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"Alle Spiele sind ernsthaft"

Zeichnung eines Menschen mit Spielekonsole und Virtual Reality-Brille auf einem Sofa.

Spielerisch in virtuelle Welten eintauchen kann eine Form des Lernens sein. (Bild: mohamed1982eg/pixabay.com, CC 0)

Das sagt Game-Design-Professorin Linda Breitlauch beim Gamescom Congress 2017. Der Wert des Spielens für das Lernen wird im Rahmen von Serious Games neu entdeckt. Serious Games bezeichnet Spiele, die Informationen und Bildung spielerisch vermitteln. Die Spielfreude trage dazu bei, dass neue Kompetenzen erworben und Verhaltensweisen geübt werden. Ein Trend, der auch in der Welt der Erwachsenen- und Weiterbildung noch eine große Zukunft hat, so Breitlauch.

Ebenso ein anderer Trend-Begriff: Gamification. Gemeint sind Feedback-Strukturen und Belohnungssysteme, die allerdings keine Erfindung der digitalen Spieleentwicklung sind, sondern schon lange in der analogen Welt der Bildung bekannt. Wie diese beiden Welten zusammenfinden können, beschreibt Breitlauch im Interview mit wb-web.

wb-web: Frau Breitlauch, Sie sind eigentlich keine Pädagogin, sie kommen aus einem anderen wissenschaftlichen Bereich?

Linda Breitlauch: Naja, ich bin Professorin … Aber richtig, ich bin promoviert als Doktor der Philosophie. Studiert habe ich im ersten Studiengang BWL und bin dann auf die Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg gegangen und habe dort Dramaturgie und Drehbuch studiert. Danach habe ich dann an der Humboldt Universität über das Thema Computerspiele promoviert.

wb-web: Wann war das?

Linda Breitlauch: 2008 habe ich die Doktorarbeit verteidigt.

wb-web: War damals schon klar, dass der Trend bei Computerspielen dahin geht, wo er heute ist?

Linda Breitlauch: Ich habe auch diplomiert zum Thema Computerspiele, das war allerdings 2001, da war das noch ein komplett neues Thema. Als ich ein paar Jahre später promoviert habe, da gab es schon eine deutlich größere Aufmerksamkeit für das Thema. Aber im akademischen Bereich gab es noch nicht so viel. In der Medienpädagogik gab es schon einige Institute, die sich aber vorwiegend mit der Wirkungsforschung beschäftigen.

wb-web: Sie beschäftigen sich an Ihrem Lehrstuhl jetzt eher mit Gamification …

Linda Breitlauch: Ich habe einen Lehrstuhl für Game Design und Gamification ist durchaus ein Aspekt dabei. Ich forsche tatsächlich seit vielen Jahren über Serious Games, weil ich die Potenziale in diesem spielebasierten didaktischen Medium unglaublich interessant finde. Die sind nämlich noch längst nicht ausgeschöpft, auch wenn in den letzten Jahren wirklich viel passiert ist in diesem Bereich.

wb-web: Welche Potenziale sehen Sie bei den Serious Games? Was wäre da für die Erwachsenenbildung interessant?

Linda Breitlauch: Wir müssen Serious Games erstmal abgrenzen zu Entertainment Games. Und dabei gibt es wieder viele Untergenres, deshalb lässt sich die Frage nicht so leicht beantworten. Im Bereich Games for Health (Spiele im Bereich Gesundheit; Anm. d. Red.) beispielweise – das ist einer der größten Bereiche – da haben wir auch die bestevaluierten Spiele. Das heißt, wir können dort beobachten, ob Spiele, wenn sie im therapeutischen Kontext eingesetzt werden, wirksam sind, wie sie wirksam sind und ob sie unter Umständen sogar wirksamer sind als klassische Therapien.

wb-web: Sie sprechen jetzt von Spielen, die Patienten spielen, um ihre Heilung zu unterstützen? Oder sprechen Sie von Spielen, in denen es um berufliche Weiterbildung geht?

Linda Breitlauch: Ja, das gibt es tatsächlich auch, es gibt Serious Games, wo man lernen kann zu operieren. Es gibt aber auch ein paar Forschungsergebnisse, weltweit mehrere Studien, die sagen, wenn man Actionspiele spielt als Chirurg, dann trainiert man seine Hand-Augen-Koordination und das wiederum hilft tatsächlich bei der Feinmotorik. Und es wird zumindest in den USA von vielen Kliniken den Chirurgen empfohlen, dass sie Spiele spielen dürfen.

wb-web: Super, das wird mein Sohn gerne hören …

Linda Breitlauch: Ja, dazu gibt es Studien, die das belegen. Ansonsten gibt es auch den therapeutischen Nutzen, also für Patienten, die damit ihre Motorik schulen, aber auch gewisse Verhaltensmuster anpassen; das ist ja bei therapeutischen Maßnahmen immer ganz wichtig. Es gibt Spiele gegen Depressionen, zur Schmerztherapie, Traumatherapie, also in allen möglichen Bereichen.

