Erfahrungsbericht

Wie können soziale Medien das kollaborative Arbeiten in Gruppen fördern?

Beim Stichwort Gruppenarbeit denken die meisten vermutlich an Ihre Schul- oder Universitätszeit und an Arbeitsphasen im Klassen- oder Seminarraum. Die Einbindung sozialer Medien in Lehr-Lern-Szenarien ergänzt kollaborative Arbeitsformen um einen virtuellen Raum. Das hochschulübergreifende Forschungsprojekt Social Media in Lehr- und Lernszenarien in der Aus- und Weiterbildung hat den Zustand und das Potenzial von Social Media in der Hochschul- und Erwachsenenbildung untersucht. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Untersuchung des kollaborativen Lernens über soziale Medien. Wir haben mit einer der am Projekt beteiligten Wissenschaftlerinnen gesprochen.

Eva Edinger

wb-web: Frau Edinger, mögen Sie sich bitte kurz vorstellen?

Eva-Christina Edinger: Ich verorte mich disziplinär in der Raumsoziologie und habe mich in den letzten Jahren im Rahmen meiner Dissertation mit Bibliotheken als Lern- und Arbeitsräumen befasst. Zuletzt war ich an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz als Leiterin der Stabsstelle Lehrentwicklung und Mitarbeiterin an der Fachstelle Digitales Lehren und Lernen in der Hochschule tätig. In diesem Kontext war ich am Projekt Social Media in Lehr- und Lernszenarien in der Aus- und Weiterbildung federführend beteiligt. So konnte ich mehrere Facetten des Lernens zusammenführen: meine Erfahrungen hinsichtlich der Herausforderungen, mit denen Studierende konfrontiert sind sowie meine Forschungsergebnisse zu materiellen und virtuellen Lernumgebungen.

wb-web: Eine Ihrer Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt Social Media in Lehr- und Lernszenarien in der Aus- und Weiterbildung lautet, dass Social Media sich gut eignen, um kollaborative Formen der Wissensaneignung und kooperative Formen des Lernens zu fördern. Können Sie kurz beschreiben, wie dies in der Praxis aussieht und auch Beispiele nennen?

Eva-Christina Edinger: Studierende, wie alle anderen Lernenden auch, sind in Gruppenprojekten mit mehreren Herausforderungen zugleich konfrontiert. Sozial müssen sie sich als Gruppe zusammenfinden, organisatorisch eine gemeinsame Arbeitsumgebung und einen Arbeitsrhythmus schaffen und nicht zuletzt inhaltlich arbeiten. Es geht also unter anderem darum, Arbeitstreffen festzulegen, diese durchzuführen, Lernmaterialien untereinander auszutauschen und Projektfortschritte zu dokumentieren. Gehen wir von einem lernerzentrierten Setting aus, so heißt das konsequenterweise, dass die Studenten nicht nur die Lerninhalte, sondern auch die Lernumgebungen selbst wählen. Darunter fallen materielle Komponenten wie beispielsweise Seminarräume an der Hochschule, aber auch virtuelle Komponenten wie Learning Management Systeme (LMS), Social Media wie Skype, Blogs und Foren sowie kollaborative webbasierte Texteditoren wie edupad. Studierende aus einem meiner Lehrforschungsprojekte an der Universität Konstanz haben sich dafür entschieden, ausschließlich über das LMS ILIAS zu kommunizieren. Alle Dokumente wurden dort hinterlegt und Fragen zum Projekt sowohl innerhalb der Gruppe als auch über die Gruppen hinweg in Foren diskutiert. So wurde von den Studierenden unter anderem ein Fragebogen für ein Forschungsprojekt entwickelt, indem die Fragen in einzelnen Foren-Ästen diskutiert und bearbeitet wurden. Auch die kollaborative webbasierte Textarbeit wird sehr geschätzt, ist jedoch vor allem bei Lehrenden noch überraschend wenig bekannt, wie unsere Befragung im Rahmen des Social-Media-Projektes gezeigt hat.

wb-web: Worin bestehen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen kollaborativem Lernen über Social Media und traditioneller Formen des Lernens in Gruppen – abgesehen von der Zeit- und Ortsunabhängigkeit?

Eva-Christina Edinger: Ich möchte betonen, dass sich die sozialen Settings und Methoden des Lernens, ob nun on- oder offline, in den meisten Fällen kaum unterscheiden. Lediglich die eingesetzten Medien variieren. Im oben beschriebenen Lehrforschungsprojekt gaben die Studierenden bei der abschließenden Lehrevaluation an, dass sie sehr zu schätzen wussten, dass sich alle orts- und zeitunabhängig sowie schnell und gleichberechtigt über den Stand der Arbeiten informieren konnten. Niemand war der „gatekeeper“ der Dokumente. Alle hatten Zugang. 424 Foreneinträge von insg. sieben Studierenden in einem Semester belegen, dass dieser Zugang genutzt wurde. Ein Unterschied besteht auch darin, dass man zeitgleich an Dokumenten arbeiten und diese kollaborativ anreichern kann, z. B. durch Kommentare oder Tags. Ein konkretes Beispiel dafür ist die kollaborative Literaturverwaltung mit Tools wie Mendeley. So kann man sich nicht nur Arbeitsergebnisse gegenseitig zur Verfügung stellen bzw. diese kollaborativ ergänzen, sondern es ist gleichzeitig sichergestellt, dass alle daran teilhaben können. Gerade bei kreativen Arbeitsschritten, wie etwa Mindmapping, ist das von Vorteil.

wb-web: Welche Anforderungen stellt der Einsatz sozialer Medien an die Lehrkräfte in der Praxis der Erwachsenenbildung?

