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OER-Praktiker-Slam

Jan Koschorreck auf der didacta 2019 in Köln spricht zum Thema OER.

Jan Koschorreck/DIE zum Thema "OER" (Bild: Miriam Bastisch/DIE)

Praktikerinnen und Praktiker berichteten kurz und bündig von ihrer Arbeit und ihren Projekten mit OER während der didacta am 22.02.2019. Da dieses Thema alle Bildungsbereiche betrifft, kamen vier Slammer aus der Schulbildung, der beruflichen Bildung, der Hochschule und der Weiterbildung zu Wort. Hier können Sie die Beiträge nachlesen und sich auch die (verlinkten) OER-Projekte genauer anschauen.

Bereich Schulbildung

 Slammer André Hermes, Gymnasiallehrer und Lehreraus- und -fortbildner

Ich bin hier als Lehrer, der auch OER nutzt, ich sage „auch“, weil ich nicht nur OER nutze. Ich bin kein Hardliner, der das ausschließlich macht. Ich nutze das, was zum Lernen geeignet ist.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man im digitalen Bereich irgendwann an Grenzen stößt. Wenn ich handlungsorientierten, selbstbestimmten Unterricht machen will und die Schülerergebnisse auch eine gewisse Öffnung erfahren sollen, dann geht das nicht mit geschütztem Material. Wenn es nicht freigegeben ist, dann kann ich es nicht nutzen, schlicht und ergreifend, es kann noch so schön aufbereitet sein. Die Erfahrung habe ich gemacht und stand an der Stelle, wo ich meinen Schülern beibringen musste, wie sie mit offenen Materialien umgehen sollen. Ich möchte Schule handlungsorientiert machen. Die Schüler sollen zurechtkommen, auch wenn sie irgendwann aus der Schule raus sind. Und da ist OER sehr gut geeignet.

Und deshalb habe ich ein Konzept entwickelt, das auf der Erfahrung und Arbeit mit den Schülern aufbaut, wie man Schritt für Schritt die Schüler dahinbringt, sinnvoll und einigeraßen rechtssicher mit Material im Internet umzugehen. Das heißt, sie produzieren Dinge, die sie dann auch freigeben können. Im Moment ist es nämlich so, wenn man bei Youtube Erklärvideos sucht, dann dürften 95 % da eigentlich so nicht sein. Das liegt daran, dass Lehrer Schülern nicht zeigen, was sie benutzen dürfen und was nicht. Und auf der anderen Seite gibt es eine Verhinderungskultur, wenn Lehrer immer nur mit dem Finger drohen und sagen: „Du darfst aber gar nichts machen.“ So entlassen wir die Schüler letztendlich nicht in die Freiheit, tatsächlich was machen zu können. Wir müssen sie aber dazu bringen, handlungsfähig zu werden und dazu ist OER sehr gut geeignet.

Viele erschrecken ein bisschen, wenn sie dieses schrittweise Heranarbeiten zum ersten Mal sehen und sagen: „Was, ich soll den Schülern zeigen, wie die Lizenzbedingungen sind und so?!“ Ich bin auch in der Lehrerausbildung als Lehrbeauftragter für den Bereich Geographiedidaktik an der Universität Osnabrück tätig. Und das machen wir da auch. Wir lernen das Schritt für Schritt kennen. Tatsächlich kommt anschließend die Erkenntnis: „Ok, wenn man das so aufbaut, scheint das ja doch zu gehen. Kann man also machen.“ Das gleiche mache ich, wenn ich Lehrerfortbildungen vor gestandenen Kollegen oder Fachleitern mache. Wenn wir das Konzept ausprobiert haben, kommen dann auch Feststellungen wie: “Das können wir eigentlich so eins zu eins übernehmen für unsere Schüler.“ Dazu habe ich auch einen Blogbeitrag geschrieben, den man sich anschauen kann. Das ist mein Berührungspunkt mit OER: im Unterricht selber einsetzen und Schülern zeigen, wie sie mit freien Bildungsmaterialien umgehen und das dann auch weitergeben an alle die es wissen wollen. Danke schön.

 https://medienberaterbloggt.de/

Bereich Berufsbildung

 Slammerin Dr. Petra Flocke, Projektleiterin Fortbildung bei Bildung & Begabung, dem Talentförderzentrum des Bundes und der Länder

Ich möchte Ihnen team@work vorstellen: Tipps zur Arbeit mit Geflüchteten in Unternehmen. team@work ist ein Angebot, das wir für Ausbilderinnen und Ausbilder gemacht haben. Als Talentförderzentrum nehmen wir uns der Potenzialentwicklung von Kindern und Jugendlichen an. Da die Zielgruppe der Auszubildenden bisher wenig in Förderansätzen berücksichtigt wird, haben wir einen Schritt in die berufliche Ausbildung gemacht und ein talentförderndes Angebot konzipiert. Es hat zu unserer Freude 2017 den OER-Award für berufliche Aus- und Weiterbildung erhalten.

