Erfahrungsbericht

Reflexion - Nachdenken über das Lernen

Den subjektiven Eindruck von Nicht-Wissen und Nicht-Können in Wissen und Können umwandeln – dazu braucht es Methoden, die Reflexion anregen. Idealerweise verfügen Lehrende über ein breites Wissen zur Reflexionsförderung. Wenn nicht, macht es Sinn, dass sie dies erlernen, so die Erfahrung von Lea Pelosi.

Profil mit Schalter, daneben Lesender

Reflexion ist wichtig, um zu erkennen, wie Lernen funktioniert. (Bild: geralt/pixabay.de, CC 0)

Im vergangenen Jahr erhielt ich von einer Institution die Anfrage einen Workshop „Reflexionsförderung in Kursen für Deutsch als Zweitsprache (DaZ)“ zu halten. Hintergrund war der Widerstand der Kursleitenden gegen das Thema „Reflexion“: Die Kurszeit reiche dafür nicht aus, die verfügbaren Reflexions-Instrumente seien zu wenig praxistauglich bzw. zu kompliziert und die Zielgruppe verfüge nicht über die nötigen Kenntnisse, die man zum Reflektieren braucht.

Aus der Sicht der Kursleitenden ging es also um zwei Arten von Nicht-Können:

  • Einerseits dachten sie, Reflexionsförderung unter den gegebenen Voraussetzungen nicht umsetzen zu können.
  • Andererseits glaubten sie, dass die Teilnehmenden in den DaZ-Kursen aus unterschiedlichen Gründen nicht „reflektieren‟ könnten.

Eine Standortbestimmung zu Beginn des Workshops diente dazu, dieses Nicht-Können zu klären. Es zeigte sich erstens, dass die Kursleitenden über keinen auf die Praxis übertragbaren Reflexionsbegriff verfügten bzw. kaum eine aus ihrer Sicht geeignete Form von Reflexionsförderung nennen konnten.

Zweitens dominierten oft Misserfolgserlebnisse und „schlechte‟ Erfahrungen die Auseinandersetzung mit dem Thema: Einige konkrete Methoden und Unterrichtssituationen waren den Kursleitenden „suspekt‟, weil sie „nicht funktioniert‟ hatten oder auf Widerstand seitens der Teilnehmenden gestoßen waren: Lernjournale, Selbstbeurteilungen der Teilnehmenden, Portfolio-Arbeit.

Drittens wurde deutlich, dass den Kursleitenden teilweise schon der Sinn von Reflexionsförderung nicht klar war.

Viertens: Auch das Nicht-Können der Teilnehmenden in den DaZ-Kursen beinhaltete aus der Sicht der Kursleitenden eine motivationale Komponente. Ihr Argument war, dass kulturell bedingte Vorbehalte gegen Reflexion („Das ist Zeitverschwendung, kein richtiges Lernen!“) in den Kursen sehr präsent seien.

Daneben wurden von den Kursleitenden aber vor allem die Sprachkenntnisse der Teilnehmenden als ein Hindernis bei der Umsetzung von Reflexionsförderung genannt. 

Analyse als Basis für Reflexionsförderung

Diese Analyse des Nicht-Wissens und Nicht-Könnens war die Basis für das weitere Vorgehen: Die Kursleitenden sollten im Workshop exemplarisch anhand von Methoden, die auch in ihrer eigenen Praxis anwendbar sein würden, ihre Lernmotivation, ihre Lernbedürfnisse bzw. -bedarfe und ihren Lernprozess reflektieren. Und sie sollten dabei das Bewusstsein für die im Hinblick auf die Reflexionsförderung verfügbaren Ressourcen entwickeln oder differenzieren.

Schon die Gelegenheit, die eigenen Vorbehalte zu formulieren, zeigte den Kursleitenden auf, dass der Widerstand selbst eine Ressource ist, auf die man in Lernprozessen zurückgreifen kann: Er zeigt an, wo Lernende stehen, was sie verunsichert, wofür sie Anknüpfungspunkte oder Artikulationshilfen benötigen. Er kann von den Lernenden selbst in Fragen und konkrete Vorschläge übersetzt werden, die motivierend wirken.

