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Games for Good

Games for Good ist eine Initiative um Menschen mit Spielen zu helfen. Im Rahmen  dieser Initiave entstand das Spiel Sea Hero Quest, dessen Entwicklung die Deutsche Telekom AG unterstützt. Prof. Dr. Stephan Brandt begleitet das Forschungsprojekt zur Demenzforschung.  In dem folgenden Interview berichtet er über den Stand der Demenzforschung und die innovativen Möglichkeiten, die die Forschung mit einem Onlinespiel im Beispiel Sea Hero Quest erstmals nutzt.

Das Interview stellt die Deutsche Telekom AG dem Portal wb-web zur Verfügung.

Lesen Sie auch unser Interview mit Vertretern der Telekom AG  über die Idee von Sea Hero Quest.

Bild: Sea Hero Quest mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Telekom AG


Was ist Ihre Funktion im Projekt „Games for Good“?

Ich bin ein unabhängiger wissenschaftlicher Berater und habe keinen direkten Anteil an der Entwicklung des Spiels. Meine Aufgabe ist es, aus Sicht eines Arztes und eines mit dem Forschungsbereich vertrauten Experten das „Game for Good“-Projekt zu begleiten und dabei z.B. Fragen der Öffentlichkeit zu beantworten.  

Sie arbeiten in der Neurologie der Charité über Erkrankungen des Gehirns. Wo besteht die Verbindung zu Fragestellungen und der Forschung mit Demenzpatienten?

In der Neurologie der Charité werden Patienten mit unterschiedlichsten Erkrankungen des Nervensystems behandelt. Dazu gehören insbesondere auch alle Formen der Demenzerkrankungen. Also nicht nur die in der Öffentlichkeit bekannte Alzheimer Erkrankung, sondern u.a. auch kognitive Einschränkungen der Hirnleistung nach einem Schlaganfall. Nicht selten kommt es auch hier zu Orientierungsstörungen, die für die Betroffenen alltagsbestimmend sein können. In meiner Funktion als Neurologe beschäftige ich mich also auch mit Demenzerkrankungen. Als Leiter der Arbeitsgruppe „Vision and Motor Research Group“ an der Charité Berlin beschäftige ich mich zudem mit Navigationsverhalten und vor allem mit räumlicher Orientierung und räumlicher Aufmerksamkeit. D.h. hier habe ich als Wissenschaftler eine Expertise, die ich für „Sea Hero Quest“ einbringen kann. 

Vor welchen grundsätzlichen Herausforderungen steht die Demenzforschung? (Hinsichtlich Datenerhebung, Diagnostik, Behandlung, Möglichkeiten der Prävention und Vorsorgeuntersuchungen, Ursachen der Erkrankung, etc.)

Die entscheidendste Herausforderung ist, dass es bislang keine Therapie gibt, die Demenzen aufhalten, stoppen oder gar umkehren können. Die meisten Forschungsprojekte zielen aber darauf ab, hierzu einen Beitrag zu leisten. Das kann auch in Form einer Früherkennung sein, die uns – den Forschern – hilft zu verstehen, was die Demenz von „normalen“ Alterungsprozessen unterscheidet. Fragen hierzu sind z.B.:  Was ist denn noch gesund? Was ist in welchem Alter normal? Diese Fragen kann man zu den unterschiedlichsten Hirnleistungen stellen, so z.B. zum Gedächtnis. Für viele andere auch alltagsrelevante Leistungen (z.B. räumliche Orientierung) ist das aber unzureichend erforscht. Hier setzt das von der Telekom initiierte Forschungsprojekt „Sea Hero Quest“ an. 

Was ist das Ziel des Projekts „Game for Good“ aus Sicht der Forschung? Auf welche Fragen erwartet man von der Alzheimer-Forschung Antwort durch die mit „Sea Hero Quest“ erhobenen Daten?

