Blog zurück auf OER-Weltkongress

Bildung für alle bis 2030 ist ein Ziel der UNESCO. Ein wichtiges Element, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Förderung von Open Educational Resources, kurz OER. Diese Offenen Bildungsressourcen sollen den kostenfreien Zugang zu Bildungsmaterialien für alle ermöglichen. Verkündet 2012 beim ersten OER-Weltkongress in Paris traf sich die globale OER-Szene im September in Ljubljana, um auf den Stand der Dinge in Sachen OER zu schauen und die zukünftige Entwicklung zu gestalten. Jan Koschorreck war dabei und berichtet für wb-web. Hier geht es zu Teil 1 des Blogbeitrags.

Teil 2

Merkley mahnt zu Öffnung von Bildung

Auch am zweiten Tag der Konferenz stand ich wie die anderen TeilnehmerInnen vor der schwierigen Wahl zwischen Hauptprogramm und den begleitenden Satellite Events. Der Tag begann mit der Keynote von Ryan Merkley, dem CEO der gemeinnützigen Organisation Creative Commons. Das von der Organisation veröffentlichte modulare Lizenzmodell hat sich zum Quasi-Standard der weltweiten OER-Bewegung entwickelt, was den prominenten Platz Merkleys und die gespannte Erwartung der Zuschauer erklärt, die im Saal zu spüren war. Er enttäuschte nicht: Als echter Evangelist der Öffnung von Bildung kritisierte Merkley die Vernachlässigung des Gemeinwohls - er führte dies auf die Fokussierung von Bildung auf das Individuum zurück -, um gleich darauf die Tatsache anzuprangern, dass die Menschen einer Gesellschaft nicht frei über Bildungsressourcen verfügen könnten, die sie schließlich mit ihren Steuern finanziert hätten.

Entschlossenheit der OER-Community gefordert

Er legte dar, dass Inklusion auch Zusammenarbeit und Teilen beinhalte und dass die Macht der Öffnung von Bildung nicht in der kostenlosen Verfügbarkeit, sondern im Freiraum liegt, der damit für Lehrende wie Lernende geschaffen wird. Für Merkley geht es um nicht weniger als die globale Transformation von Bildungsmodellen und letztendlich auch des Bildungsmarktes. Dazu brauche es den Aufbau von Gemeinschaften für Praktiker und Nutzer, eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung sowie Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten am Bildungsprozess. Für die Wiedererfindung der Zusammenarbeit spielt für Merkley das Internet eine zentrale Rolle. Den Zuhörern machte er keine Illusionen, dass in diesem Transformationsprozess kein Weg daran vorbeiführe, die „alten Imperien“ im Bildungsbereich zu verärgern und dass die OER-Bewegung deshalb Entschlossenheit brauche.

  In der Fragerunde im Anschluss an die Keynote wurde ein Szenario angesprochen, dass auch von Lehrenden der Erwachsenenbildung immer wieder problematisiert wird: Wie kann ich verhindern, dass unter CC-Lizenz geöffnete Materialien von anderen missbraucht werden? Merkleys Antwort war so einfach wie pragmatisch: Ein Akteur, der Material entgegen dem ursprünglichen Sinn missbrauchen will, wird sich nicht von Urheberrechten aufhalten lassen - ob nun eine offene Lizenzierung vergeben wurde oder nicht. Diese Fälle seien aber extrem selten, da die Vergabe einer offenen Lizenz den Respekt des Nutzers vor der Schaffensleistung des Gegenübers erfahrungsgemäß nicht verminderten. 

