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"Wir brauchen eine pädagogische Bauleitung"

gezeichneter Bauplan, Stift

Architektur für Bildung sollte bestimmte Voraussetzungen erfüllen. (Bild: Die Arbeit ruft, Tekke/flickr.com, CC BY-ND)

Wie entwickelt sich die Architektur für Erwachsenenbildung? Richard Stang, Professor für Medienwissenschaft an der Hochschule für Medien in Stuttgart mit dem Forschungsschwerpunkt "Lernwelten", berät seit vielen Jahren Bibliotheken und Einrichtungen für Erwachsenen- und Weiterbildung, wenn es um Raumplanung geht. Über das Verhältnis zwischen Architektur und Erwachsenenbildung sprach mit ihm Thomas Vollmer.
 

DIE Zeitschrift: Lieber Herr Stang, das Thema "Architektur und Bildung" beschäftigt Sie schon seit langer Zeit. Bereits 1999 haben Sie an einer Heftausgabe der DIE Zeitschrift mit dem Titel "Lernarchitekturen" mitgearbeitet. Welches ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Entwicklung der letzten 13 Jahre?

Stang: Heutzutage wird Bildung immer häufiger außerhalb der "klassischen" Bildungsinstitutionen generiert. So sind z.B. Bibliotheken längst nicht mehr nur bloße "Büchersammlungen", vielmehr haben sie sich zu modernen Lernorten weiterentwickelt. Organisatorisch werden Bibliotheken und Volkshochschulen mittlerweile häufig unter einem Dach zusammengeführt. Man spricht dann vom "One-stop-shop", d.h., Bürger kommen in eine Einrichtung, in der sie alle Bildungsdienstleistungen gebündelt vorfinden. Dabei ist das individuelle Lernen in der Bibliothek viel flexibler als in der Volkshochschule, in der ich mich in der Regel erst einmal für einen Kurs anmelden muss und dazu feste Zeiten habe. In diesem Zusammenhang ist natürlich die Frage spannend, welche architektonischen Innovationen man benötigt, um den veränderten Bedürfnissen gerecht zu werden.

DIE Zeitschrift: Daniela Rätzel hat in ihrer Dissertation den Zusammenprall zwischen den Mentalitäten von Architekten und Erwachsenenbildnern pointiert wie folgt auf den Punkt gebracht: "Architekten wollen immer nur schön bauen" und "Pädagogen haben zu allem eine Meinung. Die sind auch gute Zahnärzte" (Rätzel, D. (2006): Erwachsenenbildung und Architektur im Dialog. Ein Beitrag zur dialogorientierten Konzeption von Räumen in der Erwachsenenbildung. Hamburg, S. 347). Wie kann man aus Ihrer Sicht zu einem Dialog kommen?

Stang: In der Tat habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass Architekten "für die Galerie produzieren". Doch  das ist nicht unbedingt nur die Schuld des Architekten. Erwachsenenbildner*innen nehmen sich in Planungsprozessen zu oft stark zurück bzw. werden manchmal nur unzureichend in die Planung einbezogen. Zudem orientiert man sich oft am traditionellen Schulbau, was für Einrichtungen der Erwachsenenbildung nicht zuträglich ist. Erwachsenenbildner*innen müssen eine klare Vorstellung entwickeln, was in den Räumen ihrer Einrichtung passieren soll: Welche methodischen Settings kommen zum Einsatz? Welche inhaltlichen Schwerpunkte sollen vermittelt werden? Und diese Vorstellungen müssen mit dem Architekten besprochen werden, damit ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann.

DIE Zeitschrift: Angenommen nun, wir stehen vor einer Bildungsbausünde: Wer trägt dann die Schuld? Die Erwachsenenbildner – oder der Architekt?

