Christian Spoden Blog

Ehrenamtliches Engagement stärken

Das Bild zeigt die Tür eines Feuerwehrautos

Bild: Thomas Reincke "Freiwillige Feuerwehr Großholzleute" CC BY-SA 2.0, URL: https://t1p.de/i9okc

In diesem Beitrag wollen wir auf die Herausforderung des Personalmarketings für das Ehrenamt hinweisen und skizzieren, wie dieser Aufgabe im Rahmen eines projektorientierten Kurses nachgegangen werden kann. Denn das Ehrenamt leidet unter Nachwuchssorgen. Es wird eine Konzeption vorgestellt, die wir an der Hochschule Emden/Leer erprobt haben und weiterverfolgen werden und die auch für die Erwachsenen- und Weiterbildung genutzt werden kann. Wir möchten dazu motivieren, das Thema Ehrenamt stärker als Bildungsgegenstand wahrzunehmen und in Bildungsangeboten aufzugreifen.

Ehrenamt als Thema der Weiterbildung

Als Ehrenamt wird die Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes oder einer gesellschaftlichen Aufgabe mit produktiver Tätigkeit zu Gunsten Dritter und ohne Einkunftserzielung verstanden (Erlinghagen, 2013). Das Ehrenamt ist kein häufig diskutiertes Thema der Weiterbildung. Und dennoch beinhaltet das Ehrenamt viele Elemente, die typisch für das lebenslange Lernen sind. Das Ehrenamt ist ein klassischer informeller Lernort (Brödel, 2006), an dem sich Ehrenämtler Kompetenzen erarbeiten, die sie oft nachhaltig beeinflussen und die dennoch in der typischen Bildungsbiographie wenig Aufmerksamkeit erhalten. Im Rahmen von Validierungsprozessen (Schmid, 2023) müssen diese Kompetenzen stärker sichtbar gemacht werden. Das Ehrenamt ist eine Möglichkeit, bildungsfernen Menschen den Weg zu einer Bildungspartizipation zu ebnen, beispielsweise wenn Ehrenämtler Neuzugewanderte über Sprach- und Integrationskurse informieren, diese bei Beantragungsverfahren unterstützen oder als Paten Schulabbrechern oder funktionalen Analphabeten zur Seite stehen (Steuten, 2008). Aus Weiterbildungsperspektive ist für Forschung und Praxis interessant, welche Bildungsmotive und welches (wohlfahrtspflegerische) Kompetenzprofil – charakterisiert etwa durch Schlagworte wie soziale Fürsorge und Beratung – Ehrenämtler mitbringen, ebenso wie die Qualifizierungsnotwendigkeit zur Vorbereitung auf ehrenamtliche Tätigkeiten (Brödel, 2006; Steuten, 2008). Viele Ehrenämter – dies sollte nicht übersehen werden – beinhalten auch originär pädagogische Aufgaben. Man denke etwa an die vielen ehrenamtlich tätigen und Übungen leitenden Personen in Jugendverbänden und Sportvereinen. Schließlich spielt aus Perspektive der Forschung und Praxis der Weiterbildung auch die Gewinnung der Ehrenamtlichen für Aufgaben in der Weiterbildung eine Rolle (Steuten, 2008). An diesen Beispielen lässt sich bereits die Vielschichtigkeit des Themas „Ehrenamt“ verdeutlichen (für wissenschaftliche Aufarbeitungen und Erläuterungen siehe etwa Brödel, 2006; Erlinghagen, 2013; Gensicke, 2006; oder Steuten, 2008).

