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Nachhaltig lehren und lernen in Grundbildung und Alphabetisierung

Das Bild zeigt das Logo der Suchmaschine für Sprachlerntexte KANSAS.

Können digitale Tools Nachhaltigkeit in der Grundbildung unterstützen? Und wenn ja, wie kann das konkret gestaltet werden? In diesem Beitrag wird am Beispiel von KANSAS, einer Suchmaschine für Sprachlerntexte im Alphabetisierungskontext, aufgezeigt, welche Möglichkeiten die Digitalisierung für nachhaltige Grundbildung bieten kann und was es dabei zu beachten gilt.

Perspektiven der Nachhaltigkeit in Alphabetisierung und Grundbildung

Bildung ist laut Deutscher Nachhaltigkeitsstrategie ein Grundstein für eine nachhaltigere Gesellschaft. Sich verantwortlich und kreativ auf Grundlage eines fundierten Wissens an der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung beteiligen zu können, ist ein wichtiges Bildungsziel (Stoltenberg & Burandt, 2014). Wer nicht (gut) lesen oder schreiben kann, für den ist eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe versperrt (OECD, 2018). Das benötigte Wissen für die gleichberechtigte Mitgestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft ist ohne ausreichende schriftsprachliche Kompetenzen schwer zu erlangen. Demgegenüber steht eine besorgniserregend hohe Zahl an Menschen in Deutschland, deren Lese- und Schreibfähigkeit stark eingeschränkt sind: Mehr als jeder zehnte Erwachsene ist davon betroffen (Grotlüschen et al., 2020).

Nachhaltigkeit in Alphabetisierung und Grundbildung bedeutet zum einen, ökologisches und politisches Grundwissen als Lehr-Lerngegenstand in den Blick zu nehmen. Es bedeutet aber auch, die Lehr-Lernprozesse und ihre Rahmenbedingungen selbst nachhaltig zu gestalten. Zusammengefasst kann Nachhaltigkeit in der Grundbildung aus drei Perspektiven betrachtet werden:

  1. Als Lehr-Lerngegenstand
  2. Nachhaltig Lernen: Langfristiger Lernerfolg
  3. Nachhaltig Lehren: Ressourcen der Lehrkräfte schonen

Mit der zunehmenden Digitalisierung sind neue Möglichkeiten entstanden, Lehr-Lernprozesse zu gestalten. Am Beispiel von KANSAS, einem digitalen Tool zur Recherche von passenden Sprachlerntexten, wird näher beleuchtet, wie digitale Tools zu mehr Nachhaltigkeit in Alphabetisierung und Grundbildung beitragen können.

Was ist KANSAS?

KANSAS ist ein Akronym und steht für kompetenzadaptive, nutzerorientierte Suchmaschine für authentische Sprachlerntexte. KANSAS wird im Rahmen der AlphaDekade vom BMBF gefördert und ist in interdisziplinärer Zusammenarbeit aus Expertinnen und Experten der Erwachsenenbildung, Computerlinguistik, Sprachförderung und kognitiver Psychologie entstanden. Die kostenlose und frei zugängliche Suchmaschine soll Lehrkräfte dabei unterstützen, Sprachlerntexte im Internet und einem elektronischen Textkorpus, dem Alphakorpus, zu recherchieren. Denn Texte, die mit üblichen Suchmaschinen gefunden werden, sind häufig zu schwierig für den Alphabetisierungskontext (Schneider, 2019). KANSAS kombiniert eine Schlagwortsuche mit einer Sortierung der Ergebnisse anhand sprachlicher Eigenschaften: Zum einen kann das globale Komplexitätsniveau der Texte angepasst werden (nach Alpha-Levels, vgl. Heinemann, 2011), zum anderen können spezifische grammatikalische Konstruktionen gesucht oder ausgeschlossen werden.

KANSAS wurde so entwickelt, dass die Suchmaschine zu jeder der drei genannten Perspektiven der Nachhaltigkeit einen Beitrag leisten kann, wie nachfolgend dargestellt wird.

Perspektive 1: Nachhaltigkeit als Lehr-Lerngegenstand

Vor dem Hintergrund der bereits eingetretenen und weiter drohenden Klimakrise ist es folgerichtig, ökologisches Wissen zur Grundbildung zu zählen und als Lehr-Lerngegenstand in den Blick zu nehmen.

Mithilfe der KANSAS-Websuche können Lehrkräfte eine Schlagwortsuche durchführen, und gezielt nach tagesaktuellen Treffern, z.B. bei politischen Ereignissen, Wahlen oder Umweltkatastrophen suchen. Dies ist bei standardisierten Lehrwerken nicht in dem Umfang möglich. Auf diese Weise kann jedoch an das persönliche Interesse zu z.B. ökologischen Themen durch einen Bezug zum aktuellen Geschehen in der Lebenswelt der Teilnehmenden angeknüpft werden. Gleichzeitig kann mit KANSAS das sprachliche Niveau der Ergebnisse schon bei der Suche durch die Lehrkraft auf einen Blick berücksichtigt werden.