Die einfache Strukturierung des Reflexionsbegriffs durch die Unterscheidung des Warum, Was und Wie des Lernens (vgl. Jenert, 2008) verdeutlichte den Kursleitenden, dass Reflexionsförderung Fragen beinhaltet, die sich Kursleitenden und Teilnehmenden bereits in vielfältiger Weise selbst stellen. Reflexion, so die Erkenntnis, ist also nichts Neues, sondern läuft im Kurs immer schon mit. Allerdings geschieht das oft nicht unter dem „Label“ der Reflexion oder in der jeweils eigenen Muttersprache.

Diese Erkenntnis war die Basis für einen fruchtbaren Austausch der Kursleitenden darüber, wie diese Fragen im Unterricht vor jeglicher „institutionalisierten‟ Reflexionsförderung bereits präsent sind: Zum Beispiel in Form von Auswahlmöglichkeiten, konkreten Alltagsbezügen, Hinweisen zu möglichen Lerntechniken, Kursevaluationen, Diskussionen, Blitzlichtern, Einstiegsaktivitäten, Erfahrungsberichten, etc.

Reflexion optimieren

Daraus folgte für die Kursleitenden, dass Reflexionsförderung nicht notwendigerweise als ein zusätzlicher Kursinhalt zu betrachten ist, der mit den bestehenden inhaltlichen Vorgaben konkurriert. Auch wurde ihnen klar, dass die so teilweise zum ersten Mal unter dem Gesichtspunkt der Reflexionsförderung betrachteten Unterrichtsituationen durchaus oft „funktioniert“ hatten.

Für die Optimierung der Reflexionsförderung in ihrer Praxis realisierten die Kursleitenden, dass sie nicht die eigene Kursgestaltung neu erfinden müssen, sondern einfach bestehende Instrumente gezielter und konsequenter (z. B. in Form von Ritualisierungen) einsetzen müssen. Ein transparenter, begründeter Einsatz von Methoden und Unterrichtsformen ist per se ein Anstoß zur Reflexion, weil er zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihnen anregt, die über die bloße Ablehnung hinauszugehen hat.

Oft können neue Formen der Umsetzung von Reflexionsförderung in Analogie zu den bestehenden entwickelt werden. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem „Nicht-Können‟ der Teilnehmenden in den DaZ-Kursen rückte bei den Kursleitenden vermehrt die Frage in den Vordergrund, welche der diskutierten Möglichkeiten angesichts der jeweiligen Zielgruppe umsetzbar sein könnten.

Indem der Begriff „Reflexionsförderung‟ greifbarer wurde, verwandelten sich bei den Kursleitenden die grundsätzlichen Widerstände dagegen in eine differenzierte Betrachtung. Die Frage, ob man Reflektion fördern will oder nicht, rückte in den Hintergrund. Gleichzeitig wurden Fragen dazu, wie eine effiziente, erfolgreiche, teilnehmer- oder inhaltsspezifische Umsetzung von Reflektion aussehen kann bedeutsam. Zum Beispiel nahm der Anteil an offenen und differenzierenden Fragen im Verhältnis zu rhetorischen Fragen im Lauf des Workshops zu. Zudem wurde die Diskussion reger, weil den Betroffenen klar wurde, dass sie nicht nur von der Workshopleitung, sondern auch vom Austausch mit Kollegen und Kolleginnen profitieren konnten. Es fiel den Teilnehmenden leichter zu benennen, für welche Bereiche der Reflexionsförderung sie über keine zufriedenstellenden Methoden verfügten und entsprechend gezielt einen Lernbedarf oder ein Lernbedürfnis zu formulieren.

Es zeigte sich, dass Wissen und Können oft bedeutet zu wissen, auf welche Fragen man Antworten braucht und diese Fragen möglichst präzise stellen zu können. In anderen Worten: Nicht-Wissen und Nicht-Können sind durch Präzisierung in Wissen und Können umwandelbar. Damit ist gerade auch in DaZ-Kursen oft schon ein entscheidender Schritt getan.

CC BY SA 3.0 by Lea Pelosi für wb-web


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