Stang: Dafür wären alle Beteiligten verantwortlich. Manchmal handelt es sich natürlich um Faktoren, die Erwachsenenbildner gar nicht im Blick haben können, z.B. wenn Wandisolierung oder Akustik nicht optimal sind. Jedoch stehen Erwachsenenbildner*innen in der Verantwortung, während des gesamten Planungs- und Bauprozesses immer wieder nachzufragen und gegebenenfalls zu intervenieren. Dazu sind jedoch die wenigsten Erwachsenenbildner*innen in der Lage. Wichtig ist immer, dass man keine Rechte an den Architekten abtritt: Z.B. lassen sich Architekten manchmal in ihre Verträge schreiben, dass ihnen allein die Entscheidung über Änderungen von Einzelheiten zufällt. Aber der Teufel steckt oft in diesen Details: Wenn ich als Erwachsenenbildner überhaupt nichts mehr am Raum verändern kann, dann wird flexibles und individuelles Lernen oft unmöglich.

DIE Zeitschrift: Das Thema Bildungsbau scheint  so viele Facetten zu umfassen, dass eigentlich weder Architekten noch Erwachsenenbildner*innen alle Feinheiten im Blick haben können. Bedarf es in Zukunft einer neuen Form des Expertenwissens für den Neu- oder Umbau von Bildungseinrichtungen?

Stang: Ich halte das für dringend geboten. Viele Aspekte werden erst erkannt, wenn es zu spät ist. Im Ausland ist es z.B. so, dass Architekten eng mit den Nutzern und den Menschen aus den Einrichtungen zusammenarbeiten. In Deutschland ist das eine Leerstelle, die meiner Ansicht nach in Zukunft gestaltet werden muss. Ich merke, dass bei mir an der Hochschule der Forschungsschwerpunkt "Lernwelten" stark nachgefragt wird. Dies hat jedoch kaum  eine Entsprechung an anderen Hochschulen. Es gibt nur wenige Kolleg*innen, mit denen man sich qualifiziert austauschen kann. 
Beim konkreten Bauvorhaben wäre eine Art "pädagogischer Bauleiter" hilfreich, also jemand, der den Bau von der Planung bis zur Fertigstellung begleitet und den Entscheidungsträgern Hilfestellung anbietet. Zwischen Einrichtungsleitung und Architekt steht ja oft noch das Bauamt. In Bauämtern arbeiten Architekten, die die Sprache der Architekten verstehen, aber nicht unbedingt die Sprache der Erwachsenenbildner. Deshalb denke ich, dass Weiterbildungseinrichtungen gut beraten sind, sich qualifizierte Kompetenz von außen zu holen. Es hat z. B. bei einem millionenschweren Bauvolumen durchaus Sinn, 10.000 bis 20.000 Euro für so eine Begleitung zu investieren, damit Fehler vermieden werden können.

DIE Zeitschrift: Ein fünfstelliger Betrag für eine "pädagogische Bauleitung" und Bauvolumina im Millionenbereich! Sprechen wir dann nicht über eine Art "Edelthema", welches nur für wenige, finanzkräftige Einrichtungen relevant ist?

Stang: Sicher nicht. Eine Begleitung von Neubauten hängt natürlich immer vom gesamten Aufwand und dem Umfang der Baumaßnahme ab. Ich denke, dass man mit kleinen Veränderungen große architektonische Impulse setzen kann. Es können auch kleinere Akzente wie die Veränderung von Raumfarben, neue Möbelarrangements, Lichteinfall oder – im Falle eines Umbaus – der Durchbruch einer Mauer oder die Veränderung des Eingangsbereichs sein. Häufig sind es einfache Ideen, die den Unterschied machen. Oft wird zu wenig Wert auf die Lernatmosphäre gelegt. Jedoch konturieren Licht, Farben und Materialien den  Raum in entscheidender Weise. Häufig wählt man die Materialien einfach nach dem Gesichtspunkt aus, ob man sie gut pflegen kann. Das überzeugt dann nicht immer.