Perspektive 2: Nachhaltig Lernen

Obwohl sie einen wichtigen Beitrag zur sozialen Stabilisierung leisten, bleiben die sprachlichen Lernfortschritte in Alphabetisierungskursen häufig auch bei längerem Kursbesuch gering (vgl. von Rosenbladt, 2013). Nachhaltigkeit in der Grundbildung bedeutet daher auch, dass Lernerfolge langfristig bestehen bleiben und auch nach Kursabschluss zur Lebensqualität und gesellschaftlichen Teilhabe der Teilnehmenden beitragen. Das ist eine herausfordernde Aufgabe für Lehrkräfte, denn die Anforderungen in diesem Lehr-Lernkontext sind hoch: Bei sehr heterogenen Kurszusammensetzungen sollen sie auf die Interessen und Kompetenzen der Teilnehmenden individuell eingehen und ihnen passenden Lerninput geben, der weder über- noch unterfordert (vgl. Löffler & Weis, 2016).

KANSAS kann einen Beitrag zur Verbesserung des langfristigen Lernerfolgs leisten, indem es authentische und hochqualitative Sprachlernmaterialien und Lesetexte leicht zugänglich macht. Dadurch, dass bei der Textsuche grammatikalische Konstruktionen gezielt gesucht und auch ausgeschlossen werden können, können die Lesetexte an die individuellen Kompetenzen der Lernenden genau angepasst werden. Konstruktionen, die geübt werden sollen, werden durch die Suchmaschine farblich hervorgehoben. Diese visuelle Unterstützung kann es Lernenden vereinfachen, sich mit grammatikalischen Phänomenen auseinanderzusetzen. Das Alpha-Level der Texte ist zudem klar erkennbar, sodass eine Über- oder Unterforderung durch den Text unwahrscheinlicher wird. Auf diese Weise kann ein langfristiger Lehr-Lernerfolg unterstützt werden.

Perspektive 3: Nachhaltig Lehren

Pädagogische Berufe sind eine Risikogruppe für Burnout und Erschöpfung (Porsch, 2018). Dies gilt nicht nur für Lehrkräfte im schulischen Kontext, sondern auch in der Grundbildung (Riedl, 2019). Ein bedingender Faktor dafür stellt die oftmals prekäre Beschäftigungssituation der Lehrkräfte dar – bei gleichbleibend hohen emotionalen und fachlichen Anforderungen. Das bedeutet, dass ihre Vor- und Nachbereitungszeit sowie Recherchearbeiten oft unbezahlt erfolgen.  Curricula und standardisierte Lehrwerke sind dabei noch rar und die Nutzungsrechte für digitale Medien häufig unklar, was rechtliche Risiken für Lehrkräfte mit sich bringt. Für eine nachhaltige Grundbildung ist es jedoch unerlässlich, auch die Ressourcen der Lehrkräfte zu schonen.

KANSAS bietet Lehrkräften, die nach Sprachlernmaterial suchen, Entlastung. Die Ergebnisse einer Usability-Studie mit 25 Lehrkräften und 10 Experten der Fach- und Mediendidaktik (Kholin et al., 2019) zeigten, dass KANSAS als hilfreiches und nützliches Tool empfunden wird. Hervorgehoben wurden die intuitive Bedienung und die präzisen Einstellungsmöglichkeiten, welche Lehrkräfte dabei unterstützen, das Material passend zu individualisieren.

Die Ergebnisse einer Evaluation (Mayer, Kholin & Jambor-Fahlen, Manuskript in Vorbereitung) zeigen allerdings auch, dass Lehrkräfte sich oft wünschen, die gefundenen Texte nachbearbeiten zu können. Das bringt jedoch die genannten rechtlichen Probleme mit sich. Eine Lösung dafür bieten frei verfügbare und veränderbare Lehr-Lernmaterialien (Open Educational Resources, OER). KANSAS wird daher aktuell um einen OER-Alphakorpus erweitert.

Im Rahmen des Entwicklungsprozesses von KANSAS wurde die Zielgruppe in regelmäßigen Abständen einbezogen. Auf diese Weise konnten die tatsächlichen Bedürfnisse der Lehrkräfte (und indirekt die der Lernenden) in der Suchmaschine adressiert werden. Intensive Mitgestaltung und Evaluation durch die Zielgruppe ist eine wichtige Voraussetzung dafür, Lehrkräften tatsächlich Entlastung durch das digitale Tool zu bieten – und nicht noch einen zusätzlichen Aufwand durch z.B. eine umständliche Bedienung zu erzeugen.

Fazit

Nachhaltigkeit ist ein zunehmend wichtiges Thema auch in der Grundbildung, nicht nur als Lehr-Lerngegenstand, sondern auch für nachhaltige Lehr-Lernprozesse. Die Digitalisierung und die Entwicklung neuer Tools und Methoden wie KANSAS bietet Chancen – dennoch müssen die Bedürfnisse der Beteiligten genau evaluiert werden. Eine aktuelle Evaluation der Suchmaschine KANSAS zeigt einen hohen Bedarf an frei zugänglichem Unterrichtsmaterial (Open Educational Resources).

Niedrigschwellig zugängliche und leicht zu findende OER, wie im geplanten OER-Alphakorpus, leisten einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Lehrkräfte durch besseres und leichter individualisierbares Lehrmaterial und eröffnet im nächsten Schritt ein größeres Potenzial für nachhaltiges Lernen – was wiederum auch mehr Mitgestaltung einer nachhaltigen Zukunft durch die Lernenden zugutekommt.

CC-BY-SA 3.0 by Mareike Kholin (DIE) für wb-web


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