Angelika Gundermann Forschung quergelesen

Marketing statt Didaktik?  Globale Internetkonzerne als Weiterbildungsanbieter

Mohamed Hassan CC 0

Bild: Mohamed Hassan auf pxhere CC 0

Internetkonzerne operieren zunehmend auf dem Markt der digitalen Weiterbildung. Basis dafür sind Geschäftsmodelle, die digitale Datenbestände nutzen, um ganz neue Marketingstrategien zu entwickeln. Was dies für die traditionellen Weiterbildungsanbieter bedeuten kann, versucht diese Studie am Beispiel von Google, LinkedIn und Xing zu ermitteln.

Digitale Entwicklungen werden in der (Erwachsenen-)Bildung oftmals unter Abwägung von Pro und Contra diskutiert. Einerseits verweisen Praktizierende und Forschende auf das Primat der Didaktik vor der Technik beim Einsatz digitaler Technologien in Lehr-Lernformaten. Auf der anderen Seite argumentieren Verfechter*innen des digitalen Lernens mit der Unaufhaltsamkeit dieser Entwicklung. In ihren Bedenken spiegelt sich die Sorge, disruptive Prozesse – also Vorgänge, die ein System auf einen Schlag verändern - zu verpassen. Anke Grotlüschen, Professorin für Lebenslanges Lernen an der Universität Hamburg, untersuchte 2018 in einer Fallanalyse, welche digitalen Entwicklungen in der Erwachsenenbildung zu verzeichnen sind und ob sie tatsächlich übersehen werden.  

Warum sind die Ergebnisse für die Praxis der Erwachsenenbildung relevant?

Der Markteintritt global agierender Konzerne hat Auswirkungen auf die Weiterbildungslandschaft: Mehr digitale Kursangebote bringen die Konkurrenz unter Zugzwang, Präsenzangebote werden möglicherweise weniger nachgefragt. Wollen die traditionellen Weiterbildungsanbieter auf dem Markt bestehen, ist es wichtig zu wissen, welche neuen Angebote entwickelt werden. Außerdem ist eine Einordnung nützlich, die zeigt, ob diese Entwicklungen tatsächlich große Veränderungen am Markt bewirken werden. 

 Worum geht es in dieser Studie? 

Die Autorin diskutiert diese Entwicklung vor dem Hintergrund des Modells der didaktischen Handlungsebenen von Hans Tietgens (1992). Sie ordnet Entwicklungen in der Bildung und den Einfluss der Digitalisierung darauf diesem Modell zu, um zu ermitteln, welche Konsequenzen sich für die Anbieterstruktur daraus ergeben (s. Tabelle 1).

Ebene Kennzeichen Einfluss der Digitalisierung 
Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen 

Gesetzliche Regelungen, Förderungsrichtlinien

Qualifikationsanforderungen

Hochschulzulassung

  

Neue Regelungen: Copyright, Datenschutz

Marktzutritt privater/internationaler Hochschulen uvm.

Institutionelle Voraussetzungen 

Öffentlich geförderte Bildungsträger: Gemeinwohl, Teilnehmerorientierung

Privatwirtschaftliche Institute: Selbsterhalt, „Shareholder Value“

Anbieter im SGB III-Bereich: Teilnahmezuweisungen, variabler Kurseinstieg

  

Abhängig vom Format unterschiedliche Aufnahme digitaler Angebote;

SGB III-Bereich: Computer-Selbstlernzentren, Blended-Learning-Angebote uvm.

Aufgabenbereichs-
struktur im Fachbereich 

Annahmen über Teilnehmende regelt Struktur des Angebots

Verhältnis Routine-Veranstaltungen – Innovationen

    

Digitale oder Blended-Learning-Formate

Durch Digitalität vorgegebene Inhalte uvm.

  

Angebotsgestaltung 

Sachstruktur

Lernstruktur

  

Content-Entwicklung unter Einbezug von Open Educational Resources,

Learning Analytics,

E-Assessments uvm.

Veranstaltungsverlauf Lehr-Lernprozessgestaltung Projekte, Recherchen, Portfolios, Mobile Learning, Augmented Reality, Tutorials, digitale Lernspiele uvm. 