wb-web: Im Bereich der beruflichen Weiterbildung werden Serious Games ja gerade dann eingesetzt, wenn man Situationen simulieren möchte, die mit Risiken verbunden sind. Zum Beispiel bei der Polizei oder der Bundeswehr …

Linda Breitlauch: Es gibt seit vielen Jahren „Emergency“. Das ist ein Serious Game, ist aber gar nicht so gelabelt und verkauft sich sehr gut. Da geht es nämlich genau darum, wie steuere ich Feuerwehreinsätze, Polizeieinsätze und so weiter als große Simulation, eben als richtiges Spiel. Es gibt sehr viele Branchen, Medizin ist eine davon. Zur Berufsausbildung fällt mir ein Beispiel ein, weil ich früher auch mal in der Druckerei-Branche tätig war. Ein VR-Spiel (VR = Virtual Reality; Anm. d. Red.) für Lehrlinge in Druckerberufen. Da kann ich eine riesengroße Druckmaschine komplett  auseinander nehmen, wo ich dann sehen kann, wie da die Zylinder verlaufen, wie der Papierverlauf ist, wie der Farbverlauf ist, und das Ganze dann in VR, wo ich dann als Multiplayer zusammen mit meinem Ausbilder in dieser VR-Simulation etwas auseinander bauen kann. Das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was man im virtuellen Bereich machen kann und was man in der Realität nur sehr schwer machen kann. Man kann nicht in einer Druckerei eine große Druckmaschine auseinander bauen. Das ist auch in der Automobilindustrie total spannend für die Ausbildung und in vielen anderen Bereichen auch.

wb-web: Werden solche Anwendungen tatsächlich schon systematisch und großflächig eingesetzt? Sind die Betriebe damit schon befasst? Kommt das in Lehrplänen der Berufsschulen vor?

Linda Breitlauch: Da muss in der Tat noch viel passieren. Es fängt, glaube ich, gerade erst an. Wenn man sich den Gesamtmarkt Games anguckt, dann sind das weltweit 100 Milliarden Euro Umsatz. Davon nehmen Serious Games einen Anteil von vier Prozent ein. Wobei die Erhebung dafür schwierig ist. Viele dieser Spiele bekommen wir erst gar nicht zu sehen, die werden in Krankenhäusern entwickelt, die werden in der Automobilindustrie entwickelt. Die Lufthansa hat beispielsweise ein Spiel „Flughafenmanager“ gemacht, um die eigenen Mitarbeiter auszubilden. Das sind Spiele, die erscheinen nie auf dem Markt, sondern werden intern in den Institutionen verteilt. Es ist ein anderer Markt als der Entertainment-Markt. Das heißt, die Spiele werden nicht verkauft, sondern exklusiv für Unternehmen angefertigt.

wb-web: Dann stellt sich für ein Unternehmen letztlich die Frage nach der Wirksamkeit. Für den, der ein Serious Game spielt und darum nicht merkt, dass er lernt, ist es vielleicht angenehm, aber ist es effektiver als anderes Lernen? Werden Lernziele besser erreicht, ist der Transfer einfacher als bei klassischer Weiterbildung? Gibt es einen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Präsenzseminaren? Dies ist ja oft die entscheidende Frage.

Linda Breitlauch: Leider gibt es bisher nur vereinzelt Nachhaltigkeitsforschung und wissenschaftliche Evaluationen zu Wirkungen. Wenn man ein Spiel entwickelt, ist das etwas, was man sehr lange benutzen kann; aber es ist ein viel größerer Aufwand, als eine PowerPoint-Präsentation zusammen zu stellen. Dazu gehört eben auch die Erarbeitung eines didaktischen Konzepts, das ja auch mit dem Spielprinzip zusammen funktionieren muss und es gibt gar nicht so viele, die das überhaupt können. Aber die, die das können, zumindest die Fälle, die ich kenne, setzen das ausgesprochen positiv ein; und dass Spielen auf jeden Fall nachhaltiger ist fürs Lernen, das ist ja in der Pädagogik schon lange bekannt. Das heißt aber nicht, dass alle Serious Games automatisch gut sind. Sondern nur die, die es schaffen, das richtige Spielprinzip, die richtige Motivationsstrategie und Feedbackstrategie zu finden, und die wiederum, das zeigen wirklich viele Beispiele, haben eine deutlich nachhaltigere Wirkung. Das heißt, man muss erst mal mit sehr viel höheren Investitionen rein gehen.

Manchmal hilft es tatsächlich auch, fertige Produkte zu nehmen und sie einfach im Kontext der Weiterbildung einzusetzen. Ich nehme jetzt mal als Beispiel Minecraft. Minecraft ist ein Spiel, das wirklich ausschließlich als Unterhaltungsspiel konzipiert und entwickelt worden ist, weltweit unglaublich erfolgreich war und dann von Lehrern entdeckt wurde und in Schulen eingesetzt wird, zum Beispiel für Erdkunde-Unterricht. Solche Ansätze kann man auch mit anderen Spielen verfolgen, die es bereits gibt.