Spannungsverhältnis Wirtschaft und Bildung

 Derartig inspiriert entschloss ich mich zu einer Teilnahme an der Beratung zum Punkt 4 der Abschlusserklärung: „Changing Business Models“. Die Frage nach der Vereinbarkeit von offenen Bildungsressourcen mit wirtschaftlicher Existenz bzw. Geschäftsmodellen ist gerade im Bereich der beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung präsent und deshalb interessant. Zu meiner Irritation führte ein Vertreter des slowenischen Wirtschaftsministeriums in die Beratung ein, jeweils eine Präsentation von Vertretern von Microsoft und Cisco folgten. Im Anschluss entwickelte sich prompt eine kontroverse Diskussion um verschiedene Formulierungen und Empfehlungen in Abschnitt 4 der Abschlusserklärung. Schnell wurde klar, dass hier Welten aufeinanderprallten. Wer wie ich gehofft hatte, bei der Gelegenheit einige Good-Practice-Beispiele für funktionierende OER-Geschäftsmodelle in der Erwachsenenbildung mitnehmen zu können, wurde leider enttäuscht. Dafür war die Sitzung ein erhellendes Lehrstück über das bekannte Spannungsverhältnis von Wirtschaftsinteressen und Bildungsinteressen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass offene Bildungsressourcen nicht nur die von Merkley in der Keynote genannten „alten Imperien“ verärgern kann, sondern auch Big Player der Digitalisierung. Die Tatsache allerdings, dass in der Präsentation im anschließenden Plenum die Eingaben der Vertreter von Microsoft und Cisco als erwünscht präsentiert wurden, ließen Zweifel aufkommen, ob die erarbeiteten Vorschläge tatsächlich Eingang in die Abschlusserklärung finden würden. Diese sollte noch am Abend bzw. in der Nacht von einem eigens zu diesem Zweck zusammengestellten Komitee aus UNESCO-Vertretern, OER-Experten und Vertretern verschiedener Stakeholder in die finale Form gegossen werden.

  Beiträge der deutschen Delegation

 Ein Teil der deutschen Delegation, unter anderem VertreterInnen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), stellten an diesem zweiten Tag in Begleitveranstaltungen die OER-Situation in Deutschland im Bereich der beruflichen Bildung und die OERinfo-Förderlinie vor - ganz im Zeichen des Mottos „From Commitment to Action“. 

Panel mit   Professorin Verena Metze-Mangold . (Bild: Jan Koschorreck, CC BY SA 3.0)

Inwiefern OER ein Beitrag zu dem von der UNESCO formulierten Ziel „Nachhaltige Bildung für alle, gleichermaßen bis 2030“ sein können, thematisierte Professorin Verena Metze-Mangold von der deutschen UNESCO am Nachmittag. Beim ersten OER-Weltkongress 2012 in Paris war die „fast völlige Absenz“ Deutschlands mit Verwunderung zur Kenntnis genommen worden. Umso mehr war Metze-Mangold die Freude anzumerken, dass sich seither hierzulande einiges getan hat, sowohl mit der OER-Förderlinie und Projekten wie der OER-Weltkarte, als auch durch das Wachsen der Graswurzel-Bewegung rund um offene Bildungsressourcen. Von einer Unterstützung von offenen Bildungsressourcen durch die öffentliche Hand nach 2018 war bedauerlicherweise nicht die Rede. Meine informellen Gespräche mit Vertretern aus verschiedenen Ländern am Rande des Kongresses bestätigten allerdings, dass die deutschen Bemühungen um OER mit Anerkennung und Interesse zur Kenntnis genommen werden. Interessant war der Ansatz von Metze-Mangold, dass Bewegung rund um offene Bildungsressourcen nicht getrennt von der Digitalisierung gedacht werden könne, sondern genauso wie Open Source, Open Data und Open Access ein Teil davon sei.

Vielfalt der Nutzung von OER

Auch andere Länder stellten OER-Aktivitäten vor. Besonders beeindruckte mich dabei ein Ansatz aus Afrika, wo in Zusammenarbeit mit älteren Dorfbewohnern in verschiedenen Regionen lokale Geschichten und Märchen aufgeschrieben und als Kinderbücher veröffentlicht werden. Diese werden dann eingesetzt, um den Kindern grundlegende Lese- und Schreibkompetenz zu vermitteln - mithilfe gedruckter Versionen, wo keine Infrastruktur vorhanden ist, aber auch online und per Cloud in Kombination mit Tablets. Der Rest des Panels blieb leider unkonkret, was Beiträge von OER zur Erreichung des Ziels „Bildung für alle 2030“ konkret bedeuten und beschäftigte sich stark mit dem Potenzial von OER für diesen Prozess.

 Beim abschließenden Panel des Tages erfuhr ich einiges darüber, welche Rolle (Online-)Communities für die Verbreitung von offenen Bildungsressourcen spielen. Der Konsens war klar: Ohne Mitarbeit und Vernetzung von Communities weltweit wird die Verbreitung von OER erschwert. So wurde durchaus auch selbstkritisch bemängelt, dass die bestehenden Communities nicht sehr gut darin seien, sich zu koordinieren. Auch in diesem Rahmen wurde erneut die Wichtigkeit von Forschung für die künftige Entwicklung von OER betont, um eine empirische Ausgangsbasis für weitere Anstrengungen im politischen, aber auch praktischen Bereich zu schaffen.



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