Tabelle 1: Digitale Medien auf den didaktischen Handlungsebenen nach Hans Tietgens (eigene Darstellung nach Grotlüschen (2018))

„Die Frage, in welcher Weise digitale Medien zu neuen Marketingstrategien führen, ist mit dem klassischen Ansatz der didaktischen Handlungsebenen von Hans Tietgens heute nicht mehr sinnvoll abzubilden“ (Grotlüschen, 2018, S. 99). Das Modell könne  das Ausmaß neuer Organisationsformen und neuer Marketingstrategien nicht wiedergeben. Bildungsmarketing und Distributionsformen hätten sich weitgehend unbemerkt entwickelt und wurden möglicherweise von der Erwachsenenbildungspraxis und -forschung bisher übersehen (ebda.)

Markteintritt der Digitalwirtschaft

Im zweiten Teil untersucht die Autorin die Geschäftsmodelle von drei großen Medienunternehmen Google, XING und LinkedIn und erörtert die Frage, ob sie eine Konkurrenz für die bisherigen Weiterbildungsanbieter darstellen.

In der digitalen Welt liegen großen Datenmengen vor aus Lebensläufen, Stellenanzeigen und Kursangeboten, die es den Digitalkonzernen erlauben, sehr gezielt Werbung für Weiterbildungsangebote zu platzieren und eigene Formate anzubieten. Auf diesen Grundlagen entwickeln sich die neuen Geschäftsmodelle, die Grotlüschen so beschreibt:

„Bildungsmakler würden dann ähnlich agieren wie monopolistische Shopping- oder Flohmarktmakler, wie Wohnungssuchmaschinen und Partnerbörsen: Sie stellen das Produkt nicht her, sondern verknüpfen Produkt und Kundschaft mit Hilfe ihres Datenbestands – und sie diktieren die Regeln, nehmen für jeden Vertragsabschluss eine Gebühr (Amazon, Ebay, AirBnB, Uber) bzw. lassen sich den Zugang zur Kundschaft oder zum Produkt durch Abonnements oder Monatsraten bezahlen (Partnerbörsen, Musik- und Videostreamingdienste)“ ( S. 101).

In ihrer Fallanalyse stellt die Autorin das Berufstätigen-Netzwerk XING als „Event-Markt-Plattform“, LinkedIn als „Flatrate-Modell“ und Google als „Content-Modell“ vor. Dabei schließt sie anhand einer beispielhaften Nutzung der Plattformen auf das Geschäftsmodell.

Was fand die Studie heraus?

Geschäftsmodelle und Marketingstrategien werden im Zuge der Digitalisierung zu Themenfeldern für didaktisches Handeln, somit erweist sich Tietgens‘ Modell der didaktischen Handlungsebenen für Grotlüschen als weiterhin passend. Da Lehrgangsplanung, Programmbereichsplanung und die Gestaltung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen als didaktische Handlungsfelder gelten, gilt eben auch: „Die Positionierung von Weiterbildungsangeboten ist damit keine betriebswirtschaftliche, sondern eine pädagogische Handlung“ (S. 113).

Kritisch sieht Grotlüschen den allgemeinen Mangel an Medienkompetenz bei Lehrenden in der Weiterbildung. Um die Entwicklung von Geschäftsmodellen und Marketingstrategien im Umfeld digitaler Bildungsanbieter gestalten zu können, seien diese erforderlich. Entsprechende Weiterbildungen für das pädagogische Personal existieren jedoch laut Grotlüschen nicht. Sie verweist aber auf das neu entwickelte Modell zur Medienkompetenz von Lehrenden in der Weiterbildung von Schmidt-Hertha, Rohs, Rott und Bolten. Ebenso wenig gebe es eine Marktübersicht, die die jüngsten Entwicklungen abbilde, oder einen Fachdiskurs zum Markteintritt der Digitalwirtschaft.

Von als disruptiv einzuordnenden Entwicklungen dürften nach Grotlüschen vor allem die privatwirtschaftlichen Weiterbildungsanbieter betroffen sein, für die neue Konkurrenz mit neuen Geschäftsmodellen entstehe (S. 100).

Wie schätze ich die Studie ein? 