Ästhetik ist Wertschätzung gegenüber den Kursteilnehmenden

DIE Zeitschrift: Inwiefern ist es für Weiterbildungseinrichtungen eigentlich ratsam, sich am Schulbau zu orientieren? Lernen Erwachsene nicht doch anders als Schüler*innen? Und müsste dies nicht auch seinen architektonischen Niederschlag finden?

Stang: Im Gegensatz zur Schule ist Erwachsenenbildung grundsätzlich freiwillig. Man muss die Leute stärker in die Räume hineinbringen. Das schafft man über ein attraktives inhaltliches Angebot – aber die Räume müssen ansprechend gestaltet sein. Die Ästhetik spielt eine immer größere Rolle und ist natürlich auch ein Ausdruck von Wertschätzung gegenüber den Teilnehmenden. Und es kommen ganz praktische Gesichtspunkte hinzu. Früher war es nicht selten üblich, dass Weiterbildungskurse in Schulgebäuden, z. T. sogar in Grundschulgebäuden stattgefunden haben – da hatten die Erwachsenen dann schon Probleme, sich auf Sitzhöhe der Stühle einzustellen. Heute kann es sich keine Weiterbildungseinrichtung erlauben, so ein Angebot zu generieren. Wert und Qualität der Räume müssen adressatengerecht sein. Zudem findet Erwachsenenbildung nicht in festen Klassenverbänden statt und ist deshalb individueller. Ebenfalls muss man berücksichtigen, dass sich erwachsene Kursteilnehmende im Normalfall immer nur eineinhalb bis zwei Stunden in der Einrichtung aufhalten, was anders ist als in der Schule.

DIE Zeitschrift: Sicher will nicht jeder Erwachsene, der an einem Kurs teilnimmt, an seine Schulzeit erinnert werden. Ergeben sich daraus nicht andere Ansprüche an die Architektur des Bildungsortes, damit Menschen nicht abgeschreckt werden und dadurch dann schlimmstenfalls sozusagen "architektonische Bildungsbarrieren" aufgebaut werden?

Stang: Das ist sicher so. Wobei man bedauerlicherweise festhalten muss, dass für Kinder oft viel kreativer gestaltet wird als für Erwachsene. Man hat manchmal den Eindruck, dass ab einem gewissen Alter eine kreative Ästhetik gar keine Rolle mehr spielt. Für Kinder ist es immer schön bunt  und interessant gestaltet, während es für die Älteren immer eintöniger wird. Darin liegt die große Herausforderung der Zukunft, nämlich Einrichtungen der Erwachsenenbildung so zu gestalten, dass sie Kreativität fördern und die Leute zum Lernen animieren. Hierzu brauchen wir vor allem eine "flexible" Architektur, die auf die individuellen Lernbedürfnisse eingeht.

DIE Zeitschrift: Was genau muss ich mir unter einer "flexiblen" Architektur vorstellen: Ein Gebäude besteht ja in der Regel aus festen und starren Materialien wie Steinen, Beton oder Stahl?

Stang: Ein guter Bildungsbau ist insofern flexibel, als er z. B. die Möglichkeit bietet, Wände ohne größeren Aufwand rückzubauen oder elektrische Leitungen nicht bei jeder Umbaumaßnahme neu verlegen zu müssen. Ein Bildungsbau darf nicht so geplant werden, dass er für die nächsten 20 bis 30 Jahre "in Stein gemeißelt" ist und dass sich selbst kleine Veränderungen sofort kostentreibend ausnehmen. Wir erleben gerade in den Volkshochschulen, dass sich die Nachfrage permanent verändert. Ein gutes Beispiel ist der Computerbereich. Noch vor wenigen Jahren hat man platzbindende Computerräume mit feststehenden Rechnern gebaut. Heute haben aber fast alle Menschen einen Computer zu Hause und kennen die gängige Software. Deshalb gibt es heute eher spezialisierte EDV-Schulungen im Rahmen von Kleingruppen. Entsprechend sind die Räume nicht mehr ausgelastet, so dass man über neue Nutzungsmöglichkeiten nachdenken muss. Das heißt, ich muss die Raumaufteilung schnell verändern können, um unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Im Bereich der multifunktionalen Raumnutzung wächst die Nachfrage nach Beratung überproportional stark.

