weiterbildungskultur, „die die selbstbestimmte Gestaltung individueller Bildungs- und Erwerbsbiografien und die gestiegene Verantwortung der Weiterbil­dungsakteure unterstreicht“ (S. 5).  Dies birgt Herausforderungen für Lernende auf unterschiedlichen Ebenen, wovon nur einige hier beleuchtet werden.

So gilt es beispielsweise, mit den Arbeitgebern ggf. Lernzeiten und Rahmenbedingungen zu vereinbaren. Sie sind notwendig, um Lernen und Berufstätigkeit in Einklang zu bringen.

Ebenso benötigen Lernende notwendige Selbstlernkompetenzen, die ihnen ein erfolgreiches Lernen ermöglichen. Gerade bei den in der NWS anvisierten Gruppe der Niedrigqualifizierten ist hier Unterstützungsbedarf zu vermuten. Bildungs- und Lernberatung, ein zentrales Ziel der Strategie, ist ein hilfreiches Mittel der Unterstützung. Forschung und erprobte Praxis der Erwachsenenbildung bieten zahlreiche Aspekte, die aufgegriffen werden können, um Bildungschancen und -gerechtigkeit herzustellen.

Diese Herausforderungen steigern sich nochmals für Menschen, die mit Lernbarrieren zu ringen haben. Und sie verschärfen sich, wenn das Lernen in digitale Räume verlagert wird, die ein höheres Maß an Selbstorganisation und Selbststeuerung mit sich bringen, neue und unbekannte Formate der Kommunikation und Kooperation beinhalten. Das Bekanntmachen und Einüben entsprechender Arbeitsweisen für Personen, die wenig Erfahrungen mit digitalen Lernangeboten haben, wäre ein weiteres Feld, das jenseits der beruflichen Weiterbildung, von der Erwachsenenbildung zu bearbeiten wäre.

Nicht zuletzt bietet Digitalisierung zwar die Möglichkeit des entgrenzten Lernens, aber zugleich die Unsicherheit bei der Auswahl geeigneter Bildungsangebote und Anbieter. Nutzerbasierte Bewertungssysteme, wie die NWS sie vorschlägt, können bei der Auswahl helfen, müssen es aber nicht, wie man es bei vergleichbaren Bewertungssystemen im Internet sieht. Qualität ist ein vieldimensionales Konstrukt und sie wird individuell unterschiedlich gewichtet. Oder anders formuliert: Wann wäre für Sie ein Bildungsangebot qualitativ wertvoll und glauben Sie, dass Ihre Kriterien für alle Personen die gleiche Gültigkeit besitzen? Vertrauen in Weiterbildungsangebote kann durch die Einbindung und Vernetzung etablierter Anbieter gestärkt werden. Zugleich sind diese durch ihre regionale Einbettung in der Lage, auf die Bedarfe vor Ort mit entsprechenden Angeboten zu reagieren.

Aspekte der beruflichen Weiterbildung

Unbestritten, der digitale Wandel macht eine berufliche Weiterbildung notwendig, da er eine massive Veränderung von Berufsbildern, der Qualifikationsprofile und Arbeitswelten mit sich bringt, wie im NWS (S. 2) beschrieben wird. Unklar ist, wie dieser Wandel konkret aussehen wird und sicher wird dieser nicht für jedes Berufsbild gleich sein. Dies bestätigt auch der NWS und stellt die Frage, „wohin und wie qualifiziert werden soll“ (S. 3). Gelöst werden soll diese mit Hilfe der Betriebsparteien, die „über umfassende Expertise zur frühzeitigen Erkennung von Qualifikationsbedarfen in den jeweiligen Branchen“ (S. 13) verfügen, die die Auswirkungen der Transformation systematisch erfassen. Dies klingt optimistisch. Jedoch bringt die Digitalisierung oft unvorhersagbare Herausforderungen, die selbst die professionelle Personalentwicklung auf die Probe stellt. Verwiesen sei z.B. auf Kryptowährungen, auf Plattformen, die private Unterkünfte vermitteln, oder Apps, die Fahrer und Mitfahrer verbinden als Herausforderung für das Finanz-, Hotel- oder Transportwesen. Das Wissen darüber, welche (zukünftig notwendigen) Kompetenzen die Lernenden erwerben müssen, ist oft gering. Eine Einbindung weiterer Bildungsinstitutionen, die schnell und unabhängig auf entsprechende Bedarfe mit entsprechenden Angeboten reagiert, könnte ein weiterer Ansatz sein, um Qualifikationsbedarfe zu befriedigen.