Die Autorin unternimmt eine Untersuchung in einem Feld, das in der Forschung bisher kaum Beachtung erhalten hat. Ihre Überlegungen zur Orientierung an einem existierenden Modell sind für weitere Analysen wichtig, um die Entwicklung strukturiert zu verfolgen.

Für in der Weiterbildung Tätige ist insbesondere der ausführliche Einblick in die Angebote der Digitalwirtschaft interessant. Allerdings muss man berücksichtigen, dass die Studie bereits 2018 erschien und sich in der Welt der digitalen Angebote seitdem viel verändert haben kann. Die Frage danach, ob hier ein disruptiver Prozess zu beobachten ist, will die Autorin letztlich nicht entscheiden. Ihre Einordnung macht allerdings deutlich, dass sowohl Anbietende als auch Abnehmende in der Erwachsenen- und Weiterbildung dem Thema mehr Beachtung schenken sollten:

„Ob diese Entwicklung disruptiv ist, kann derzeit kaum entschieden werden. Allerdings hat sie das Potenzial dazu, weil die Verknüpfung von Lebenslauf, Stellenmarkt und Weiterbildungsmodulen derart verkaufsträchtig ist, dass sie kaum zu verhindern sein wird – obwohl dabei grosso modo sensible Daten preisgegeben werden.“ (S. 114)

Wo finde ich den Originaltext zum Nachlesen?

Der Aufsatz ist erschienen in Heft 30 der Zeitschrift MedienPädagogik, das sich dem Thema Medienpädagogik und Erwachsenenbildung widmet, und steht als pdf zum kostenfreien Download zur Verfügung.

Grotlüschen, A. (2018): Erwachsenenbildung und Medienpädagogik: LinkedIn & Lynda, Xing und Google als Bildungsanbieter. In: Medienpädagogik 30, 94-115. Online abrufbar unter:  https://doi.org/10.21240/mpaed/30. X 

 

CC BY-SA 3.0 DE by Angelika Gundermann für wb-web (01.10.2020), letztmalig geprüft am 07.03.2024


Das könnte Sie auch interessieren

Digitalisierung in der Erwachsenenbildung

Mit Smartphone, Tablet und Laptop bringen Teilnehmende heute ganz selbstverständlich ihre eigenen digitalen Geräte mit in Kurse und Trainings, Workshops und Vorträge – unabhängig vom Thema. Für Erwachsenenbildung und Weiterbildung bieten sich damit neue Chancen für das Lernen, das abwechslungsreicher, individueller und kreativer gestaltet werden kann. Auch die Lehrenden können von digitalen Medien profitieren, wenn sie um die neuen Möglichkeiten wissen und professionelle Vernetzungsangebote kennen.

Zum Dossier

Marketing für das eigene Angebot

In vielen Bereichen der Erwachsenen- und Weiterbildung muss man um die Teilnehmenden werben, denn die Teilnahme ist freiwillig. Darüber hinaus muss man, wenn das Kurskonzept eine bestimmte Zusammensetzung der Teilnehmenden voraussetzt oder anstrebt, eine gezielte Werbung betreiben, die eben genau diese Menschen über das Kursangebot informiert und zur Teilnahme motiviert...

Zur Checkliste

MOOCs: Sieht so das Lernen der Zukunft aus?

Jede und jeder kann gratis, von überall aus und zu beliebiger Zeit bei und mit den Besten der Welt studieren – mit dieser Verheißung sind die Massiven Offenen Online-Kurse (MOOCs) um das Jahr 2012 herum angetreten. Seitdem haben Erfolge und Pleiten deutlich gemacht, was von dieser Verheißung in der beruflichen Wirklichkeit bleibt. Jörn Loviscach ist Professor für Ingenieurmathematik und technische Informatik an der FH Bielefeld.  Seine Forschungsinteressen liegen in der Mensch-Computer-Interaktion, in Techniken der Medienproduktion und in der computerunterstützten Lehre. Er ist Autor von 3.000 YouTube-Videos, hat 2012 einen der ersten MOOCs von Udacity geleitet und seitdem vier weitere MOOCs auf mooin veröffentlicht. Er schreibt hier über das Lernen mit MOOCs.

Zum Blog