Wie sind wir vorgegangen? Wir haben Folgendes überlegt: Wenn wir ein Angebot für Ausbilderinnen und Ausbilder konzipieren, das Jugendliche in der Potenzialentwicklung unterstützen soll, dann müssen wir bei den Unternehmen schauen, wie der Bedarf ist und was die Ausbilderinnen und Ausbilder vor Ort brauchen. Also haben wir eine Unternehmensabfrage gestartet, mit drei Konzernen Themen identifiziert und das Angebot schließlich mit dem Industriekonzern Evonik umgesetzt. Dank der großartigen Kooperation mit Evonik waren wir in der Lage, sowohl Praxisimpulse - über deren Ausbildungszentrum - in das Angebot zu nehmen, als auch auf einer soliden finanziellen Basis arbeiten zu können.

Ziel war es, einen branchenübergreifenden Online-Kurs zu erstellen, der für alle frei zugänglich, kostenlos, natürlich teilbar, und nach OER Prinzipien gestaltet ist. Wir haben mit Evonik zehn drängende Themen bzw. Fragen, die in der Ausbildung mit geflüchteten Jugendlichen von großer Bedeutung sind, erarbeitet. Diese Fragen sind beispielsweise: Was mache ich, wenn geflüchtete Jugendliche im Betrieb ankommen? Wie integriere ich sie? Wie erkenne ich Fähigkeiten? Und wie kann eine Förderung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kulturen aussehen?

Diese zehn Fragen haben wir mit der Agentur Jöran & Konsorten multimedial beantwortet. Dabei haben wir mit Expertinnen und Experten aus der beruflichen und pädagogischen Praxis, mit Auszubildenden mit Fluchterfahrung und mit deren Ausbilderin zusammengearbeitet. Das Angebot sieht so aus: es gibt ein Video, in dem erste Antworten der Beteiligten zu der jeweiligen Frage gegeben werden. Die Videos haben wir um weiterführende Materialien und Verlinkungen zu anderen Angeboten ergänzt. Nutzer können sich beliebig in die Tiefe klicken und diesen Kurs entweder insgesamt nutzen oder einzelne Fragen bearbeiten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass nicht nur Ausbilderinnen und Ausbilder team@work nutzen, sondern auch andere Pädagogen, die mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung arbeiten. Vielen Dank.

https://atucation.de/team-at-work/     

Bereich Hochschule

 Slammer Matthias Kostrzewa, Professional School of Education, Ruhr-Universität Bochum

Wir wissen jetzt, der Digitalpakt ist da. Die Schulen werden ausgestattet und jetzt fragen wir uns: „Ja, was machen die Lehrer eigentlich damit, wenn sie dafür nicht qualifiziert sind und wenn wir an den Universitäten keinen neuen Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, die diese Kompetenzen mitbringen?“ Wer in der Hochschule aktiv war oder ist, der weiß, curriculare Entwicklung und Verankerung dieser Themen in der gesamten Lehrerbildung über alle Fächer braucht sehr viel Zeit. Und wir haben uns gesagt, wir haben diese Zeit nicht, weil die Entwicklung zu schnell ist. Und wir haben uns die Frage gestellt: “Warum sollen wir uns in Bochum diese Gedanken machen und die Kollegen 20 km weiter östlich in Dortmund machen sich die Gedanken auch? Und die Kollegen 20 km weiter westlich in Duisburg/Essen tun das ebenfalls. Warum das nicht bündeln?“ So haben wir vor anderthalb Jahren den Universitätsverbund digilLL_NRW gegründet. digiLL steht dabei für Digitales Lehren und Lernen in der Lehrer/-innenbildung. Noch heißt er NRW, weil fünf NRW-Universitäten beteiligt sind: neben den Standorten Bochum, Dortmund, Duisburg/Essen auch noch Münster und Köln.

Was machen wir bei digiLL? Wir wollen zukünftigen wie auch aktuellen Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit geben, sich im Bereich digitales Lernen, digitale Lehre weiterzubilden. Von ganz einfachen Sachen wie der Bedienung von interaktiven Whiteboards bis hin zu ganz konkreten Konzepten für die Unterrichtsgestaltung, beispielsweise sprachsensibler Chemieunterricht mit einem Tablet. Es ist also ein breitgefächertes Angebot. Dafür haben wir Lernmodule entwickelt, die relativ kurz sind, im Bereich 45-60 Minuten, und die man sich in seiner Freizeit tatsächlich aneignen kann.

Bei der Planung haben wir gesagt, dass unsere Module drei Bedingungen erfüllen müssen. Sie müssen frei sein im Sinne einer freien Zugänglichkeit ohne Anmeldung. Ich komme also an all diese Lernmodule ran, ohne irgendwo konkret meine Daten zu hinterlassen. Sie müssen über jedes Endgerät der Welt verfügbar sein. Und sie müssen frei sein im Sinne der Nutzbarkeit und dafür ist OER bei uns wichtig. Wenn wir die alle als OER lizensieren, dann ist es völlig egal, was mit diesen Materialien hinterher passiert. Ob sie jetzt in Bochum oder in Köln oder in München genutzt werden. Jeder darf sie nutzen.