Die Konzeption

Die Unterstützung des Ehrenamtes ist in eine projektorientierte und problemzentrierte Lehrveranstaltung im wirtschaftspsychologischen Studium an der Hochschule Emden/Leer eingebettet. Als projektorientierte und problemzentrierte Lehrveranstaltung wird hier ein didaktisch fundierter Lehransatz verstanden, bei dem eine fachwissenschaftliche Fragestellungen mit realen gesellschaftlichen Herausforderungen in Kooperation mit außeruniversitären Partnern unter Einbezug von Elementen des Projektmanagements erprobt wird (z.B. Nichols et al., 2016). Der Prozess wird oft durch die Phasen „Engage“, „Investigate“ and „Act“ beschrieben (Tab. 1). In der „Engage“-Phase wird eine persönliche Beziehung zu einer großen Idee, einem umfassenden Konzept von Bedeutung für eine größere Community, hergestellt und die Lernenden setzen sich mit diesem Konzept auseinander. Die Auseinandersetzung läuft auf die Identifizierung einer wesentlichen Fragestellung oder Herausforderung mit persönlicher Bedeutung für die Lernenden hinaus. Die „Engage“-Phase endet mit einem Aufruf zum Handeln. In der „Investigate“-Phase führen die Lernenden dann inhalts- und konzeptbasierte Analysen durch, um eine Grundlage für umsetzbare und nachhaltige Lösungen zu schaffen. Dies geschieht üblicherweise über die Formulierung von Leitfragen. Die Fragen werden kategorisiert und priorisiert und es werden die notwendigen Ressourcen und Aktivitäten zu ihrer Beantwortung zusammengetragen. Nachdem alle Leitfragen beantwortet und die Ergebnisse der Leitaktivitäten aufgezeichnet wurden, werden Schlussfolgerungen entwickelt, die als Grundlage für den Lösungsprozess dienen. Die Beteiligten dokumentieren, teilen und reflektieren dabei kontinuierlich ihren Lernprozess. In der „Act“-Phase werden daraus Lösungsansätze abgeleitet, idealerweise dann getestet und schließlich evaluiert und präsentiert.

Die Tabelle zeigt die Phasen Einsteigen, Untersuchen und Handeln in einer projektorientierten und problemzentrierten Lehrveranstaltung

In unserer, regelmäßig mit unterschiedlichen Praxispartnern durchgeführten Lehrveranstaltung erarbeiten die Studierenden als Team eine Projektkonzeption für ein Unternehmen oder eine Organisation und präsentieren diese in einem Halbzeit-Meeting und einer Abschlussveranstaltung. Parallel werden Inhalte des klassischen und agilen Projektmanagements, psychologische Befunde zu Gruppen und Teams, Aspekte des Zeitmanagements sowie die Evaluation von Projekten thematisiert. Ein projektorientierter und problemzentrierter Ansatz eignet sich für die Veranstaltung in besonderem Maße. Die ursprüngliche Zielsetzung war, eine intensive Vernetzung der Hochschule mit regionalen Unternehmen herzustellen und den Studierenden erste Berufserfahrung im Bereich Projektmanagement zu ermöglichen.

Diese Konzeption könnte nahelegen, dass die Studierenden aus der Auswahl verschiedener Projektthemen den Kontakt zu möglichen späteren Arbeitgebern gegenüber dem Ehrenamt-Thema bevorzugen würden. Doch tatsächlich war dies nicht der Fall. Die als Projektthemen angebotenen Ehrenamt-Projekte wurden von den Studierenden sehr positiv angenommen und gehörten bei der Wahl der Themen durch die Studierenden bislang stets zu den Beliebtesten. In ihren Rückmeldungen haben die Studierenden jeweils beschrieben, dass sie die Aufgabe reizt, einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen zu liefern. Hierbei dürfte auch eine Rolle spielen, dass sich die Arbeitswelt derzeit wandelt. Ein neues Arbeitsverständnis („New Work“), in dem speziell auch Werte und sinnstiftende Tätigkeiten eine größere Rolle einnehmen, ist von den Studierenden bereits verinnerlicht worden. Allerdings sollte auch angemerkt werden, dass junge Menschen sowieso seit Jahren zur ehrenamtlich aktivsten Personengruppe gehören (Gensicke, 2006).

Ehrenamt als ein besonderes Projektthema: Beispiel Personalmarketing für die Feuerwehr

In der Veranstaltung im Sommersemester 2023 erarbeiten die Studierenden nach den Prinzipien des Projektmanagements für eine regionale Feuerwehr eine Personalmarketingkonzeption. Die Feuerwehr leidet stark an Nachwuchsmangel. Die sowieso schon schwierige Situation bei der Gewinnung von Kindern und Jugendlichen für die freiwillige Feuerwehr ist durch die Monate der Covid-19-Pandemie, in der der Kontakt zur Zielgruppe weggefallen war, noch einmal problematischer geworden. Auch hat es sich für die Feuerwehr bereits seit langer Zeit als schwierig erwiesen, Frauen für ihre Tätigkeiten zu gewinnen.