Eva-Christina Edinger: Er fordert von den Lehrenden einiges. Zur Fachkompetenz und der hochschuldidaktischen Befähigung, die bisher ja auch gefragt waren, kommen die Medienanwendungskompetenz und die Medienpädagogik hinzu. Social Media machen Lehre nicht per se besser. Sie können sie auch schlechter machen, wenn beispielsweise Lehrende unerfahren im Umgang mit den Tools sind, die sie einsetzen oder sie sich nicht die Zeit nehmen (können), um ihre Lehrveranstaltungen mediendidaktisch sinnvoll zu konzipieren. Im Rahmen von Fokusgruppen mit Studierenden und Hochschul-Lehrenden haben wir herausgefunden, dass die Studierenden den Lehrenden, was die Anwendungskompetenz betrifft, meist ein Stück weit voraus sind. Lehrende beschreiben ihre Situation als „hinter den Technologien herrennen“. Ständig tauchen neue Tools auf und alte verschwinden. Es fällt schwer, den Überblick zu behalten, für welche didaktische Methode nun welche Social Media geeignet wären. Studierenden hingegen fehlt häufig eine kritisch reflektierte Haltung gegenüber digitalen Medien. Und der Vollständigkeit wegen sei erwähnt: Bildungsinstitutionen müssen die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellen. Wo Steckdosen, W-LAN und Serverspace Mangelware sind, kommt schnell Frust beim Einsatz von neuen Medien auf.

wb-web: Welche Social-Media-Tools eignen sich aus Ihrer Sicht am besten für  kollaboratives Lernen?

Eva-Christina Edinger: Es stellt sich immer die Frage, welches Medium zu welcher Methode passt. Es kommt meist auch nicht so sehr darauf an, was eingesetzt wird, sondern wie es eingesetzt wird. Für alle Komponenten der Lernumgebung gilt es, Spielregeln festzulegen, wie etwa: Wird über E-Mail oder über Foren kommuniziert? Wie werden die Dokumente benannt und abgelegt? Welche externen Tools werden beispielsweise zusätzlich zu einem LMS genutzt und wie werden sie einbezogen? Nur so kann sichergestellt werden, dass alle das Gefühl haben, Zugang zu allen relevanten Materialien und Informationen zu haben. Ferner ist es sinnvoll, Aufgaben zu verteilen, z. B. für die Moderation von Foren oder die Verwaltung der Taxonomie eines Blogs.

wb-web: Welche Social-Media-Tools setzen Sie selbst in ihrer Funktion als Dozentin an einer Hochschule ein und haben Sie einen persönlichen Favoriten?

Eva-Christina Edinger: In der Lehre, aber auch in (Forschungs-)Projekten sind für mich persönlich Skype/Google Hangouts, kollaborative Texteditoren, gemeinsame Dokumentensammlungen und Foren unabdingbar. Und ganz persönlich ist für mich mein Blog ein Instrument, um Ideen und Gedanken zu bündeln, nach Themenfeldern zu strukturieren, Feedback und Ergänzungen einzuholen und so den Grundstein für Vorträge und Publikationen zu legen.

wb-web: Haben Sie Tipps für Lehrkräfte, wie sie sich weiterbilden können, um fit zu sein für den Einsatz von Social Media für kollaboratives Lernen?

Eva-Christina Edinger: Für Weiterbildungen zum Einsatz von Medien in der Lehre sind medienpädagogische und hochschuldidaktische Zentren sowie Bibliotheken aus meiner Sicht die geeigneten Ansprechpartner. Ich plädiere aber auch für das individuelle Ausprobieren: Fangen Sie klein an, idealerweise mit einem Tool, mit dessen Anwendung Sie aus anderen Kontexten schon vertraut sind. Das sind zumeist Foren und Wikis. Vielleicht probieren Sie zum Aktivieren von Vorwissen auch einmal eine digitale Pinnwand aus? Eine Sammlung von Toolbeschreibungen und didaktischen Einsatzmöglichkeiten finden Sie beispielsweise bei digitallernen.ch sowie e-teaching.org.

 

Dr. Eva-Christina Edinger studierte Soziologie, Philosophie, Kunst- und Medienwissenschaften in Konstanz, Frankfurt a. M. und Innsbruck und promovierte mit einer empirischen Untersuchung über Bibliotheken als Wissensräume. Heute ist sie freiberufliche Wissenschaftlerin und Dozentin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Raumsoziologie, materielle und virtuelle Lernräume, Bibliotheken, Lehrentwicklung, Usability, User Experience und Human Centered Design. Sie erfahren mehr über Eva-Christina Edinger auf ihrer Website spacesofknowledge.com.

Verfasst im Januar 2015; letzte Prüfung des Beitrags im Mai 2021


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