Das heißt, OER ist für uns etwas Grundsätzliches, das diese Arbeit erst ermöglicht. Unsere Kooperation funktioniert nur, weil die Materialien frei lizensiert sind, also CC0, CC BY, CC BY-SA. Das heißt, es gibt fast keine Einschränkungen. Sie können auch von Menschen genutzt werden, die damit kommerziell was machen wollen. Das spielt für uns keine Rolle, wir wollen unsere Themen nach außen tragen. Und mit digiLL zeigen wir so außerdem, dass sich auch Universitäten in einer digitalisierten Welt bewegen, über ihre Grenzen hinausschauen und Kooperationen eingehen können.

Das Letzte, was ich noch sagen möchte: unsere Besonderheit ist, dass sich digiLL nur aus Bordmitteln finanziert. Wir funktionieren ohne Fördergelder oder Ähnliches. Jeder der mitmacht, macht das aus Überzeugung. Ich bin seit vier Jahren in der OER Praxis aktiv. Das macht das Thema für mich aus. Wir sind Überzeugungstäter. Wir machen das, weil wir sagen, da passiert etwas Gutes und wir bringen Unterricht tatsächlich voran. Vielen Dank.

https://www.digill-nrw.de/

https://www.matthias-kostrzewa.de 

Bereich Weiterbildung

 Slammer Dr. Sabine Preusse, Erwachsenen- und Weiterbildnerin, Unternehmerin, aktiv für den BDVT e.V. – Der Berufsverband für Training, Beratung, Coaching

Ich muss mich outen. Ich gehöre der kommerziellen Erwachsenenbildung an. Ich bin also Unternehmerin. Und wir haben in unserem Projekt der OER-Fachexperten vor allem Akteure aus der kommerziellen Weiterbildung angesprochen. Auch wenn wir bei der Lizensierung oft durch eine No-Commercial-Lizenz ausgeschlossen werden, finden wir das Thema OER ganz spannend. Warum? Ein Teilnehmer brachte es auf den Punkt: „Ich verschenke, was ich weiß. Und ich verkaufe, was ich kann.“ Andere Nutzen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Fortbildungen gesehen haben, sind:

  1. eine rechtsichere Grundlage, um Materialen aus dem Internet zu verwenden und auch zu verändern, damit man eigene Materialien erstellen kann,
  2. eine gute rechtliche Basis für eine Zusammenarbeit auch unter Mitbewerbern im Markt. Etwas was für uns Trainer ganz wichtig ist, weil Weiterbildungs- und Personalentwicklungs- oder Organisationsentwicklungsprojekte in der Zukunft immer komplexer werden.
  3. die Steigerung der Qualität unserer Materialien, weil wir uns viel bewusster mit Quellen auseinandersetzen, also mit den Dingen, die wir verwenden,
  4. die Sichtbarkeit als Experten im Markt, wenn wir OER veröffentlichen. Das ist für uns etwas ganz Wichtiges und hat eine schöne Marketingfunktion.

Als im November 2016 der BDVT – Der Berufsverband für Training, Beratung und Coaching zusammen mit der Technischen Hochschule Lübeck und mit Unterstützung durch das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung und die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg die Fachfortbildung zum OER-Fachexperten konzipierten und umsetzten, meldeten sich Kritiker: „Stopp! Ihr zerstört die Geschäftsgrundlage Eurer Trainerinnen und Trainer.  Denn die verdienen ihr Geld damit, dass sie Materialien erstellen und die Materialien verkaufen.“ Heute, ein Jahr nach Projektabschluss wissen wir Folgendes: Wir haben Teilnehmer erreicht von der Musiklehrerin über den Ausbilder bei der Feuerwehr bis hin zu den Weiterbildnern bei den großen Sozialpartnern der Gesellschaft, zu den Dozenten von Volkshochschulen und von Hochschulen, Lehrern und natürlich zu den kommerziellen Trainerinnen und Trainern. Wir haben mehr Veranstaltungen durchgeführt als geplant und konnten auch hinterher doppelt so viele Experten zum geprüften OER-Fachexperten BDVT fortbilden.

Leider sind die Fördermittel durch das BMBF ausgelaufen. Dies erfordert nun, dass wir dieses Projekt selber weiterführen. Und das ist das Schöne, es ist fast vollständig CC BY oder CC SA lizensiert. Deshalb ist es mir möglich, dieses Projekt im Rahmen meines eigenen Unternehmens auch weiterzuführen und diese Fortbildungen mit einem überarbeiteten Konzept im Markt wieder anzubieten. Ich bin nicht die einzige, viele der OER-Fachexperten sind weiterhin mit OER aktiv, haben OER aktiv in ihr Geschäftsmodell integriert. Es entstehen ganz spannende OER-Projekte dort draußen in der Erwachsenenbildung, die es sich einfach lohnt anzuschauen. OER ein Hype? Diese Frage mag ich mit einem Nein beantworten. Unsere Community ist klein und fein, und ich denke, sie wird in den nächsten Jahren größer werden. Danke schön.

https://www.oer-fachexperten.de/projekt/


CC BY SA by Magdalena Spaude für wb-web


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