Erfahrungsbericht

Lernen wir gemeinsam mit anderen besser?

 

Ein Interview mit der Wissenschaftlerin Sabine Schöb

In unserer Serie „Lernen in Gruppen“ stellen wir zahlreiche Tipps und Anregungen zur Gruppenarbeit in Form von Handlungsanleitungen, Checklisten oder auch Blogposts bereit. Außerdem befragen wir Lehrende in der Erwachsenenbildung sowie Wissenschaftler nach ihren Erfahrungen und Erkenntnissen zum Lernen in Gruppen. Sabine Schöb von der Universität Tübingen beantwortet, ob wir gemeinsam mit anderen besser lernen und welche Rolle den Lehrenden in Lernsettings mit großen Anteilen kooperativen Lernens zukommt.

Sabine Schöb

wb-web: Das kooperative Lernen in Gruppen scheint in der Bildungspraxis viele Fürsprecher zu haben. Was sind die Erkenntnisse aus der Wissenschaft? Lernen wir gemeinsam mit anderen einfach besser?

Sabine Schöb: Wie diverse Untersuchungen zeigen, kann ein gemeinsames Arbeiten in Gruppen den Lernanreiz, die Leistungsmotivation und die Durchdringung von Problemen erhöhen. Inwiefern Gruppenarbeit auch zu einem besseren Lernergebnis als beispielsweise Einzelarbeit führt, ist hingegen in der Literatur umstritten. So steht das Lernergebnis zumeist in direktem Zusammenhang mit der Art der Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder (Kollaboration). Ein intensiver Austausch befördert die Konstruktion gemeinsamen Wissens. Der Ertrag der Gruppenarbeit hängt wesentlich von den damit verbundenen Lernzielen ab, z. B. ob diese inhaltlicher, sozialer oder methodischer Natur sind.

Zum Erlernen von Kommunikationsfähigkeiten oder Techniken selbstgesteuerten und strategischen Arbeitens kommt der Methode eine zentrale Bedeutung zu. Sie kann persönliche Kompetenzen eröffnen, um den Anforderungen einer zunehmend durch Globalisierung und Vernetzung geprägten Arbeitswelt gerecht werden zu können. Gleichzeitig handelt es sich bei Gruppenarbeit um eine Methode, die in der Vorbereitung und Einführung nicht unaufwendig ist. So kann Gruppenarbeit nur gelingen, wenn die Lernenden als Gruppe im doppelten Sinn „laufen gelernt haben“, womit gemeint ist, dass diese einerseits mit der Arbeitsform methodisch vertraut sind und andererseits Zeit haben, zu einer Gruppe zu werden, was ein Aushandeln von Rollen und Zusammenarbeitsformen einschließt. 

Dozent steht an der Tafel.

Weg von der Rolle des Wissensvermittlers. Inwiefern hat sich die Funktion der Lehrkraft in kooperativen Lernprozessen gewandelt? (Bild: geralt/pixabay.com, CC0)

wb-web: Welche Rolle spielt die Lehrkraft im Prozess des Lernens in Gruppen? Ist ihre Bedeutung in Lernsettings mit großen Anteilen kooperativen Lernens gesunken?

Sabine Schöb: Der Lehrkraft wird in der Umsetzung von Gruppenarbeiten eine neue Rolle zuteil. Sie nimmt sich in der Steuerung der Lernprozesse zurück, fungiert vielmehr als Begleiter/in und Unterstützer/in des eigenaktiven und kooperativen Wissenserwerbs der Lernenden. Dabei verlagert sich der Schwerpunkt der lehrenden Tätigkeit von der Vermittlung von Inhalten hin zu der Vermittlung einer Methode und Bereitstellung von Informationen, um ein Arbeiten in Gruppen zu ermöglichen. Dabei sind

  • die initiierende, zur Gruppenarbeit motivierende Funktion,
  • die stimulierende, die Gruppenarbeit konstruktiv vorantreibende Funktion, und
  • die regulierende, die Gruppenarbeit erhaltende Funktion

der Lehrkraft nicht zu unterschätzen. Sie erfordern umfassende methodische sowie soziale Fähigkeiten aufseiten der Lehrkraft. Werden diese Aufgaben unterschätzt und wird vor allem in der Phase, die die Gruppenarbeit initiiert, zu wenig Acht auf die Festlegung von Zusammenarbeitsregeln und die Einübung grundlegender Arbeitstechniken gegeben, besteht die Gefahr, dass die Gruppenarbeitsprozesse wenig ertragreich verlaufen. Mit wachsender Methodenkompetenz der Lernenden bietet das kooperative Lernen in Gruppen eine immer wieder neu kreativ einsetzbare und die Lernenden motivierende Arbeits- und Sozialform.

wb-web: Haben Sie drei kurze Tipps für Erwachsenenbildner, wie sie das Lernen in Gruppen gestalten sollten, damit es den größtmöglichen Lernerfolg erzielt?

Sabine Schöb:

Tipp 1: Gruppenarbeit sollte nicht nur der kooperativen Vorgehensmethodik wegen, sondern immer überlegt und gezielt zum Einsatz kommen. Die Aufgabe und der Grad der Eigenverantwortung der Lernenden sollte an deren Wissensstand und Lernvoraussetzungen anschließen und die Lernenden weder über- noch unterfordern. Somit sollte einer Gruppenarbeit immer ein Input bzw. eine Vergewisserung des Lernstands vorangesetzt werden und die Gruppenarbeit zu einer thematischen Vertiefung bzw. Weiterarbeit eingesetzt werden.

