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Basiskompetenzen lehren im Betrieb – Worauf kommt es an?

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Wer Erwachsenen Grundbildung vermittelt, muss ein komplexes Anforderungsprofil erfüllen. AlphaGrund sprach mit Dozentinnen aus drei Bildungswerken der Wirtschaft über die Umsetzung von Grundbildungsangeboten für Beschäftigte in Unternehmen und besondere Herausforderungen des Unterrichtens dieser Zielgruppe.

AlphaGrund: Was charakterisiert Grundbildungsangebote für den Arbeitsplatz?

  • Heike Imbrich: Arbeitsplatzbezogene Grundbildung ist Lernen von grundlegenden Kompetenzen im betrieblichen Kontext, wie Lese-, Schreib- und Sprachkompetenzen, Rechenkompetenzen und digitale Kompetenzen, die notwendig sind, um die Arbeitsaufgaben erfolgreich bewältigen zu können. Aber auch die Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden sowie Vorgesetzten, Problemlösungsstrategien, Teamarbeit, soziale Kompetenzen sowie die Bereitschaft und Fähigkeit zum lebenslangen Lernen gehören mit zur arbeitsplatzbezogenen Grundbildung.
  • Antonia Schnura: Arbeitsplatzbezogene Grundbildung ist stets individuell auf die Rahmenbedingungen des Unternehmens und die ausgewählten Mitarbeitenden auszurichten und abzustimmen. Die Inhalte der Grundbildungsmaßnahme orientieren sich an der Tätigkeit sowie an den Voraussetzungen und Bedarfen der spezifischen Zielgruppe.
  • Pia Wächter: Typisch für diese Kurse ist die konkrete Einbettung des Lernstoffes. Es gibt keine „künstliche“ Unterrichtssituation, sondern der Lernstoff ist sichtbar und greifbar.

AlphaGrund: Wie planen Sie den AlphaGrund-Unterricht im Unternehmen?

  • Heike Imbrich: Zunächst erstelle ich eine Bedarfsanalyse, entwickle daraus eine Modulübersicht und ein Curriculum. Es ist sehr wichtig, bei der Umsetzung des Angebots alle Beteiligten wie Führungskräfte und Mitarbeitende einzubeziehen. Die Teilnehmenden bringen aus dem Arbeitsprozess ständig neue Impulse mit, aus denen ich immer wieder Unterrichtsaufgaben ableiten kann.
  • Pia Wächter: Lernziele und -inhalte werden mit den Unternehmensvertreterinnen und -vertretern und den Kursteilnehmenden abgesprochen. Die Unterrichtsmethoden richten sich nach den Teilnehmenden, nach der zur Verfügung stehenden Zeit und nach den Zielen.
  • Antonia Schnura: Entscheidend ist ein Niveau, bei dem alle gut bedient werden. Deshalb muss ich in meiner Planung flexibel sein. Zu Beginn habe ich nur eher eine Idee eines Konzepts, das im Verlauf immer angepasst und abgestimmt wird.

AlphaGrund: Was sind die besonderen Herausforderungen im Umgang mit gering literalisierten Beschäftigten?

  • Antonia Schnura: Direkt am Anfang kommt es darauf an, den Teilnehmenden ihre Ängste vor dem Lernen und den neuen und unbekannten Situationen zu nehmen und eine gute Arbeitsatmosphäre aufzubauen. Oft empfinden die Teilnehmenden eigene Fehler im Sprechen und Schreiben als „peinlich“ oder „schlimm“. Hier muss ich vermitteln, dass Fehler da sind, um daraus zu lernen.
  • Pia Wächter: Als Lehrerin muss ich mir darüber im Klaren sein, dass ich Erwachsene im Arbeitsprozess unterrichte. Diese haben für ihre Tätigkeit im Betrieb schon Lerntechniken erworben, was ich sowohl erkennen als auch anerkennen muss.
  • Heike Imbrich: Die Unterrichtsgruppen sind äußerst heterogen und haben sehr  unterschiedliche Kompetenzen, Lernerfahrungen und Gewohnheiten. Ein flexibles Lernangebot ist für diese Zielgruppe also eine Notwendigkeit für erfolgreiches Lernen. Das  Angebot muss inhaltlich passgenau verschiedene Kompetenzniveaus bedienen können, unterschiedliche Lernmethoden bereitstellen und auch das Lernen lernen vermitteln.

AlphaGrund: Wo liegen die größten Schwierigkeiten bei den Lernenden?

  • Heike Imbrich: Zum Teil haben An- und Ungelernte Probleme, arbeitsrelevantes Fachvokabular zu lesen und zu schreiben. Dadurch verstehen sie beispielsweise Arbeitsabläufe oder Schichtübergaben nicht richtig. Auch die Erledigung von komplexen  Arbeiten, die Zusammenarbeit im Team und der Umgang mit Stresssituationen stellt manche geringqualifiziert Beschäftigten vor große Herausforderungen.
  • Pia Wächter: Viele Teilnehmende bringen ein angeschlagenes Selbstvertrauen in Bezug auf ihre persönlichen Lernerfahrungen mit. Vieles, was an die frühere Schulzeit erinnert, führt zu einer Blockade mit Blick auf das Weiterlernen.
  • Antonia Schnura: Tatsächlich ist die Selbsterkenntnis wichtig, dass man nicht alles sofort beherrschen kann. Oft haben Teilnehmende zu hohe Erwartungen an sich selbst. Die Überwindung der negativen Lernerfahrungen ist oft ein langer und schwieriger Weg.

AlphaGrund: Was sind die Anforderungen an Sie als Grundbildungsdozentin?

  • Pia Wächter: Anzuerkennen, dass Teilnehmende nicht nur Lernende, sondern auch Experten in der Lernumgebung, nämlich ihrem bekannten Arbeitsplatz, sind. Bei der Grundbildung am Arbeitsplatz wird aus der Lehrerin eine Lernbegleiterin, die dem Teilnehmenden auf seinem Bildungsweg hilft, die genannten Ziele zu erreichen.
  • Heike Imbrich: Als Dozentin muss ich den Bedarf des Unternehmens und der Teilnehmenden berücksichtigen, die Lerninhalte gestalten und auch auf gewünschte Kurszeiten reagieren. Denn der abwechselnd durchgeführte Unterricht vor Schichtbeginn oder nach Schichtende entspricht nicht der normalen Routine der Lehrenden. Hinzu kommen die didaktisch-methodische Aufbereitung der Inhalte und die Binnendifferenzierung. Ein Curriculum oder ein Lehrbuch sind nicht angebracht, weil sie thematisch nicht den Bezug zu den jeweiligen Betrieben haben.
  • Antonia Schnura: Sich immer flexibel auf die Teilnehmenden einlassen zu können und die nötige Empathie für die Lernenden aufzubringen. Man wird häufig mit Fragen konfrontiert, die möglicherweise nicht leicht oder nicht sofort zu beantworten sind.

 Heike Imbrich, Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft gemeinnützige GmbH in Osnabrück, seit 19 Jahren Unterrichtserfahrung in Alphabetisierungskursen und seit vier Jahren Grundbildungsdozentin

 Antonia Schnura, Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V. in Darmstadt, seit fünf Jahren AlphaGrund-Dozentin

 Pia Wächter, Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft e. V. in Mannheim, fast sieben Jahre Grundbildungsdozentin für Beschäftigte

 

Das Interview wurde wb-web vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln zur Verfügung gestellt.

Quelle:  AlphaGrund - Bildung für den Arbeitsplatz Newsletter Nr. 16/2019



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