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Das Ehrenamt: Freiwilligenarbeit will gelernt sein

Unter dem Stichwort „Willkommenskultur“ bildet die Evangelische Erwachsenenbildung zusammen mit den Beratungsdiensten der Diakonie an Sieg und Rhein (Freiwilligen-Agentur, Flüchtlingsberatung, Integrationsagentur) und der Flüchtlingsinitiative Siegburg Lohmar e.V.,  Hilfswillige in Workshops aus. Die (für die Freiwilligen) kostenfreien Seminare beantworten Fragen der Helfer/innen und unterstützen sie in ihrem ehrenamtlichen Einsatz.  Birgit Binte-Wingen und Andrea Eisele organisieren diese Workshops.

Profilbild von Birgit Binte-Wingen

Birgit Binte-Wingen leitet die Freiwilligenagentur für den Rhein-Sieg-Kreis, eine Einrichtung des Evangelischen Zentrums für Diakonie und Bildung in Siegburg. (Bild:  © Binte-Wingen)

wb-web: Was gab den Anstoß für die Seminare?

Binte-Wingen: Immer mehr Menschen meldeten sich (ohne, dass wir in den Medien dafür geworben haben) in der Freiwilligen-Agentur und in der Flüchtlingsberatung, um zu erfragen, wie und wo sie Flüchtlinge unterstützen können. Parallel dazu haben die Städte und Gemeinden im Rhein-Sieg-Kreis erkannt, dass sie die Bevölkerung beteiligen müssen, um eine gute Willkommenskultur für Flüchtlinge zu schaffen. Im Rhein-Sieg-Kreis gestaltet sich derzeit eine wunderbare Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden, Kirchen aller Konfessionen, Vereinen, Privatpersonen, Geschäften und den Kommunen. Durch Schaffung von Möglichkeiten der Begegnung und einem „Miteinander gestalten“ können Ängste und Befürchtungen vorgebeugt werden. Das Gegenüber wird in der Begegnung als Mensch wahrgenommen.
Damit die Begegnung und auch die Begleitung gelingen, ist es für die Freiwilligen wichtig, dass Sie sich vorbereiten. In den von uns angebotenen Vorbereitungsworkshops, Infoveranstaltungen und Seminaren geht es um unterschiedlichste Themen:

  • Grundlagen: Wie und woher kommen Flüchtlinge zu uns? Aufenthaltsrecht, Versorgung, Unterbringung, Arbeit, Spracherwerb
  • eigene Haltung: ehrenamtliches Engagement im kultursensiblen Kontext – der eigene Umgang mit Vielfalt; Auseinandersetzung mit „dem Eigenen“ und „dem Fremden“
  • niederschwellige Unterstützung im Spracherwerb: Wie wird Sprache gelernt? Unterschiedliche Vorrausetzungen der Flüchtlinge? Einführung in einfache Materialien

Ergänzend geplant sind Fachvorträge zu Themen wie: Asylverfahren, Dublin-Verfahren, Aufenthalt und Aufenthaltsbedingungen, Gesundheit und Traumatisierung, Info zu den Herkunftsländern und deren Kulturen, Gesprächsführung im Ehrenamt, Versicherung im Ehrenamt.

wb-web: Was sind die Aufgaben der Ehrenamtlichen?

Binte-Wingen: Freiwillige übernehmen vielfältige Aufgaben! Beginnend mit der Begleitung zum Arzt und zu Behörden, Anmeldung der Kinder in der Schule, Unterstützung im Alltag bei Fragen wie „Wo gehe ich einkaufen“, „Wo und wie bekomme ich Kleidung“, „Wo finde ich den richtigen Sportverein für mein Kind oder mich selbst“, über Unterstützung im Erlernen der Sprache. Menschen im Asylverfahren haben kein Recht auf einen Sprachkurs. Wir organisieren kleine Lerngruppen mit Ehrenamtlichen, die in der Vermittlung von Sprache geschult wurden – z.B. für  junge Männer, die alleine geflohen sind, oder Frauen, Kleinkinder, Schüler und Jugendliche. Es geht darum, erste Begriffe und Sätze zu üben.
Freiwillige schaffen Begegnungen wie z.B. gemeinsames Kochen, Sport, Ausflüge, Nachbarschaftsfest u.v.m. Freiwillige helfen und unterstützen in allen Dingen des alltäglichen Lebens, damit die Menschen sich hier zurechtfinden und sich willkommen fühlen.

wb-web: Wie findet man Helfer? Ist es schwierig, Menschen für das Ehrenamt zu interessieren?

Binte-Wingen: In der Arbeit mit Flüchtlingen ist es überhaupt kein Problem, Menschen zu finden, die sich engagagieren wollen! Die Menschen melden sich unaufgefordert in großer Zahl.

wb-web: Was sind deren Beweggründe?

Binte-Wingen: Nur ein Teil der Freiwilligen hat einen eigenen Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung. In einer Studie über die Motive des bürgerschaftlichen Engagements des Instituts für Demoskopie Allensbach im August 2013 wurde eine ganze Reihe von Motiven für freiwilliges Engagement deutlich. Hauptmotive sind:

  • die Freude an der Tätigkeit für andere (95%),
  • anderen zu helfen (86%),
  • sich für bestimmte Anliegen oder Gruppen einzusetzen (82%),
  • das Gefühl, gebraucht zu werden (82%),
  • mit der eigenen Tätigkeit etwas zu bewegen (83%),
  • das Leben an ihrem Wohnort attraktiver zu machen (70%).