Man widmet sie quasi um, dafür muss man dann nichts Neues herstellen. Deswegen muss man sich einfach mal anschauen, was es an Spielen eigentlich gibt und in welchen Kontexten man sie einsetzen kann. Da muss man zugeben, dass es noch relativ wenig Fachexperten gibt, die sowas bewerten können, weil sie wissen müssen, welche didaktischen Modelle in der Weiterbildung funktionieren und auf der anderen Seite müssen sie auch alle Spiele kennen.

wb-web: Die Schnittmenge ist gering …

Linda Breitlauch: Ja. (lacht)

wb-web: Da ergeben sich neue Anforderungen an die Lehrenden. Die kennen sich vielleicht gut aus mit den didaktischen Prinzipien, aber haben mit der Spielewelt keinen Kontakt. Welche Kompetenzen müssen Lehrende entwickeln, um ihren Lernenden den Nutzen von Serious Games zu eröffnen?

Linda Breitlauch: Es gibt ja schon viele Lehrer, Didaktiker und Weiterbildner, die mit Spielen arbeiten. Sie machen das nur nicht mit digitalen Spielen, sondern sie nehmen zum Beispiel Rollenspiel-Konzepte.

wb-web: Ja, das sind ganz gängige Methoden in der Erwachsenenbildung …

Linda Breitlauch: Genau, das ist ja eigentlich längst bekannt in der Pädagogik. Das heißt, im Grunde genommen, wenn ich digitale Tools nutzen will, die natürlich dann in der Regel nicht mehr verändert werden können, muss ich diese Tools kennen oder die Spiele kennen, die es gibt, um sie einsetzen zu können. Spiele haben eine so breite Palette für unterschiedliche Anwendungen, dass man eigentlich umgekehrt fragen müsste, was brauchen die Pädagogen, um das, was sie bis jetzt schon erfolgreich tun, auch mit digitalen Tools zu tun, welche digitale Unterstützung würden sie brauchen? Was würde funktionieren? So wie das Beispiel mit Minecraft.

Das andere: Es gibt Lehrer, die arbeiten mit World of Warcraft als Belohnungsprinzip – kann man hinterfragen, ob das funktioniert …, aber möglich ist es ja erstmal. Das heißt, der erste Schritt wäre natürlich, sich ein bisschen mit den Spielen zu beschäftigen, die es bereits gibt. Der beste Zugang ist hier, gleich mal nach Serious Games zu gucken, die schon für bestimmte Zwecke konzipiert worden sind.

Aber grundsätzlich: Gamification ist ja die Möglichkeit, das, was man im echten Leben tut - und dazu gehört eben auch Weiterbildung – in irgendeiner Form mit Belohnungsprinzipien zu kombinieren, die in irgendeiner Form digital sind. Ein ganz simples Beispiel: Für mich ist Gamification auch, wenn ich ein Armband habe, das meine Schritte zählt und wo mir abends dann ein kleines Sternchen verliehen wird, und gesagt wird, heute bist du mehr gelaufen als sonst. Und diese Sternchen kann ich dann auf Facebook posten. Das ist extrem simpel, funktioniert aber bereits als Belohnungsprinzip. Das lässt sich zwar nicht unendlich steigern, aber damals bei Pokemon Go haben wir ja gesehen, dass es funktioniert. Die ersten paar Wochen, nachdem das rauskam, sind die Leute, die das Armband getragen haben, wo man das dann ablesen konnte, teilweise zehn- bis fünfzehnmal so viel gelaufen wie sonst. Man muss also nur etwas nehmen, was in diesem Kontext funktioniert, und schon fühlt sich das Lernen gar nicht mehr wie Lernen an, sondern wir kommen dann in einen Flow. Die Flowtheorie kommt ja eigentlich aus dem Spiel, was genauso funktionieren sollte in der Lehre, also weg von dem Prinzip „Lernen muss weh tun“ hin zu dem Prinzip, wie es eigentlich sein sollte: Wenn ich spiele, lerne ich automatisch. Das ist ja das, was am Spielen eigentlich Spaß macht: dass ich lerne, dass ich mich steigere und dass ich Herausforderungen bestehe und dafür die Belohnung in mir selber finde, dass ich das geschafft habt. Das sind gängige Spielprinzipien, die man sich einfach nur trauen muss zu nutzen. Das Problem ist häufig, dass man denkt, naja, wenn ich jemanden schon dafür bezahle, dass er eine Weiterbildung macht, dann soll der nicht auch noch Spaß daran haben. Aber wir wissen ja, dass Spaß im Grunde genommen sehr viel nachhaltiger wirkt, also nicht nur die Motivation, sondern auch der Lerneffekt selber werden dadurch viel größer.

wb-web: Vielen Dank für dieses Gespräch. 

Linda Breitlauch

Linda Breitlauch wurde 2007 zu Europas erster Professorin für Game Design an die Mediadesign Hochschule für Design und Informatik in Düsseldorf berufen. Sie war Fachbereichsleiterin des Studiengangs „Medienwissenschaft Game Design und Gamification (B.A.)“ an der GA Hochschule der digitalen Gesellschaft in Berlin. Seit April 2014 lehrt sie Intermedia Games an der Hochschule Trier. Sie schreibt zu diesen Themen auch in ihrem Blog.


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