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Keep on statt drop out in der Alphabetisierung und Grundbildung

Das Bild zeigt aufgeschlagene Bücher

Pile of Books, CC0, Photo by Pixabay from Pexels: https://www.pexels.com/photo/pile-of-books-159866/

Das Projekt „DRAG – Drop-out in der Alphabetisierung und Grundbildung“ gibt aufschlussreiche Ergebnisse zur bislang weitgehend unerforschten Problematik von Bildungsabbrüchen in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Es  hat auch Gründe für den Ausfall  von Lehrenden untersucht.

Wie können Erwachsene mit Grundbildungsbedarf erreicht, zum Lernen aktiviert und langfristig motiviert werden? Welche Rolle spielen die Alpha-Levels bei dieser zentralen Herausforderung der Alphabetisierung und Grundbildung?  Und wie kann vermieden werden, dass Lernende aus Bildungsangeboten aussteigen? 

6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben, doch weniger als 1 Prozent nehmen an Bildungsangeboten teil. Dies geht aus zentralen Ergebnissen der „LEO-Studie 2018“ hervor, die die Lese- und Schreibkompetenzen der Deutsch sprechenden erwachsenen Bevölkerung (18-64 Jahre) differenziert nach „Alpha-Levels“ erfasst hat.

Dabei beschreiben die sogenannten Alphalevels die Kompetenzstufen des Lesens und Schreibens:

Überblick Alpha-Levels, Eigene Darstellung

Überblick Alpha-Levels, Bild: Eigene Darstellung

Wie aus der Grafik hervorgeht, sind auf dem Alpha-Level 2 z. B. das Lesen und Schreiben einzelner Wörter möglich, die Kompetenzen reichen jedoch nicht bis zur Satzebene, während Personen auf dem Alpha-Level 4 auf Satz- und Textebene lesen und schreiben können, jedoch nicht in der Lage sind, dies fehlerfrei und flüssig zu tun. Die Fähigkeiten von „gering Literalisierten“ werden den Alpha-Leveln 1-3 zugeschrieben. Das heißt, dass eine Person mit geringer Literalität „allenfalls bis zur Ebene einfacher Sätze lesen und schreiben kann“ (Grotlüschen et al., 2019, S. 4).

Die Alpha-Levels und entsprechende Diagnostiken sind wichtig, um Lernenden ein passendes Lernangebot unterbreiten zu können. So bieten z. B. Volkshochschulen eine Kurzdiagnostik an, die für die Beratung vor Kursbeginn aber auch im Kurs selbst angewandt werden kann (Alpha-Kurzdiagnostik). Eine solche Diagnostik und Einstufung der Lernenden auf das passende Alpha-Level ist wichtig, um Abbrüche (Drop-out) der Teilnehmenden in den Lernangebote zu minimieren.

Warum steigen Lernende aus?

Der bislang weitgehend unerforschten Problematik von Bildungsabbrüchen in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung ist das Projekt „DRAG – Drop-out in der Alphabetisierung und Grundbildung“ nachgegangen. Hierbei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt der Universität zu Köln (UzK) und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), das von 2021 bis 2023 die individuellen und strukturellen Ursachen des Drop-outs von Lernenden erforschte und Präventions- und Interventionsmaßnahmen herausarbeitete.

Dabei haben die im Rahmen des Projekts vorgenommenen Befragungen ergeben, dass Zielgruppen durchaus bereit sind, Bildungsangebote wahrzunehmen, dass es oft jedoch äußere Faktoren sind, die zum Kurs-Abbruch bzw. zum Verzicht auf Folge-Kurse führen. Dazu zählen unter anderem der Mangel an Lehrkräften oder die fehlende Übereinstimmung zwischen einem Bildungsangebot und den individuellen Kompetenzen.

Neben Über- und Unterforderung lassen sich Abbrüche auch auf emotionale und mit den eigenen Lebensumständen verbundene Faktoren zurückführen. So kann es z. B. sein, dass in anderen Kursen schlechte Erfahrungen gesammelt wurden oder sich der Besuch eines Bildungsangebots mit den familiären Verpflichtungen nur schwer vereinbaren lässt.

Um Bildungsabbrüche zu vermeiden, ist es wichtig, dass Lehrende für die Gründe, die zum Drop-out führen können, sensibilisiert werden. So können sie das Lernsetting entsprechend gestalten, im Kurs individuelle Bedarfe berücksichtigen und entsprechende Unterstützung bieten.

Drop-out von Lehrenden

Doch nicht nur Lernende, auch Lehrende steigen aus. Das Projekt untersuchte auch die Strukturen, Arbeits- und Rahmenbedingungen, die Lehrtätigkeiten im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung definieren sowie die Ursachen und Risikofaktoren für Drop-out beim Lehrpersonal. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass es vor allem die inhaltlich sehr anspruchsvolle Arbeit und herausfordernden Zielgruppen, bei wenig Material und Ressourcen und zu viel Bürokratie in Kombination mit schlechten finanziellen Aussichten und Zukunftsperspektiven sind, die Lehrende zum Abbruch bewegen.

Auf Basis der Ergebnisse ist eine Handreichung (DRAG-D_Circles_of_Influence) entstanden, die an das Modell „Circles of Influence“ von Steven Covey angelehnt ist. Sie zeigt, wie Voraussetzungen geschaffen werden können, um dem Drop-out von Lehrenden entgegenzuwirken. Dabei spielt Selbstwirksamkeit eine entscheidende Rolle.

Die Handreichung macht deutlich, wie die verschiedenen Akteursgruppen ihre Selbstwirksamkeit auf verschiedenen Ebenen steigern können, indem sie lernen zu unterscheiden zwischen dem:

  • was sie selbst beeinflussen können (Circle of Control).
  • was sie nur bedingt beeinflussen aber anregen können (Circle of Influence).
  • was sie selbst nicht beeinflussen können (Circle of Concern).

Der Circle of Concern stellt emotional die größte Herausforderung dar. Wenn Lehrende Energie für Aspekte aufbringen müssen, für die sie nicht verantwortlich sind bzw. deren Umsetzung nicht in ihren Händen liegt, erzeugt dies Stress. Besonders Neueinsteiger*innen im Beruf tendieren dazu, ihren Fokus auf ihren Circle of Concern zu setzen, wenn sie beginnen, sich mit ihren Teilnehmenden und deren Probleme auseinanderzusetzen (Page und Page, 2007, S. 6). Daher regt das Modell die Beteiligten dazu an, sich vor Augen zu führen, welche Möglichkeiten tatsächlich in ihrem eigenen Handlungsspielraum liegen und ihren Fokus auf diese zu richten.

Im Sinne des Circle of Control können Lehrende sich z. B. vorab gut über die Zielgruppe informieren, um sie besser einzuschätzen. Sie können sich durch Weiterbildungen Strategien zum Umgang mit heterogenen Zielgruppen aneignen und diese bereithalten. Sie können lernen, ihre eigenen Grenzen zu wahren, wenn es um den Umgang mit persönlichen Problemen und Schicksalen sowie um die Annahme von zusätzlichen Betreuungsaufgaben geht. Sie haben außerdem die Möglichkeit, bei Belastungen das Gespräch mit den Kolleg*innen und dem Auftraggeber zu suchen.

Im Sinne des Circle of Influence können sie z. B. den Auftraggeber um Arbeitszeiten bitten, die zu ihrer persönlichen Lebenssituation passen, sodass sie hier nicht zusätzlich belastet werden. Gleichzeitig liegt es jedoch in der Verantwortung von Bildungsplanenden, die Bedürfnisse von Lehrenden zu berücksichtigen und Strukturen zu schaffen, in denen diese professionell arbeiten können. Auch liegt es an ihnen, Unterstützung in Bezug auf herausfordernde Situationen zu bieten und dafür zu sorgen, dass bei Schwierigkeiten eine Ansprechperson zur Verfügung steht und Überlastungen verhindert werden. Im Rahmen ihres Circle of Influence können sie Lehrende umgekehrt auf Netzwerke und Fortbildungsangebote sowie (wenn möglich) auf die Übernahme von Fortbildungskosten hinweisen.

Die Handreichung richtet sich sowohl an Lehrende als auch an andere Akteursgruppen (Politik, Einrichtungen, Kollegen und Kolleginnen, Stakeholder, Öffentlichkeit, Kursteilnehmende) und macht damit deutlich, wie wichtig die Kooperation und Kommunikation zwischen den Beteiligten ist, denn oft befinden sich Maßnahmen im Handlungsspielraum einer anderen Akteursgruppe. Auch beim Drop-out von Lernenden spielen Kommunikationsstrukturen und  Zusammenarbeit eine wichtige Rolle. Durch die Schaffung geeigneter Lernsettings und Brückenangebote, die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse sowie die Bereitstellung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten durch die Bildungseinrichtung und Lehrende können Abbrüche vermieden und Kompetenzen langfristig gefördert werden.

CC BY-SA 3.0 DE by Christina Münder für wb-web (2025)


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