Zugleich spielen neben den altruistischen Antrieben Erwartungen eine große Rolle:

  • bei der freiwilligen Tätigkeit Leute zu treffen und Kontakte zu pflegen (82%),
  • Abwechslung zum Alltag zu erleben (67%) sowie
  • den eigenen Interessen und Neigungen nachzugehen (75%),
  • nicht zuletzt die Suche nach einer sinnvollen Aufgabe (65%).

In den Medien findet das Thema ja täglich seinen Platz. Leider stehen aber die Probleme der Kommunen mit den finanziellen Belastungen oft im Vordergrund. Aber es geht ja nicht nur darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf, zu essen und Kleidung zu geben.
Wir sehen täglich, welches Elend und welche Not in den Kriegsgebieten herrschen. Betroffenheit über das, was viele durchmachen müssen und dem Menschen innewohnende Hilfsbereitschaft sind die Hauptmotive. Nicht nur Freiwillige, die im Ruhestand sind, helfen, sondern auch viele, die noch voll im Beruf stehen und Familie haben.
Freiwillige wollen Flüchtlinge unterstützen, weil sie zeigen wollen, dass sie hier willkommen sind! Sie sind selbst gespannt auf die Begegnung und haben Freude daran, Menschen und andere Kulturen kennenzulernen und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

wb-web: Wie sind die Erfahrungen? 

Binte-Wingen: Gut! Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten und Missverständnisse wie in jedem anderen Bereich des freiwilligen Engagements, in dem sich Menschen begegnen. Da, wo Menschen aufeinander treffen und eventuell unterschiedliche Erwartungshaltungen im Raum stehen, ist es wichtig, sensibel miteinander umzugehen. Darauf zu achten, dass die Hilfe „auf Augenhöhe“ geschieht, ist in allen Bereichen des Engagements wichtig.

Aber in der Regel ist es eine wunderbare Win-win-Situation, in der nicht nur die Flüchtlinge Hilfe bekommen, sondern auch der Freiwillige über den persönlichen Gewinn berichtet.

wb-web: Welche Probleme können auftreten?

Binte-Wingen: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wie in allen Bereichen der Gesellschaft und des freiwilligen Engagements ist es auch in der Unterstützung von Flüchtlingen wichtig zu schauen, was mein Gegenüber braucht und möchte.
Sie mussten ihre Heimat und alle sozialen Bezüge verlassen und viele haben Schlimmes erlebt. Unsere Kultur und unser Alltag unterscheiden sich zum Teil massiv. Oft brauchen die Menschen erst mal „Zeit zum Ankommen“! Vertrauen aufzubauen und sich kennenzulernen braucht ebenfalls Zeit.
Wohlmeinende Angebote, statt zu fragen, was mein Gegenüber braucht, sensibel nach den Bedürfnissen des anderen zu schauen und zu fragen, ist hier wichtig.
Zwei einfache aber vielsagende Beispiele:
– Ein Freiwilliger organisiert für ein Kind aus einer Flüchtlingsfamilie eine Mitgliedschaft im ortsansässigen Sportverein, aber das Kind möchte lieber Geige spielen. Die Familie zeigt sich aus Höflichkeit dankbar für das Engagement, aber das Unverständnis und die Enttäuschung aufseiten des Freiwilligen ist da, weil das Kind nicht zum Training erscheint.
– Ein junger, gut ausgebildeter Flüchtling mit einem abgeschlossenen Ingenieursstudium und drei Sprachen sprechend, bedankt sich für alles, was ein Freiwilliger für ihn organisiert. Der junge Mann entzieht sich aber mehr und mehr den Begegnungen mit dem Freiwilligen, was bei diesem wiederum auf Unverständnis stößt. Nach einiger Zeit jedoch wird deutlich, dass der junge Mann seine Angelegenheiten gerne selber regeln möchte und nur wenig Unterstützung braucht.

wb-web: Was war ihr schönstes Erlebnis?

Binte-Wingen: Oh, das sind so viele in diesem Zusammenhang, dass es dieses Interview sprengen würde. Es macht mir und meinen Kolleginnen immer sehr viel Freude zu sehen, wie viel Glück, Zufriedenheit und „gutes Gefühl“ wir in den Gesichtern der Menschen sehen, die wir zusammenbringen konnten. Zum Beispiel vor ein paar Tagen:

Ein pensionierter Lehrer gibt seit Kurzem in unseren Räumen einem jungen Mann aus Syrien und einem Familienvater aus dem Irak täglich für drei Stunden Deutschunterricht. Beides sind gut ausgebildete Männer mit einem abgeschlossenen Studium und Berufserfahrungen. Aus dieser Zusammenarbeit ist ein enges Vertrauensverhältnis entstanden. Der Lehrer kümmert sich nun auch darum, dass einer der beiden nicht nur eine Matratze als Mobiliar in seinem Zimmer hat und der andere ein Fahrrad bekommt. Vor ein paar Tagen kam dann einer der beiden jungen Männer und sprach mit einem strahlenden Gesicht, zwar noch ein wenig holprig, auf Deutsch: „Der Lehrer ist toll!“ Es ist einfach nur schön, wenn alle drei sich nach getaner Arbeit mit einem Lächeln verabschieden.

wb-web: Wo gibt es Informationen, wenn man sich für ein Ehrenamt für Flüchtlingshilfe interessiert?

Binte-Wingen: Einfach mal nachfragen in den ortsansässigen Freiwilligen-Agenturen, Freiwilligen-Börsen, Freiwilligen Zentren (bundesweit zu finden auf der Seite der Bagfa: www.bagfa.de ).

Oder bei den evangelischen und katholischen Kirchen sowie bei den Städten und Gemeinden.

 Birgit Binte-Wingen leitet die Freiwilligenagentur für den Rhein-Sieg-Kreis, eine Einrichtung des Evangelischen Zentrums für Diakonie und Bildung in Siegburg.



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