Bedarf besteht lt. NWS vor allem an sogenannten digitalen Kompetenzen (S. 21), die die Strategie zu den Grundkompetenzen zählt (S. 10) und in der die Erwachsenenbildung entsprechende Expertise vorweisen kann. Sie ist hinsichtlich der Entwicklung von Medienkompetenzen in verschiedenen fachlichen Zusammenhängen und mit unterschiedlichen Zielgruppen aktiv. Sie hat Erfahrungen in der Gestaltung von Lehr-Lern-Formaten und besitzt die nötigen „analogen“ Rahmenbedingungen (Lehrpersonal, Räumlichkeiten, Reichweite etc.), die eine umfassende und kontinuierliche Bildungsarbeit für alle Bürger/innen ermöglicht. Eine Stärkung der „digitalen“ Infrastruktur wäre sicher bei einigen Anbietern nötig. Hierzu kann eine Nationale Weiterbildungsstrategie entsprechende Grundsteine legen.

Ebenso verweist die NWS auf den Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung, der im weiten Sinne zur beruflichen Weiterbildung gezählt wird (NWS, S. 5). Die Erfahrungen der Träger der allgemeinen Erwachsenenbildung finden auch hier (fast) keine explizite Erwähnung. Statt dessen wird u.a. die Entwicklung arbeitsplatzbezogener Angebote in der Grundbildung mit der Wirtschaft angeregt (NWS, S. 10). Eine „Hintertür“ für die Träger der Erwachsenenbildung findet sich möglicherweise in Formulierungen, wie der, dass die Länder anstreben, entsprechende Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen fortzuführen und bedarfsgerecht auszubauen (NWS, S. 20). Gerade die Volkshochschulen können im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung auf Erfolge bzgl. der Gestaltung von Lernangeboten und der Ansprache von Teilnehmenden vorweisen. Der alphamonitor-Anbieterbefragung (2017, http://www.die-bonn.de/id/35638) zufolge gab es bei den befragten Erwachsenenbildungseinrichtungen bspw. im Zeitraum 2014-2016 einen Zuwachs von 449% bei den Alphabetisierungsveranstaltungen und einen Zuwachs von 707% bei den Teilnehmenden (S. 14). Hinsichtlich der Grundbildungen konnten sie einen Zuwachs von 215% bei den Teilnehmenden und +147% in den Veranstaltungen verzeichnen.

Fazit

Die Nationale Weiterbildungsstrategie fokussiert sich auf die berufliche Weiterbildung und hätte diesen Verweis der Klarheit halber in den Titel aufnehmen sollen. Doch eventuell hätte es dann den Ruf nach einer zusätzlichen Nationalen Erwachsenenbildungsstrategie gegeben. Versteht sie sich als übergreifende Nationale Weiterbildungsstrategie, sollte sie alle potenziellen Lernenden sowie Bildungsinstitutionen aus der gesamten Breite der Erwachsenen- und Weiterbildung in den Blick nehmen und einbinden.

Auch die Fokussierung auf die berufliche Verwertbarkeit ist für eine NWS zu hinterfragen. Insbesondere vor dem selbst formulierten Anspruch, mit dieser Strategie eine Investition in gesellschaftliche Teilhabe und Chancengerechtigkeit verfolgt (S. 2). Es entsteht der Anschein, dass viele Bevölkerungsgruppen in dieser Strategie wenig Beachtung finden. Wird ihnen zukünftig die gesellschaftliche Teilhabe erschwert, wenn sie nicht auf digitale Informations- und Lernplattformen zugreifen können (fehlende Netzanbindung) oder wollen (Datenschutz)? Eine Nationale Weiterbildungsstrategie sollte darauf achten, alle Bildungsinteressierten mitzudenken. Wie soll gesellschaftliche Teilhabe gelingen, wenn nur berufliche Qualifizierung fokussiert wird, aber ein Teil der Bevölkerung neue Begrifflichkeiten und dahinterstehende Konzepte oder neue Formen der Organisation des Miteinanders durch Digitalisierung nicht versteht? Mit Blick auf den demografischen Wandel sind hiervon sicher nicht wenige betroffen.

Akteure der Erwachsenenbildung finden in der NWS höchstens implizit Berücksichtigung – von einer (!) Erwähnung des Deutschen Volkshochschulverbandes abgesehen. Die zukünftige Einbindung dieser Akteure, z.B. bei der Einrichtung der sogenannten Themenlabore, wäre eine gute Möglichkeit, die Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln. So würde die NWS Teilhabe und Chancengleichheit stärken sowie Lernen als einen lebenslangen Prozess inner- und außerhalb der Arbeit verstehen. Dies böte Möglichkeiten, mit größerer Kraft die digitale Transformation anzugehen, kontinuierlich zu begleiten und alle Facetten dieses Mammutprojekts auszuleuchten.

Quellen

CC BY SA 3.0 DE by Lars Kilian für wb-web

 


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