In einem Forschungsantrag müssen Ziele und Fragestellungen formuliert werden, die einer systematischen Überprüfung zugänglich sind. Daher müssen die sogenannten „Aims“ (Absichten) und Hypothesen sehr sorgfältig formuliert werden. Zusammengefasst kann man aber sagen, dass es zwei Hauptziele gibt: 1. Die demographischen und umgebungsabhängigen Einflussfaktoren (städtisches oder ländliches Umfeld) zu erfassen, die bei Gesunden aller Altersgruppen das Navigationsverhalten bestimmen. 2. Die Methoden des „machine-learnings“ anzuwenden, um Prädikatoren (Voraussagen) über das Navigationsverhalten in bestimmten Alters- und Erfahrungsgruppen berechnen zu können. 

Welche Elemente enthält das Spiel, um diese Fragen zu beantworten?
Bitte beschreiben Sie die wesentlichen Elemente.

Zunächst handelt es sich um einen sogenannten „Gaming Ansatz“. Es geht also nicht um eine App, in der in Fragebögen oder in einzelnen Leistungstests Hirnfunktionen strukturiert geprüft werden. „Sea Hero Quest“ ist also kein diagnostisches Werkzeug, kein Test für eine mögliche Demenzerkrankung und auch keine Leistungsbeurteilung. „Sea Hero Quest“ soll Spaß machen und gleichzeitig Daten für die Wissenschaft generieren. Es ist vielmehr ein mobiles Spiel für jedermann! Aufgabe des Spielers ist es Wege zu finden, die zuvor auf einer Karte gezeigt wurden. Der Spieler soll dann mit einem Boot, das er selbst steuern kann, unter Berücksichtigung von Landmarken möglichst zielstrebig einen Weg zurücklegen. Bei anderen Aufgaben sind die Spieler zum Beispiel aufgefordert, eine Leuchtrakete zurück zu dem Punkt zu schicken, an dem sie gestartet sind. Wissenschaftler können so feststellen, wie gut Spieler ihren Startpunkt zurückverfolgen können. 

Unterscheidet sich das Spiel im Aufbau von anderen vergleichbaren Spielen?

Das Besondere an dem Spielkonzept ist, dass man durch die unterhaltsamen Aufgaben systematisch dazu inspiriert wird, verschiedene Arten der räumlichen Orientierung anzuwenden und bestimmte Transferleistungen zu machen, die den Charakter einer neuropsychologischen Untersuchung haben. Dabei erfasst die Software die Wege, die zurückgelegt werden, Reaktionszeiten und Fehler. Mit diesen Messdaten kann man auf das Navigationsverhalten schließen und eine großflächige und systematische Datenerhebung des Orientierungsverhaltens durchführen. Wenn die Spieler zustimmen, werden außerdem noch epidemiologische Informationen über Alter, Geschlecht und Land erhoben. Auch diese Daten werden anonym der Auswertung zu Forschungszwecken zu Verfügung gestellt.

Was ist die Zielgruppe des mobilen Spiels – und weshalb?

 Jeder kann das Spiel spielen. Aber nur Daten von Spieler über 18 Jahren werden für die Forschung genutzt. Es wäre aus Forschungssicht besonders wertvoll, wenn möglichst viele Altersgruppen vertreten wären, unabhängig davon, ob sie einen geübten Umgang mit elektronischen Medien und Spielen haben oder nicht. Genau hierin liegt die besondere statistische Stärke dieses Forschungsansatzes von „Sea Hero Quest“. Durch die Masse der Teilnehmer wird es eher möglich sein Alters-, Geschlechter-, und erfahrungsübergreifende Normdaten abzuleiten.

Zur Laufzeit des Projekts: Wie lange werden Daten via „Sea Hero Quest“ erhoben? Wann rechnen Sie mit ersten verwertbaren Daten bzw. Datenmengen?

 Die Datenauswertung beginnt mit der Veröffentlichung von „Sea Hero Quest“ im App Store und bei Google Play. Es ist im Vorfeld immer schwer zu prognostizieren, wie lange die Datenakquise dauern wird, da sie entscheidend von der Anzahl der Spieler, der gespielten Spiele und der „Qualität“ der Daten abhängen wird. Die Erwartung ist, dass von Beginn an verwertbare Daten eingehen und von da an stetig – zunächst einmal über den Verlauf von etwa zwei Jahren – Auswertungen und Analysen durchgeführt werden.  

