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Numeralität als soziale Praxis und deren Bedeutung in der (Grund-)Bildung
Wie kann der Ansatz Numeralität als soziale Praxis in der Grundbildung Anwendung finden?
In unserer Studie haben wir ältere Personen (65-92 Jahre) zur Alltagsmathematik und ihren numeralen Praktiken befragt. Der Fokus auf Ältere folgt der Idee, sowohl biographische Entwicklungen in Bezug auf Numeralität einer bestimmten Alterskohorte als auch über die Lebensspanne zu erfassen. Unsere Befunde beziehen sich zum einen auf bestimmte Generationen, zum anderen sind auch allgemeingültige Aussagen über Numeralität als soziale Praxis möglich. Der Ansatz ist nicht nur auf alle Alters- und Personengruppen anwendbar, es ist zudem möglich, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungsprozesse zu berücksichtigen. Numeralität als soziale Praxis zeichnet aus, dass numerale Fähigkeiten und Fertigkeiten aus einem ressourcenorientierten Blickwinkel betrachtet werden. Statt einer Defizitorientierung ermöglicht der Ansatz, die vielfältigen numeralen Praktiken, die Menschen in ihrem Alltag bereits anwenden und für sich entwickeln, in den Mittelpunkt zu stellen und als positive Ressource zu verstehen.
Wird das Konzept Numeralität als soziale Praxis in Veranstaltungen der Erwachsenenbildung, bspw. im Rahmen mathematischer Grundbildung berücksichtigt, hat dies Konsequenzen für die didaktisch-methodische Gestaltung und spiegelt sich in der Haltung und Einstellung der Kursleitenden gegenüber dem bereits vorhandenen mathematischen Wissen und den Kenntnissen der Teilnehmenden wieder.
Zunächst erscheint es hilfreich, in einem Dialog mit den Lernenden herauszufinden, auf welche Weise sie mit Mathematik/Rechnen/Numeralität in ihrem Alltag in Berührung kommen und wie sie bisher mit numeralen Handlungsanforderungen umgegangen sind. So können vielfältige numerale Ereignisse und (versteckte) numerale Praktiken bewusst gemacht werden, die die Teilnehmenden bereits (unbewusst) anwenden. Die Bewusstmachung vorhandener mathematischer Fähigkeiten und Fertigkeiten bestärkt die Lernenden in ihrem Handeln. Individuelle Ressourcen und Alltagssituationen können zum Gegenstand weiterer Lehr-Lern-Prozesse im Sinne von Anschlusslernen genutzt werden. Es ist davon auszugehen, dass mathematische Lernprozesse den Teilnehmenden leichter fallen und sie sich auf einen Lernprozess einlassen, wenn sie an bisheriges Können anschließen und damit Bezug nehmen auf ihre jeweiligen subjektiven Gründe. Das Abfragen von formalisiertem Wissen und dessen Bewertung würde in diesem Zusammenhang eher kontraproduktiv wirken.
Was bedeutet Numeralität als soziale Praxis für mich als Kursleitende?
Für Lehrende in der Grundbildung ist es hilfreich, sich mit dem Ansatz Numeralität als soziale Praxis vertraut zu machen, um ein Bewusstsein für die meist unsichtbaren, unbewussten numeralen Praktiken von Teilnehmenden zu entwickeln. Kapitel drei unserer Publikation hilft hierbei [i]. In diesem Zusammenhang werden individuelle Konzepte und Einstellungen von Kursleitenden zur Numeralität reflektiert und es wird über individuell bedeutsame Zuschreibungen, Werte, Haltungen und Emotionen sowie über das eigene Verständnis von Alltagsmathematik diskutiert.
Durch die Anerkennung individueller numeraler Praktiken und Lösungsstrategien der Lernenden, die u. U. von standardisierten Rechenwegen abweichen können, nehmen Lehrende und Mitlernende eine wertschätzende Haltung in Bezug auf die (individuellen biographischen) Erfahrungen der Teilnehmenden ein. Dies stärkt zugleich das Selbstwirksamkeitserleben der Lernenden und kann motivierend auf den weiteren Lernprozess wirken. Der Ansatz Numeralität als soziale Praxis ermöglicht einen differenzierten Blick, der über das allgemeine Verständnis von Mathematik/Numeralität als einer abstrakten und neutralen Kulturtechnik hinausgeht. Es wird damit ein Raum eröffnet für individuelle Erfahrungen und subjektives mathematisches Wissen. Deutlich wird, dass es im mathematischen Handeln zuweilen nicht nur eine richtige Lösung gibt, sondern dass verschiedene Wege zum Ziel führen. Bisherige ablehnende Einstellungen und Haltungen zu Mathematik/Numeralität sogenannter bildungsungewohnter Teilnehmender können sich durch ein solches Lehr-Lernsetting verändern.
CC BY-SA 3.0 DE by Melanie Benz-Gydat, Antje Pabst & Christine Zeuner für wb-web (11.09.2023)
Numeracy - Alltagsmathematik
Alltagsmathematische Kompetenzen sind stets in unserer Gesellschaft gefordert. Im Supermarkt die Lebensmittelpreise überschlagen, im Handwerk Maßeinheiten berechnen oder bei der ehrenamtlichen Hilfe beim Schulbasar das richtige Wechselgeld herausgeben, sind nur einige Beispiele. Damit Betroffene sich nicht vor Scham zurückziehen, beruflich scheitern oder ihre gesellschaftliche Teilhabe verlieren, ist es wichtig, über Hilfs- und Netzwerkangebote zu informieren. Außerdem müssen Lehrende geschult werden, um den Lernprozess entsprechend begleiten zu können.