Die OECD veröffentlicht den Survey of Adult Skills 2023. Die Erhebung erfasst und bewertet die Lese-, Schreib-, Rechen- und Problemlösungskompetenzen von etwa 160 000 Erwachsenen im Alter von 16 bis 65 Jahren aus 31 Ländern und Volkswirtschaften, was 673 Millionen Menschen entspricht. Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung der Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse als Zugang zur Navigation in der neuen digitalen Informationslandschaft. Kritisches Denken gewinnt an Bedeutung, um Desinformation zu vermeiden. Diese Kompetenzen sind gesellschaftlich elementar für die aktuellen und zukünftigen politischen Themen und Herausforderungen, die nicht zuletzt die Basis für eine Demokratie bilden. Zudem weist die Erhebung die Herausforderungen der Migrationsbewegungen hinsichtlich des Bildungsangebots für die Einwanderungsländer aus, insbesondere für Deutschland.
Die Daten bestätigen die wesentliche Rolle dieser Fähigkeiten bei der Erzielung positiver wirtschaftlicher und sozialer Ergebnisse. 27 Länder und Volkswirtschaften nahmen auch an früheren Erhebungsrunden teil und machen die Entwicklung der -Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten in den letzten zehn Jahren vergleichbar.
Die Erhebung zeigt, dass die Qualifikationslandschaft trotz aller Anstrengungen zur Stärkung der allgemeinen und beruflichen Bildung sehr uneinheitlich ist und dass immer mehr Menschen schlecht auf die Zukunft vorbereitet sind. Dem Rückgang des durchschnittlichen Kompetenzniveaus liegt auch eine sich vergrößernde Ungleichheit innerhalb der Länder zugrunde. Ein Fünftel der Erwachsenen in allen teilnehmenden Ländern ist nur in der Lage, einfache Texte zu verstehen oder Grundrechenarten zu lösen. Angesichts des rasanten technologischen Fortschritts, auch in Bezug auf Digitalisierung und KI-Anwendungen, drohen Menschen mit geringer Literalität zurückzubleiben.
Handlungsbedarf besteht in verschiedenen Bereichen. So nehmen die Lese- und Schreibfähigkeiten bei Männern stärker ab als bei Frauen. Bei Rechenfähigkeiten übertreffen die Männer durchschnittlich weiterhin die Frauen. Im Ausland geborene Erwachsene weisen niedrigere Fähigkeiten aus als im Inland geborene Erwachsene. In einigen Ländern korrelierte der Rückgang der durchschnittlichen Lese- und Schreibfähigkeit mit dem Anstieg des Anteils der im Ausland geborenen Erwachsenen. Hier spielt die Beherrschung der jeweiligen Landessprache, in der die Kompetenzen abgefragt werden, eine wichtige Rolle.
Eine Schlussfolgerung aus den Ergebnissen ist es, dass der Ansatz für lebenslanges Lernen und Beschäftigungsfähigkeit überdacht und neu konzipiert werden muss. Neben der Finanzierung steht die Förderung von Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten insbesondere für gering qualifizierte Arbeitnehmer im Fokus. Nur so lassen sich die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und der soziale Zusammenhalt herstellen und bewahren.
Die zukünftige Herausforderung wird sein, sicherzustellen, dass die Gesellschaft vom technischen und wirtschaftlichen Fortschritt profitiert. Hierzu sind Maßnahmen wie ein verbesserter Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung, stärkere Systeme der Erwachsenenbildung und Bemühungen, alle Menschen mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten, notwendig. Hindernisse für lebenslanges Lernen müssen aus dem Weg geräumt werden, z.B. durch mehr modulare, zielgerichteter Kurse und Online-Optionen. Dabei soll ein Wandel „weg vom Erwerb eines Abschlusses hin zur Übernahme der Verantwortung für das, was wir lernen, wie wir lernen, wo wir lernen und wann wir in unserem Leben lernen“ (OECD, 2024, S. 5) stattfinden. Wichtig werden hierbei die Sichtbarkeit und die Anerkennung von Kompetenzen.
Die Ergebnisse in Kurzfassung
- In den letzten zehn Jahren ist die durchschnittliche Lese- und Schreibkompetenz in den meisten teilnehmenden Ländern und Volkswirtschaften stabil geblieben oder gesunken (Ausnahmen Finnland [296 Punkte] und Dänemark [273]). Der OECD-Durchschnittswert liegt bei 260 Punkten. Deutschland liegt mit 266 Punkten über dem Durchschnittswert.
- In acht Ländern haben sich die Durchschnittswerte im Rechnen verbessert, hier sind Finnland (294 Punkte) und Singapur (274 Punkte) mit den größten Zuwächsen hervorzuheben. In zwölf Ländern blieben die Durchschnittswerte stabil, in sieben Ländern gingen sie zurück (Litauen [246 Punkte] und Polen [239]). Deutschland liegt mit 276 Punkten über dem OECD-Durchschnitt mit 263 Punkten.
- Die Länder Finnland, Japan, die Niederlande, Norwegen und Schweden schließen mit den besten Ergebnissen bei der Problemlösungskompetenz ab (alle über 270 Punkte). Der OECD-Durchschnitt liegt bei 251 Punkten, Deutschland behauptet sich hier mit 261 Punkten.
- In der Lese- und Schreibkompetenz liegen die im Ausland geborenen Erwachsenen durchschnittlich 44 Punkte unter den im Inland geborenen Erwachsenen. Gründe sind ein niedrigeres Bildungsniveau der Zuwanderer und die mangelnde Beherrschung der Prüfungssprache. In Finnland wurde mit 105 Punkte der größte Unterschied festgestellt, in Deutschland als ein Land mit großer Zuwanderung 70 Punkte.
- Die Lese- und Schreibfähigkeiten der im Ausland geborenen Erwachsenen haben sich in Dänemark, Finnland und Schweden verbessert, in elf Ländern sind sie zurückgegangen. Berücksichtigt man den positiven Trend der im Inland geborenen Erwachsenen, entsteht eine Kluft zwischen den beiden Gruppen im Ausland und im Inland geborener Erwachsener. Hier zeigte sich der größte Anstieg in Deutschland mit 28 Punkten.
- Die Lese- und Schreibfähigkeiten junger Erwachsener im Alter von 16 bis 24 Jahren nahmen in Norwegen, Finnland und England (UK) zu, während sie in acht Ländern zurückgegangen sind, teils stark.
- Die Lese- und Schreibfähigkeiten bei Männern nahmen stärker ab als bei Frauen, wodurch die geschlechtsspezifischen Unterschiede in vielen Ländern verringerten. Insgesamt verfügen Frauen im Durchschnitt nun über höhere Lese- und Schreibfähigkeiten als Männer. Umgekehrt übertreffen Männer die Frauen im Rechnen und knapp bei adaptiven Problemlösungen.
- Der familiäre und sozioökonomische Hintergrund wirkt sich stark auf das Kompetenzniveau aus und behindert die soziale und wirtschaftliche Mobilität. Der durchschnittliche Unterschied in der Kompetenz zwischen Erwachsenen mit Eltern mit niedrigem und Eltern mit hohem Bildungsniveau betrug 50 Punkte im Lesen und Schreiben, 49 Punkte im Rechnen und 42 Punkte im adaptivem Problemlösen. In Deutschland sind diese Differenzen besonders ausgeprägt und haben sich nach der letzten Bewertung sogar vergrößert.
- Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem individuellen Wohlbefinden und bürgerschaftlichem Engagement, wobei die Stärke zwischen den Ländern und Volkswirtschaften variiert. Viele gering qualifizierte Erwachsene fühlen sich von politischen Prozessen abgekoppelt. Ihnen fällt es schwer, mit komplexen digitalen Informationen umzugehen. Dies stellt ein wachsendes Problem für moderne Demokratien dar und begründet die Notwendigkeit, in Qualifikationen zu investieren sowie die Ursachen für Unterschiede in den sozialen Ergebnissen zwischen Erwachsenen mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus anzugehen.
- Von einer Passung der Qualifikationen der Arbeitnehmer und ihren Arbeitsplätzen profitiert die Gesellschaft. Sie ist notwendig, um die Produktivität und die Rentabilität von Humankapitalinvestitionen zu erhöhen. Die Erhebung zeigte, dass etwa ein Drittel der Arbeitnehmenden in den OEDC-Ländern nicht zu ihrem Arbeitsplatz passen in Bezug auf ihre Qualifikationen, Fähigkeiten oder Studienfächer. Dabei ist eine Überqualifizierung häufiger als eine Unterqualifizierung.
Die Erhebung über die Kompetenzen von Erwachsenen fand im Jahr 2022/2023 statt, aufgrund der COVID-19 Pandemie um ein Jahr verschoben. Die Studie über die Kompetenzen von Erwachsenen ist ein Produkt des OECD-Programms zur internationalen Bewertung der Kompetenzen von Erwachsenen (PIAAC). Sie entsteht in der Zusammenarbeit der teilnehmenden Länder und Volkswirtschaften, der OECD-Direktion für Bildung und Qualifikationen und der OECD-Direktion für Beschäftigung, Arbeit und Soziales sowie einem internationalen Konsortium unter der Leitung des Educational Testing Service.
Die Pandemie wirkte sich negativ auf die Antwortquoten aus, wobei die Auswirkungen auf individuelle und gesellschaftliche Einstellungen und Verhaltensweisen nur schwer zu quantifizieren sind. So lagen die Antwortquoten der ersten Erhebung in den Jahren 2011/12 zwischen 45 und 75 Prozent in den verschiedenen Ländern. Dem stehen Rücklaufquoten von 27 bis 73 Prozent in der zweiten Erhebung im Jahr 2023 gegenüber. Deutschland hat im Jahr 2023 eine Antwortquote von 45 Prozent.
Quelle: OECD (2024). Do Adults Have the Skills They Need to Thrive in a Changing World?: Survey of Adult Skills 2023, OECD Skills Studies, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/b263dc5d-en
Die Studie wurde mit CC BY 4.0 International lizenziert.
Weitere Informationen erhalten Sie auf der Webseite der OECD.