Wie viele Spieler müssen wie lange spielen, bis sich brauchbare Daten erheben lassen?

Alle Daten sind brauchbar! Die Aussagekraft wird umso höher, desto mehr Daten man hat. Je mehr Menschen also „Sea Hero Quest“ spielen, desto besser. 

Welche Vorteile versprechen Sie sich von der Datenerhebung mithilfe eines mobilen Spiels für die Grundlagenforschung für Demenz (im Gegensatz oder in Ergänzung zur herkömmlichen Datenerhebung)?

Wesentlicher Unterschied ist, dass mit dem „Game for Good“ Projekt der Telekom eine große Anzahl an gesunden Teilnehmern (Probanden) dazu beitragen wird, für die Wissenschaft so genannte „Normwerte“ für eine komplexe und alltagsrelevante Hirnfunktion – die räumliche Orientierung – zu gewinnen. Der Vorteil liegt also in der Quantität der Daten. 

Bitte beschreiben Sie wie Navigationsverhalten und räumliche Orientierung bisher untersucht werden?

Kurz gesagt gibt es nur wenige standardisierte Testverfahren, die das Navigationsverhalten ausführlich untersuchen. In der Öffentlichkeit sind diese kaum bekannt, Beispiele reichen von „CANTAB“, einem Test für kognitive Funktionen, bis „Neuroracer“, einem kognitiven Trainingsspiel. Bei beiden Beispielen handelt es sich um strukturierte neuropsychologische Untersuchungen. Diese sind aber nicht frei zugänglich und meist kostenpflichtig. „Raus aus dem Untersuchungslabor, hinein in die Alltagswelt““ – das ist eine Formel, mit der man „Sea Hero Quest“ im Vergleich zu bisherigen Studien charakterisieren kann. 

Gibt es vergleichbare Versuche (evtl. auf anderen Forschungsgebieten), Massendaten für Forschungszwecke zu erheben?

Spontan fällt mir für eine kognitive Aufgabe kein vergleichbar großes Projekt ein. Am nächsten kommt dem vielleicht das „Great Brain Experiment“. „Sea Hero Quest“ ist bisher einmalig mit seinem Anspruch, die breite Bevölkerung zum Spielen zu motivieren. 

Was versprechen Sie sich in gesellschaftlicher Hinsicht von dem Projekt „Game for Good“?

Erstens kann man davon ausgehen, dass bei ausreichender Verbreitung des Spiels „Sea Hero Quest“ die Aufmerksamkeit für das Krankheitsbild der Demenz und die damit verbundene Einschränkungen, z.B. der Orientierung, bekannt gemacht werden. Das ist für sich genommen schon ein positiver gesellschaftlicher und medizinischer Mehrwert.

Zweitens gibt es die oben begründete Hoffnung, dass die Daten direkt zum Nutzen der Forschung Verwendung finden und damit einen relevanten Beitrag für die Wissenschaft und die medizinische Anwendung erbringen können. 

Welche Hoffnung haben Sie für die Hirnforschung allgemein in Hinsicht auf Datenerhebungsverfahren durch Crowdsourcing?

Dieses Experiment wird mir ganz persönlich helfen, in Zukunft die Möglichkeiten des „Crowdsourcing“ besser einschätzen zu können. Fragen Sie mich in ca. einem Jahr nochmals. 

Hintergrundinformation

In Deutschland leben gegenwärtig etwa 1,5 Millionen Demenzkranke; zwei Dritte von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Jahr für Jahr treten mehr als 300.000 Neuerkrankungen auf. Infolge der demografischen Veränderungen kommt es zu weitaus mehr Neuerkrankungen als zu Sterbefällen unter den bereits Erkrankten. Aus diesem Grund nimmt die Zahl der Demenzkranken kontinuierlich zu. Sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt, wird sich nach Vorausberechnungen der Bevölkerungsentwicklung die Krankenzahl bis zum Jahr 2050 auf etwa 3,0 Millionen erhöhen Dies entspricht einem mittleren Anstieg der Zahl der Erkrankten um 40.000 pro Jahr oder um mehr als 100 pro Tag.

 (Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft)