Angelika Gundermann Forschung quergelesen

Digitale Transformation in der Organisation

Vernetzter Ball mit Schriftzug Digital Transformation

Bild:  Gerd Altmann /Pixabay ; CC0 Public Domain

Wie lässt sich die digitale Transformation in den Organisationen der Erwachsenen- und Weiterbildung vollziehen? Nicht erst, aber besonders seit Corona stellen Praktikerinnen und Praktiker sich diese Frage. Überblicksstudien, die eine umfassende Antwort geben könnten, liegen bisher nicht vor. Umso wichtiger sind Forschungsergebnisse, die zumindest erste Hinweise zum Thema geben.

Einleitung

Forschende der TU Dresden haben im Verbundprojekt „Change Maker – Veränderung von Organisationsstrukturen durch nachhaltige Medienbildungskonzepte in Bildungseinrichtungen des Handels (VOM_Handel)“ in der Zeit von 2017 bis 2020 drei Einrichtungen der beruflichen Bildung unter die Lupe genommen, den Stand der Entwicklung in Sachen Digitalisierung erfragt und auf dieser Grundlage „digitale“ Strategien für die erfolgreiche Transformation abgeleitet. Die Ergebnisse der Studie werden im Folgenden vorgestellt.

Warum sind die Ergebnisse für die Praxis der Erwachsenenbildung relevant?

Viele Organisationen der Erwachsenen- und Weiterbildung stehen vor der Frage, wie sie die digitale Transformation ganz praktisch in ihrer Einrichtung umsetzen. Es geht um die Lehr- und Lernarrangements, aber auch um Verwaltungsvorgänge. Die vorliegende Studie liefert Daten zur Situation in Bildungseinrichtungen, die allerdings vor der Covid-Pandemie erhoben wurden. Im Projekt wurden auf dieser Grundlage Handlungsanleitungen für die Praxis entwickelt. Interessierte Organisationen können damit einerseits einen Abgleich mit dem eigenen Status Quo vornehmen, zum anderen bei Handlungsbedarf auf die Anleitungen zugreifen und direkt in die Praxis umsetzen, sofern dies im eigenen Haus passend oder nötig erscheint.

Worum geht es in dieser Studie?

Die Studie will einen Beitrag zur Organisationsentwicklung in der beruflichen (Weiter-)Bildung leisten. Zunächst wurde der Ist-Zustand ermittelt, darauf aufbauend identifizierten die Forschenden, wo Veränderungen notwendig sind. Auf dieser Grundlage entwarfen sie ein Medienbildungskonzept für die untersuchten Bildungsorganisationen.

Als zentrale Elemente eines solchen Konzepts benannten die Forschenden:

  •   den Einsatz von digitalen Medien,
  • die IT-Infrastruktur und
  • Kompetenzen in Mediendidaktik.

Dabei betrachteten sie alle Hierarchieebenen in den Einrichtungen und neben den Lehr-Lern-Arrangements auch die Verwaltungsprozesse.

Was fand diese Studie heraus?

Die Forschenden erstellten die Beschreibung des Ist-Zustands auf der Grundlage von 18 Interviews mit Mitarbeitenden aus Geschäftsführung, mittlerer Führungsebene sowie mit festangestellten und freien Dozent*innen. In den folgenden Bereichen kamen sie zu Befunden:

  • Visionen, Leitbilder, Strategien: 
    Als „sehr nebulös“ (Neumann, Hoffmann & Baumgarten, 2018, S. 9) bezeichnet die Studie diesen Themenkomplex bei den Geschäftsleitungen. Die mittlere Führung geht hingegen pragmatisch mit diesen Themen um und die Dozent*innen denken dabei vor allem an die Teilnehmenden und daran den Unterricht effektiver zu gestalten.
  • Einstellung zur Digitalisierung: 
    Führungskräfte äußern sich verhalten bis positiv und nehmen an, dass ihre Mitarbeitenden diese Haltung zur Digitalisierung teilen. Die mittlere Ebene hat allerdings eine andere Wahrnehmung, die Mitarbeitenden hier sehen auch Widerstände und Ängste. Für sie spielt auch die Einstellung der Lernenden eine Rolle bei der Beurteilung dieses Themas. Die Einstellungen der Dozentinnen und Dozenten decken das ganze Spektrum von ablehnend bis begeistert zu dieser Frage ab.
  • IT-Infrastruktur: 
    Bezüglich der Ausstattung bleibt es von Seiten der Geschäftsführungen bei eher allgemeinen Aussagen, die mittlere Führungsebene kann hier konkrete Einschätzungen abgeben. Für die Lehrenden steht der Einsatz digitaler Technologien und Medien im Lehr-Lernprozess im Vordergrund. Sie berichten von Problemen beim Einsatz der Technik, von fehlenden Anschlüssen bis hin zu komplizierten Belegungsplänen. Besonders die freien Dozent*innen greifen (gezwungenermaßen) auf eigene Technik zurück.
  • Lehren und Lernen: 
    Die Überlegungen der Geschäftsleitung bewegen sich naturgemäß auf der planerischen Ebene, etwa zum Einsatz von Lernplattformen, Online-Prüfungen, teilweise zur Entwicklung der Digitalkompetenzen bei Lehrenden. Auf der mittleren Führungsebene schaut man auf den Lernprozess, dessen effektivere und flexiblere Gestaltung durch den Einsatz digitaler Medien, sieht aber auch Probleme durch Reglementierung z.B. bei öffentlich geförderten Kursangeboten. Die Voraussetzungen bei den Lernenden und wie diese motiviert werden können, beschäftigen die Dozent*innen. Sie sind sich bewusst, dass die Medienkompetenz der Lernenden entwickelt werden muss.
  • Medienkompetenz der Lehrenden: 
    Die Geschäftsleitungen nehmen den Umgang mit Technik und Didaktik bei digitalen Angeboten als möglicherweise herausfordernd wahr, dabei sehen sie das Alter der Lehrenden als Ursache für mögliche Probleme. Sie erleben eine “geringe intrinsische Motivation” (ebda., S. 13) bei den Dozent*innen. Die mittlere Führungsebene äußert sich uneinheitlich. Sie wünscht sich verbindliche Regeln für den Medieneinsatz. Die Dozent*innen zeigen ein breites Bild von Unwillen bis Begeisterung für digitale Medien im Unterricht.
  • Medienkompetenz der Lernenden: 
    Die Zielgruppe ist sehr heterogen in ihren Voraussetzungen, dies wird so auch von den Geschäftsführer*innen wahrgenommen. Die mittlere Führungsebene sorgt sich um negative Auswirkungen dieser mangelnden Medienkompetenz.

Im Anschluss sahen sich die Forschenden für eine Dokumentenanalyse Unterlagen der Einrichtungen wie Leitbilder, Ausstattungspläne, Medienkonzepte, Fortbildungspläne, Qualitätsmanagement-Handbücher und Übersichten zu Medienprodukten oder Lernplattformen an. Abschließend erhoben sie Daten in einer Onlinebefragung, an der 132 Personen teilnahmen. Neben den zuvor interviewten Beschäftigten diesmal auch Sachbearbeiter*innen und Verwaltungsangestellte. Die Gruppe der Dozent*innen war unter den Befragten zahlenmäßig am stärksten vertreten.

Diese Online-Befragung zielte auf Erkenntnisse zur tatsächlichen strukturellen Verankerung der Digitalisierung in den Einrichtungen. Abbildung 1 gibt die Einschätzung hierzu für die verschiedenen befragten Gruppen für sechs Fragestellungen wieder:

Abbildung 1: Vergleich der Mittelwerte der befragten Gruppen (n=74 bis n=99) (Quelle: Neumann, Hoffmann & Baumgarten, 2018, S. 25)

Abbildung 1: Vergleich der Mittelwerte der befragten Gruppen (n=74 bis n=99) (Quelle: Neumann, Hoffmann & Baumgarten, 2018, S. 25)

Abbildung 2 gibt wieder, wie sich die Befragten selbst einschätzten:

Abbildung 2: Einschätzung der eigenen Position bezüglich digitaler Medien (semantisches Differential) (Quelle: Neumann, Hoffmann & Baumgarten, 2018, S. 30)

Abbildung 2: Einschätzung der eigenen Position bezüglich digitaler Medien (semantisches Differential) (Quelle: Neumann, Hoffmann & Baumgarten, 2018, S. 30)

Bei den Ergebnissen zu den Lehrenden ist interessant: Eine angenommene negative Korrelation des Alters mit computerbezogenen Einstellungen fanden die Wissenschaftler*innen nicht bestätigt. Vielmehr gab es in der Altersgruppe der 31-40jährigen die größten Vorbehalte zum Computereinsatz.

Wie schätze ich die Studie ein?

Im Gegensatz zu vielen Studien zur Digitalisierung in Organisationen der Erwachsenenbildung (vgl. hierzu auch Koschorreck & Gundermann, 2021, S. 187) wurden hier nicht nur Leitende, sondern Mitarbeitende auf allen Ebenen und aus allen Tätigkeitsfeldern befragt. Da die digitale Transformation die Entwicklung der gesamten Bildungsorganisation erfasst, ist dies überaus sinnvoll.

Interessant ist, dass einige Aussagen, die in den Interviews getroffen wurden, den Befunden aus der Dokumentenanalyse und der Online-Befragung widersprechen (Neumann, Hoffmann & Baumgarten, 2018, S. 47). 

  • So geben die Geschäftsleitungen zur Digitalisierungsstrategie in der Online-Befragung an, sie sei vorhanden, in den Interviews hingegen verneinen zwei dies; bei der Dokumentenanalyse fanden die Forschenden nur in einer Einrichtung ein entsprechendes Dokument (ebda., S. 47).
  • Die mittlere Führungsebene bemängelt in den Interviews, dass es zu wenig Ressourcen für die Umsetzung der Digitalisierungsziele gibt, in der Umfrage hingegen scheinen die Ressourcen ausreichend; faktisch ist aber z.B. die Internetgeschwindigkeit sehr niedrig (ebda., S. 48).
  • Widersprüchlich ist auch die Einschätzung zum aktuellen Einsatz digitaler Medien und den selbst beurteilten Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien (ebda., S. 50). Bei letzterem wurden in den Bereichen Medienpädagogik, Urheberrecht und Mediennutzung Defizite wahrgenommen.

Eine wichtige Erkenntnis ist das divergente Meinungsbild zur Digitalisierung in den verschiedenen Gruppen: Die positive Einstellung ist bei der Führung am höchsten, gefolgt von der Gruppe der mittleren Führung. Am Ende der Skala bewegen sich die Dozent*innen.

Insgesamt ist die Studie ein interessanter Beitrag zum heterogenen Bildungsbereich. Sie betrachtet allerdings nur eine sehr kleine Auswahl an Einrichtungen, worauf die Forschenden selbst auch hinweisen, in einem ganz bestimmten Teilfeld der Weiterbildung.

Für die praktische Umsetzung von Erkenntnissen aus der Studie bieten die zusätzlichen Veröffentlichungen des Projekts eine gute Grundlage. Das Transferkonzept liefert Geschäftsführungen, Standortverantwortliche, Personalentwickler in Bildungseinrichtungen fünf konkrete Schritte, wie die Gestaltung und Implementierung eines Medienbildungskonzeptes geplant, organisiert und umgesetzt wird. Ebenfalls an die Geschäftsführung und die mittlere Führungsebene richtet sich das Weiterbildungskonzept. Zielgruppe für die vorgestellten Angebote und Maßnahmen sind die Lehrenden an den Bildungseinrichtungen. Ergänzend dazu lohnt sich ein Blick in das im Projekt erarbeitete Kompetenzmodell und in das Gesamtmedienbildungskonzept.

Ergänzend zu der hier vorgestellten Studie sei ein Blick in eine Untersuchung zum Stand der Digitalisierung in Einrichtungen der gemeinwohlorientierten Erwachsenenbildung empfohlen: Engels und Egloffstein trugen 2020 Daten aus 42 Einrichtungen der katholischen Erwachsenen- und Familienbildung in Nordrhein-Westfalen zusammen und werteten sie aus. Wenn auch beide Studien nicht repräsentativ sind, so lässt sich doch eine – übereinstimmende - Tendenz ablesen.

Wo finde ich den Originaltext zum Nachlesen?

Im Projekt ist eine Vielzahl von Publikationen entstanden. Der Forschungsbericht (Neumann, Hoffmann & Baumgarten, 2018) wurde an der TU Dresden veröffentlicht. Ein Buchbeitrag zum Projekt (Hoffmann, Neumann, 2019) liegt vor im Sammelband „Teilhabe in der digitalen Bildungswelt“ (Hafer, Mauch, Schumann, 2019). Auf den Websites der Projektbeteiligten finden sich zudem weitere Projektprodukte:

Infos zum Projekt Digitale Transformationsprozesse in Einrichtungen der Beruflichen Bildung – Digital für Alle (tu-dresden.de)

Change Maker – zbb – Zentralstelle für Berufsbildung im Handel e.V

Transferkonzept

Handlungsleitfaden_zur_Verankerung_von_Medienbildung.pdf (zbb.de)

Weiterbildungskonzept

Weiterbildungskonzept_gesamt.pdf (zbb.de)

Kompetenzmodell

Kompetenzmodell_VOM_Handel_final.pdf (zbb.de)

Gesamtmedienbildungskonzept

Gesamtmedienbildungskonzept.pdf (zbb.de)

Buchbeitrag zur Studie:

Hoffmann, L., Neumann, J. (2019). Die „digitale“ Realität in Bildungseinrichtungen des Handels. Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt VOM_Handel. In J. Hafer, M. Mauch, M., Schumann (Hrsg.), Teilhabe in der digitalen Bildungswelt. S. 66-77. Münster, New York: Waxmann.

Die "digitale" Realität in Bildungseinrichtungen des Handels. Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt VOM_Handel (pedocs.de)

Forschungsbericht:

Neumann, J., Hoffmann, L. & Baumgarten, K. (2018). Digitalisierung in Bildungseinrichtungen des Handels. Fallstudien als IST-Stands-Analyse im BMBF-Verbundprojekt VOM_Handel. Technische Universität Dresden. https://tud.qucosa.de/api/qucosa%3A32283/attachment/ATT-0/

Literaturhinweise

Engels, M., Egloffstein, M. (2021). Digitale Transformation von Bildungsorganisationen: Perspektiven der gemeinwohlorientierten Erwachsenenbildung. In C. Bernhard-Skala, R. Bolten-Bühler, J. Koller, M. Rohs, J. Wahl (Hrsg.), Erwachsenenpädagogische Digitalisierungsforschung. Impulse - Befunde – Perspektiven. S. 283-303. Bielefeld: wbv-media.html" class="glossary-link">wbv Media. DOI: 10.3278/6004789w Erwachsenenpädagogische Digitalisierungsforschung - Impulse - Befunde - Perspektiven (wbv.de)

Koschorreck, J., Gundermann, A. (2021). Die Bedeutung der Digitalisierung für das Management von Weiterbildungsorganisationen. In A. Wilmers, M. Achenbach, C. Keller (Hrsg.), Bildung im digitalen Wandel. Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen, S. 161-192. Münster, New York: Waxmann. doi:10.31244/9783830994558.06

 

CC BY SA 3.0 DE by Angelika Gundermann für wb-web (27.06.2022), letztmalig geprüft am 07.03.2024


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