Tipp 2: Die Größe und Zusammensetzung der Gruppen ist mitentscheidend für den Lernerfolg. Dabei sollen die Gruppen eine Größe von drei bis sechs Personen nicht überschreiten und eher homogen zusammengesetzt sein, um einen gleichwertigen Austauschprozess zwischen den Beteiligten zu ermöglichen, für arbeitsteilige Aufgabenstellungen hingegen bieten sich größere und heterogen zusammengesetzte Gruppen an, die wiederum von einer gemeinsamen Ergebnisintegration wechselseitig profitieren können.

Tipp 3: Als Lehrkraft sollte man während der Gruppenarbeit immer ansprechbar und präsent bleiben, um auf Zuruf oder durch Eigenbeobachtung regulierend in das eigenverantwortliche Lerngeschehen eingreifen zu können. Über vorab getroffene Vereinbarungen sollte klar festgehalten werden, wie diese Beratung und Steuerung erfolgen und in Abhängigkeit der Ziele der Gruppenarbeit einen möglichst effektiven Arbeitsprozess unterstützen kann.

"Es gibt meines Erachtens wenig wirklich neue Methoden im Bereich der Gruppenarbeit. Vielmehr leben bestehende Methoden immer wieder neu auf."
 

wb-web: Das Lernen in Gruppen kann auf vielfältige Weise gestaltet werden. Können Sie uns ein paar innovative Methoden nennen, die in jüngster Zeit Verbreitung finden?

Sabine Schöb: Es gibt meines Erachtens wenig wirklich neue Methoden im Bereich der Gruppenarbeit. Vielmehr leben bestehende Methoden immer wieder neu auf, je nachdem welche Ziele und Fragen mit Gruppenarbeit verknüpft werden. So gibt es zum Beispiel Entwicklungen, die sich verstärkt den Umsetzungsmöglichkeiten medienbasierten Lernens in Gruppen widmen bzw. die Heterogenität der Lernvoraussetzungen als Herausforderung im Umgang mit Gruppen darstellen.

Vielmehr erscheinen mir Methoden interessant, die unterschiedliche Varianten der Steuerung der Lernprozesse durch die Lehrkraft bzw. der Ergebnissicherung thematisieren, wo das Potenzial der Methode für die Eigenverantwortung sowie den Lernzuwachs der Beteiligten liegt. So bieten die Methoden wie das „Gruppenpuzzle“ oder auch die „Wachsende Gruppe“ Verfahren an, wie nicht nur Themen intensiv bearbeitet werden können, sondern neben dem Erwerb von Wissen auch die Fähigkeit, Wissen anderen weiterzugeben, erlernt wird. In Bezug auf die Ergebnissicherung sind Methoden populär, die von Gruppenpräsentationen, die häufig nur von wenigen Kleingruppenmitgliedern realisiert werden, absehen, stattdessen auf eine Ergebnisintegration und -diskussion in Form von beispielsweise „Placemat“, „Fishbowl“ oder „Postersession“ setzen.

Neben der Tendenz, Gruppenarbeit eher umfassend anzulegen und Methoden zu wählen, die in einer Art „Sandwichverfahren“ Aneignungs-, Kommunikations- und Ergebnissicherungsphasen in sich vereinen, wie zum Beispiel „Lernstafette“ oder „Planspiel“, finden sich auch zur Frage der Begleitung der Methode durch die Lehrkraft Ansätze, welche die Prozesssteuerung stärker in die Hand der Lernenden legen, wie zum Beispiel die „Ampelmethode“.

wb-web: Haben Sie für Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung noch einen Tipp, wie man sich am besten über die Gestaltung des Lernens in Gruppen informiert? Ein Buch? Ein Link?

Sabine Schöb: Ein zentrales Werk stellt sicherlich das Buch von Barbara Langmaack und Michael Braune-Krickau „Wie die Gruppe laufen lernt“ dar. Es führt umfassend in Fragen der Organisation und Gestaltung von Gruppenarbeit auf Basis von sozial- und organisationspsychologischen Wissen ein.

Ebenso bietet der Methodenpool der Universität Köln eine vor konstruktivistischen und systemtheoretischen  Hintergründen zusammengestellte Auswahl an (Gruppenarbeits-)Methoden, die umfassend in der Darstellung und Umsetzung erläutert und begründet werden. 

Sabine Schöb arbeitet seit 2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Tübingen und beschäftigt sich mit Fragen rund um die Professionalisierung und Kompetenzentwicklung von Lehrenden in der Erwachsenenbildung, Schule und Hochschule. Sie ist als selbstständige Trainerin in der Weiterbildung tätig und bietet Kurse im Bereich der Persönlichkeitsbildung und Sozialkompetenz an. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Konzeption, Umsetzung und Evaluation von innovativen Bildungsangeboten, die ein selbstgesteuertes und bedarfsgerechtes Lernen ermöglichen.

 
CC BY SA 3.0 DE by Mario Wiedemann für wb-web (09.12.2015), letztmalig geprüft am 13.06.2023


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