Susanne Witt
Forschung quergelesen
LEO PIAAC 2023 – Level One im deutschsprachigen Raum

Cover nicht unter freier Lizenz
Literalität ist die Basis für die Teilhabe am Arbeitsmarkt, in der Lebenswelt und die Grundlage für Demokratie. Die LEO-Studie 2018 zeigt, dass „geringe Literalität kritisches Hinterfragen erschwert und Betroffene anfällig für Werbung und Falschmeldungen macht“ (vgl. Grotlüschen et al. 2021, S. 18). Auch PIAAC 2023 weist nach, dass gering Literalisierte gezielt von populistischen Akteuren angesprochen werden. Ein weiteres Ergebnis von PIAAC 2023 ist, dass „Integration funktioniert, aber schneller gehen könnte“ (vgl. OECD 2024, S. 86). LEO PIAAC 2023 bildet beide Entwicklungen ab, auch mit Blick auf die gesellschaftlich zu überwindenden Krisen wie z.B. die Pandemie oder den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.
Die LEO-Studie und das „Programme for the International Assessment of Adult Competencies” (PIAAC) erfassen die Literalität bei Erwachsenen. In der Publikation wurden beide Erhebungen von einer Forschergruppe der Universität Hamburg zusammengeführt und analysiert. Die so erhobenen Zeitreihen zeigen Entwicklungen im deutschsprachigen Raum sowie in Frankreich und den USA auf.
Über LEO PIAAC 2023

Abb. 1: Datenerhebungen und Ergebnisse der LEO-Studien und PIAAC-Studien (Grotlüschen et al. 2025, S. 9)
In der Publikation „LEO PIAAC 2023 – Level One im deutschsprachigen Raum“ werden die LEO-Daten analog zu den Ergebnissen der PIAAC-Studie 2023 zur Kompetenzstufe 1 (Level One) und darunter untersucht.
Die LEO-Definition für Geringqualifizierung (Alpha Level 1 bis 3) bezieht sich auf Erwachsene, die zwar einzelne Buchstaben und Sätze lesen oder schreiben können, aber nicht in der Lage sind, jedochTexte weder sinnproduzierend schreiben noch sinnentnehmend lesen können (vgl. Grotlüschen et al., 2019). Die PIAAC 2023 Definition von Geringqualifizierung (Level One und darunter) bezieht sich auf Erwachsene, die „Sätze verstehen, kurze, einfache Absätze lesen und einzelne Wörter oder Zahlen in sehr kurzen Texten finden, um einfache und eindeutige Fragen zu beantworten” (OECD 2024).
Nach den Kriterien der LEO 2018 galten 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland als gering literalisiert. PIAAC weist im Jahr 2023 dagegen 10,6 Millionen Erwachsene in Deutschland als gering literalisiert (Level One und darunter) aus.
Beide Studien sind zwar vergleichbar, allerdings wird der Fragenkatalog von PIAAC als schwerer zu beantworten gewertet. So genügen zur Erreichung eines Levels bei LEO 62 Prozent der Aufgaben zu lösen, bei PIAAC 67 Prozent.
Bei LEO PIAAC 2023 werden die Daten in verschiedenen Kategorien wie z.B. Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund oder politische Selbstwirksamkeit analysiert und mit vergleichbaren Daten aus dem deutschsprachigen Ausland verglichen.
Auswahl zentraler Ergebnisse von LEO PIAAC 2023
Die geringe Literalität stagniert in Deutschland bei 20 Prozent (2012: 18 Prozent), in Österreich sind es 27 Prozent (2012: 16 Prozent), in der Schweiz 20 Prozent.
Die Beteiligung am Arbeitsmarkt gering literalisierter Erwachsener stagniert in Deutschland bei 63 bzw. 60 Prozent. In Österreich liegt der Wert bei 62 bzw. 60 Prozent, in der Schweiz bei 74 Prozent. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die veränderten Fragen deren Beantwortung erschwerten. Daher ist die Stagnation eher positiv zu bewerten. Gleiches gilt für die Weiterbildungsquoten im Level One (25 Prozent in Deutschland 2023). Dabei gelingt es einem Teil der gering literalisierten Berufstätigen „trotz gedrosselter Arbeitsmarktdynamik über Einfachtätigten hinaus zu gelangen“ (Grotlüschen et al. 2025, S. 27).
Integrative Bildungsmaßnahmen gewinnen an Bedeutung, weil der Anteil im Ausland Geborener mit ausländischen Eltern innerhalb des Level One in Deutschland in den etwa zehn Jahren von 28 auf 46 Prozent angestiegen ist. Vergleichbar ist der Anstieg in Österreich von 33 auf 44 Prozent, in der Schweiz liegt der Anteil bei 56 Prozent. „Ein integrativer Ansatz kann durch Grundbildung der aktuell zugewanderten Erwachsenen zur schnelleren Beschäftigung und Eingliederung beitragen, anstatt auf den Erfolg der nächsten Generation zu warten“ (Grotlüschen et al. 2024, S. 37).
Von geringer Literalisierung Betroffene sind zunehmend Ältere im Alter von 55 bis 65 Jahren, von denen 33 Prozent dem Level One und darunter zugeordnet werden. Im Vergleich zur Erhebung aus dem Jahr 2012 ist ihr Anteil signifikant um vier Prozent gestiegen. Die Jüngeren profitieren dagegen von längeren Bildungszeiten.
Auch wenn das Verhältnis unter den Geschlechtern relativ ausgeglichen ist (Level One: 54 Prozent Männer), so zeichnet sich bei den Männern ein Zuwachs von sechs Prozent in Level One ab.
Beim Thema „Gesundheit“ zeigt sich eine starke Abnahme des Gesundheitsempfindens in Deutschland bei gering literalisierten Personen. Von 77 Prozent bei der Erhebung im Jahr 2012 sank der Zustimmungswert zu einem positiven Gesundheitsempfinden auf 58 Prozent.

Abb. 2: Zustimmung politisches Institutionenvertrauen (Grotlüschen et al. 2025, S. 34)
Der Aussage politischer Selbstwirksamkeit können nur 17 Prozent der gering literalisierten Erwachsenen in Deutschland zustimmen (höher Literalisierte: 33 Prozent Prozent). Hier sticht der Wert der Schweiz mit einer Zustimmung von 64 Prozent im internationalen Vergleich heraus. Der Wert zur politischen Selbstwirksamkeit weist auf ein erhöhtes Misstrauen in politische Institutionen bei Erwachsenen in der Kategorie Level One und darunter hin. Allerdings zeigen die Befunde PIAAC 2023, dass “die Kompetenzen nicht mehr uneingeschränkt positiv mit dem Vertrauen in die jeweilige Regierung bzw. das politische Institutionensystem des Landes korrelieren“ (vgl. Grotlüschen et al. 2025, S. 34).
Fazit
LEO PIAAC 2023 bietet einen deskriptiven Überblick über den Stand gering literalisierter Menschen im deutschsprachigen Raum. Es bleiben viele Fragen offen, wie die aufgelisteten Forschungsbedarfe im Kapitel 17 zeigen. Bildungspolitik, -verwaltung und Weiterbildungsanbieter sind aufgefordert, aktiv zu werden. Die schnellere Integration Zugewanderter in den Arbeitsmarkt, aber auch in die Gesellschaft bzw. Lebenswelt bleiben wichtige Zukunftsaufgaben. Zum Schutz der Demokratie sollten Bildungsangebote dahingehend Teilnehmende unterstützen, Informationen kritisch zu hinterfragen und zu beurteilen. Das Vertrauen in das politische Institutionensystem zu fördern, ist ein weiteres Ziel. Hier stellt sich die Frage: Was macht die Schweiz anders? Und wie können wir davon lernen?
„LEO PIAAC 2023 – Level One im deutschsprachigen Raum“ von Susanne Witt für wb-web (2025), CC BY-SA 4.0
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