Diese Situation ist von den Studierenden unmittelbar in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen als Herausforderung wahrgenommen worden. Gemeinsam mit der Feuerwehr wurden bisherige Maßnahmen (Interventionen) besprochen, um die Situation zu verbessern, und Hindernisse (z.B. nicht mehr zeitgemäße Werbeaktionen) diskutiert. Entsprechend der Zielsetzung der Lehrveranstaltung haben die Studierenden bisher erworbene psychologische und ökonomische Kenntnisse herangezogen, um konkrete Maßnahmen zum Erreichen der oben genannten Zielgruppen zu entwickeln und die Erfolgswahrscheinlichkeiten für die Maßnahmen abzuschätzen. Schließlich wurde ein Konzept erarbeitet und der Feuerwehr präsentiert, dass eine ganze Reihe von Maßnahmen zum Personalmarketing (von Social-Media- bis Guerrilla-Marketing) beinhaltete. In Absprache mit der Feuerwehr wird dieses Konzept nachfolgend erprobt und zumindest in Teilen anschließend in die Umsetzung gehen.

Schlussfolgerungen

Bei der Arbeit in der Lehrveranstaltung und dem intensiven Austausch über die Herausforderungen beim Ehrenamt ist deutlich geworden, dass Personalmarketing in Zeiten des Fachkräftemangels nicht nur für Unternehmen von großer Bedeutung ist. Offene Stellen müssen in der aktuellen Situation nicht selten durch Mehrarbeit der Beschäftigten ausgeglichen werden. Da fällt es besonders schwer, Menschen für zusätzliche Aktivitäten und das Ehrenamt zu motivieren. Gleichzeitig beinhaltet der Wandel der Arbeitswelt und eine intensivere Auseinandersetzung mit sinnstiftenden Tätigkeiten aber auch eine gute Chance, Menschen für das Ehrenamt, einen klassischen informellen Lernort, zu gewinnen. Wie Steuten (2008) angedeutet hat, gewinnt die Ehre bzw. das „Ehrenamt“ nämlich gerade in den derzeit vielbeschworenen Zeiten der Krisen den Status einer Art „Anerkennungskapital“. Diese Chance gilt es aus unserer Sicht zu nutzen, gerade auch im Bereich der Weiterbildung. Mit diesem Beitrag möchten wir daher dazu motivieren, das Thema Ehrenamt stärker als Bildungsgegenstand wahrzunehmen, es in Bildungseinrichtungen von der Schule, über die Ausbildung, bis in die Erwachsenen- und Weiterbildung stärker zu thematisieren und in Lehrveranstaltungen und Kursen Lösungen für die Herausforderungen des Ehrenamtes zu entwickeln. Auch könnten Unternehmen und andere Organisationen Orte und Räume für die Auseinandersetzung mit dem Ehrenamt einrichten: Mitarbeiter*innen kommen dort zusammen, engagieren sich sozial und verwirklichen ihre sozialen Anliegen und geben ihrem Wirken einen erweiterten Sinn. Diese Grundidee birgt großes Potenzial, denn so kommen Menschen aus den unterschiedlichen Bereichen zusammen, lernen einander neu kennen und schätzen, der Zusammenhalt in der Organisation kann wachsen. Auch für die Bildungseinrichtungen selbst und die darin tätigen Lehrenden ist die Auseinandersetzung mit dem Thema von Vorteil. Schließlich werden auch diese dem beschriebenen Wertewandel in der Arbeitswelt gerecht werden und die Frage nach sinnstiftenden Aktivitäten im Gemeinwohl stärker noch als bisher positiv beantworten wollen. Die vorgestellte Lehrkonzeption liefert dazu einen Ansatz.

Autoreninformationen

Christian Spoden, Dr. phil., Professor für Psychologie mit dem Schwerpunkt Allgemeine Psychologie, Methodenlehre und Differentielle Psychologie an der Hochschule Emden/Leer. Aktuell Studiengangsverantwortlicher für den Studiengang Wirtschaftspsychologie (B. A.). Forschungsschwerpunkte: Psychometrie, psychologische Diagnostik, Forschung-Praxis-Transfer im Bereich Weiterbildung. 

 Manfred Hoogestraat, Dr. phil. Dipl. Ing., Schwerpunkte Strategisches Management, Marketing & Vertrieb, Embedded Systems. Aktuell Unternehmer, Business Angel und Geschäftsführer des Instituts für Projektorientierte Lehre.

CC BY-SA 3.0 DE  by Christian Spoden und Manfred Hoogestraat für wb-web (2023)


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