DIE Zeitschrift: Wenn die Settings nun immer offener und flexibler werden, bedeutet dies Komplexitätssteigerung. Kann dies nicht zu einer Überforderung von Lehrenden wie Lernenden führen?

Stang: Man kann natürlich im flexiblen Raum ganz unterschiedliche Settings schaffen. Man kann z. B. die klassische Seminar-Präsentationssituation herstellen, in der das mehr oder weniger aktive "Zuhören" eine der zentralen Rezeptionsweisen ist. Aber in einem flexiblen Raum sollte es darüber hinaus möglich sein, Kleingruppenarbeit zu realisieren oder individuelles Lernen zu fördern. Diese Settings bedarfsgerecht einrichten zu können, ist ja heute oft in den Seminarräumen von Erwachsenenbildungseinrichtungen fast nicht möglich. Oft hat man sehr schwere Tische, dazu noch eine U-Form oder eben eine andere Form der Tischorganisation, wobei Tische manchmal sogar fest miteinander verbunden sind. Auch im Gesamtplan eines Hauses muss Flexibilität gefördert werden: Große Räume sollten ab- und unterteilbar sein. Es gibt hier inzwischen gute Möglichkeiten, das akustisch abgeschottet zu tun. 

DIE Zeitschrift: Wenn die Räume in Zukunft immer flexibler werden sollen, so stellt dies doch sicher eine Qualifizierungsanforderung an das pädagogische Personal dar. Ein Lehrender muss nicht nur Inhalte, sondern auch den Umgang mit den Möglichkeiten des Raums souverän beherrschen. Mit anderen Worten: Benötigen wir eine Art neuer "Raumdidaktik"?

Stang: Genau. Ich glaube, das stellt ganz neue Anforderungen an die Dozenten, aber natürlich auch an die Lernenden. Man muss sich mit den Möglichkeiten erst einmal zurecht finden. Die Erfahrung zeigt, dass multifunktionale Räume dazu führen, dass in der Wahrnehmung von Lehrenden wie Lernenden die Qualität insgesamt steigt. Jedoch ist es nach wie vor von Bedeutung, dass der Dozent den Raum ausfüllt. Ein katastrophaler Raum kann von einem hervorragenden Dozenten wunderbar genutzt werden. Man kann umgekehrt im modernsten Raum mit einem wenig ausgearbeiteten didaktischen Konzept gar nichts bewirken.

"Raumdidaktik" für Lehrende notwendig

DIE Zeitschrift: Was genau muss ich denn beachten, um didaktisches Konzept und Möglichkeiten des Raums optimal zur Deckung zu bringen?

Stang: Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass der Raum so gestaltet wird,  dass er zu dem jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkt passt. Im Bereich der Gesundheitsbildung sollte der Raum durchaus eine gewisse Entspanntheit ausstrahlen, damit er dazu einlädt, sich auf das Angebot einzulassen. In Sprachkursen ist ein kommunikatives Setting wichtig. Ein Dozent kann z. B. inhaltlich passende Bilder an die Wand hängen oder, in der modernen Variante, an die Wand projizieren.

DIE Zeitschrift: Für eine Projektion benötige ich natürlich die entsprechende Raumtechnik, die ihrerseits in die Architektur und das didaktische Setting zu integrieren ist.

Stang: Einige Einrichtungen tendieren heute dazu, das Smartboard einzusetzen, wofür mitunter sehr viel Geld ausgegeben wird. Die Frage ist, ob so eine Technik zukunftsfähig ist oder ob es in fünf Jahren wieder ganz anders funktioniert und man dann wieder umbauen muss. Ich tendiere in Beratungsprozessen eher dazu, mobile Präsentationsformen in die Räume zu integrieren. Dann kann man den Raum und die mediale Unterstützung je nach Bedarf anpassen, d.h., ich bin eher für mobile Flipcharts oder für mobile Pinnwände, die vielleicht auch in anderen Räumen genutzt werden können, so dass man eine Art Baukasten hat, aus dem man sein Lernsetting zusammenstellt. Das Problem ist hier, dass die Dozenten gern ihr spezielles Setting vorfinden möchten, wenn sie in den Unterrichtsaum kommen. Ich glaube, dass es in Zukunft einer besseren Qualifizierung der Dozenten bedarf, damit sie den Raum als pädagogisches Medium stärker wahrnehmen und so nutzen, dass er zu ihrem didaktischen Setting passt.

DIE Zeitschrift: Unser Gespräch drehte sich bislang um das Thema "Architektur des Gebäudes" bzw. um Innenarchitektur. Mich würde auf einer größeren Ebene noch interessieren, welche Rolle eigentlich die Stadtplanung bzw. die Stadt-Architektur im Denken der Erwachsenenbildung spielt oder spielen sollte. Und wie muss die Gesamtanlage eines Bildungsbaus eigentlich sein, was muss der leisten? Welche Funktion hat er im städtischen Erscheinungsbild?

Stang: Bildungsbau, insbesondere der Erwachsenenbildungsbau, ist immer ein politisches "Statement". Nehmen Sie den Wissensturm in Linz – dort lautet die Aussage, dass Bildung wichtig ist, ernst genommen wird und für die Stadt eine besondere Relevanz hat. Gleichzeitig ist der Wissensturm – wie in vielen anderen Kommunen, in denen neue Gebäude entstehen – ein wichtiger Aspekt der Stadtentwicklung. Mitunter wird an Stellen gebaut, die als soziale Brennpunkte gelten, um Quartiere aufzuwerten. Das halte ich für eine ganz wichtige Dimension. Das haben wir z. B. bei den so genannten "Idea Stores" in London, die aus sozialen Brennpunkten funktionierende städtische Areale gemacht haben, weil dort plötzlich ein Angebot – Thema Wertschätzung! – der Stadt an die Bürger*innen gemacht wird. Dabei spielen beim konkreten Gebäude Offenheit und Transparenz, niedrige Schwellen und das Setting im Eingangsbereich eine große Rolle.

Einladender Eingang bei Bildungseinrichtungen entscheidend

DIE Zeitschrift: Der Zugang zu Bildung soll allen Menschen "offen stehen". Dies bedeutet dann, dass man sich architektonisch ganz konkret mit dem "Eingang" beschäftigen müsste?

Stang: Der Eingang muss eine Einladung an Lernwillige sein. Dazu gehört, dass es so etwas wie einen Empfang geben sollte, wo man Fragen stellen kann. Das ist natürlich eher für größere Kommunen oder Einrichtungen interessant, das können sich kleine Einrichtungen oft nicht erlauben. Aber auch kleine Einrichtungen müssen darüber nachdenken, wie die Eingangssituation gestaltet werden kann. Was darüber hinaus immer sehr gut funktioniert, ist die Verknüpfung mit einem Café – damit bekommt das Haus einen kommunikativen Ort, was der Atmosphäre immer sehr zuträglich ist. Wichtig ist, dass dort nicht nur Automaten stehen, an denen man Getränke bekommt, sondern dass einladende Räume bestehen, in die man sich vor oder nach dem Kurs setzen kann. Das ist dann immer eine Frage der Gesamtkonzeption des Bildungsbaus.

DIE Zeitschrift: Ist dies die wichtigste Funktion des Bildungsbaus: Senkung von Schwellenängsten und Bildungsbarrieren?

Stang: Wichtig ist – Stichwort "narrativer Raum" – eine Geschichte zu erfinden. Das ist heute Grundkonzept in jedem Kaufhaus, wo der Raum so gestaltet wird, dass Menschen immer weiter hinein gehen, sobald sie die Eingangsschwelle erst einmal überschritten haben. Auf dieses langsame Hineingleiten in den Raum ist in den letzten Jahrzehnten im Bildungsbau viel zu wenig Wert gelegt worden.

DIE Zeitschrift: Wie muss eine Architektur unter fachdidaktischen Gesichtspunkten aussehen? Umweltbildung und politische Bildung dürften durchaus andere architektonische Anforderungen stellen? Oder gibt es eine Art "Grundstruktur" von Bildungsarchitektur, die ich mit minimalen Änderungen auf jeden Spezialbereich anwenden kann?

Stang: Gerade im Bereich der politischen Bildung ist es wichtig, dass Raum für Diskurse, Gespräch und Auseinandersetzung vorhanden ist – vielleicht ein Lounge-Bereich, in dem man "am Kamin" Weltthemen diskutieren kann. Es kann eine Option sein, mit Bürger*innen ein World-Café zu Themen der Kommune zu machen. Dann braucht man natürlich größere Flächen mit vielen Moderationsmedien. Das hängt immer vom Zuschnitt des Angebots ab. Für die Umweltbildung muss man meiner Meinung nach eine gute Mischung zwischen Indoor und Outdoor schaffen. Das bedeutet, dass man bei der Gebäudeplanung das Umfeld zu bedenken hat. Der Außenbereich ist natürlich immer ein wichtiges gestalterisches Element.

Es gibt keine Standardbildungsbauten

DIE Zeitschrift: In Zukunft werden sich die Bildungsbauten also nicht angleichen – wir benötigen demnach immer individuelle Konzepte?

Stang: Es gibt keinen Standardbau. Man versucht in Deutschland ja gerne zu standardisieren, aber für jede Kommune und für jede Einrichtung, die ein spezifisches Profil hat, wird es spezifische Anforderungen an das Gebäude geben. Es ist ganz wichtig, dass man das berücksichtigt. Das Problem ist, dass wir im pädagogischen Bereich gar keine Qualifizierung haben, was Architektur und die Gestaltung von Lernräumen angeht. Meines Wissens gibt es keinen Studiengang im Bereich der Erwachsenenbildung, der "Architektur und Erwachsenenbildung" z. B. als Modul anbietet. In Deutschland ist dies eine absolute Leerstelle.

Die Zeitschrift: George Sand schrieb einst: "Ärzte können ihre Fehler begraben, aber ein Architekt kann seinen Kunden nur raten, Efeu zu pflanzen". Wie würden Sie zum Abschluss des Gesprächs und mit Blick auf die Erwachsenenbildung die Zukunftschance dieser Kletterpflanze einschätzen?

Stang: Es steht zu befürchten, dass der Efeu bei uns in Deutschland noch lange Zeit prächtig gedeihen wird. Die Auseinandersetzung mit dem Thema "Architektur für Bildung" hat noch  gar nicht richtig begonnen. Anlassbezogen natürlich schon, z. B. wenn in einer Kommune ein Neubau ansteht. In der Fachcommunity ist das Thema überhaupt nicht präsent. Solch einen Themenschwerpunkt, wie er jetzt von der DIE Zeitschrift gesetzt wird, findet man sehr selten im wissenschaftlichen Diskurs, und wenn man die Literatur zu dem Thema Erwachsenenbildung und Architektur recherchiert, stößt man nur selten auf strukturierte Veröffentlichungen. Ganz anders beim Schulbau, wo man auf eine ganze Fülle von Publikationen zurückgreifen kann und wo das Thema seit Jahren intensiv diskutiert wird.

DIE Zeitschrift: Es bleibt also noch viel zu tun! Ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.


CC BY-SA 3.0 DE by Thomas Vollmer, letzte Prüfung  by Lars Kilian (2021)


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