Tanja Mayer
Forschung quergelesen
Generative KI im Sprachenunterricht für Erwachsene: Chancen, Grenzen und praktische Implikationen für Lehrkräfte

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Die Vorstellung, Sprachen jederzeit und überall lernen zu können – selbst bei einem kurzen Umstieg am U-Bahnsteig – klingt verlockend und ist durch den Aufstieg generativer Künstlicher Intelligenz (KI) in den Bereich des Möglichen gerückt. Doch wie einfach ist es wirklich, mit großen Sprachmodellen wie ChatGPT eine Fremdsprache zu lernen? Können diese Technologien uns helfen, menschliche Unsicherheiten im Sprachgebrauch, besonders in Gruppen, zu überwinden?
Dieser Artikel beleuchtet die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Einsatz generativer KI im Sprachenlernen. Ich lade Sie dazu ein, mit mir zu schauen, welche Chancen und Grenzen generative KI-Modelle haben und wie Lehrkräfte diese Tools optimal in ihren Unterricht integrieren können.
Grundlagen: Was sind große Sprachmodelle?
Große Sprachmodelle, englisch Large Language Models (kurz LLMs) genannt, zu denen auch ChatGPT gehört, sind KI-Systeme, die in der Lage sind, menschenähnliche Texte zu generieren, Kontexte zu verstehen und auf komplexe Fragen zu reagieren. Im Gegensatz zu Menschen verfügen LLMs jedoch nicht über ein „echtes" Verständnis der Bedeutung des Textes, den sie verarbeiten oder generieren, oder einer internen Repräsentation. Ihre Fähigkeit, kohärente und relevante Inhalte zu produzieren, basiert auf dem Training mit riesigen Mengen menschengeschriebener Texte. So können diese Modelle die Wahrscheinlichkeit berechnen mit der bestimmte Wörter oder Phrasen, sogenannte „Tokens“, in bestimmten Kontexten aufeinanderfolgen, ähnlich den Kettengeschichten oder Flüster-Post-Geschichten die manche von uns früher als Kinder mit Freunden kreiert haben.
Wissenschaftliche Einblicke: Was sagen uns Forschungsübersichten?
Um die Frage zu beantworten, wie KI-Systeme im Sprachenlernen eingesetzt werden können, schaue ich mir zwei Forschungssynthesen an. Forschungssynthesen, auch systematische Reviews genannt, sind wissenschaftliche Artikel, die eine Vielzahl vorhandener Studien zu einem spezifischen Thema sammeln, die Ergebnisse zusammenfassen, bewerten und synthetisieren. Sie gelten als besonders hochwertige Quelle wissenschaftlicher Evidenz, da sie ein verlässliches Gesamtbild liefern.
Das erste Review, von Li und Kolleg:innen (2024), trägt den Titel "A systematic review of the first year of publication on ChatGPT and language education: Examining research on ChatGPT´s use in language learning and teaching". Diese Arbeit analysierte 36 Studien und konzentrierte sich dabei auf Forschungsschwerpunkte in den Bereichen: Bildungskontext, Sprache und Thematik, die potenziellen Rollen generativer KI im Sprachenunterricht sowie auf bestehende Forschungslücken und zukünftige Forschungsrichtungen.
Das zweite Review, von Deng und Kolleg:innen (2024), mit dem Titel „A systematic review on robot-assisted language learning for adults", untersuchte 22 Studien. Obwohl dieses Review nicht explizit LLMs wie ChatGPT zum Thema hat, sondern den Einsatz von KI-Robotern im Sprachenlernen, liefert sie relevante Erkenntnisse zu expliziten und impliziten Lehrstrategien sowie zu den besonderen Bedürfnissen erwachsener Lernender. Da viele moderne Robotik-Anwendungen ebenfalls auf fortschrittlicher KI basieren, umfassen ihre Schlussfolgerungen auch für das Verständnis von LLMs im Kontext des Sprachenlernens für Erwachsene wertvolle Aspekte.
Kernaussagen der Studien: Welche Rollen kann generative KI im Sprachenlernen für Erwachsene einnehmen?
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass generative KI – und hier insbesondere ChatGPT – eine maßgebliche Unterstützung im Schreibprozess und bei der Textproduktion bieten kann. Darüber hinaus fördert der Einsatz von KI das selbstgesteuerte Lernen und ermöglicht effektives, personalisiertes Feedback im Lernkontext.
Angesichts dieser Potenziale können generative KI-Modelle verschiedene Rollen in der Sprachbildung übernehmen, die sowohl für Lernende als auch für Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung von großem Nutzen sein können. Für Lernende kann KI ein interaktiver Konversationspartner sein, um Sprachkenntnisse in einer angstfreien Umgebung zu trainieren und Dialoge üben zu können. So können die Hemmungen, die Erwachsene häufig beim Lernen einer neuen Sprache haben, überbrückt werden bis das Selbstvertrauen der Person gestiegen ist. Zudem können LLMs als Schreibassistent bei der Ideenfindung, Gliederung, Entwurfserstellung und Korrektur von Texten unterstützen. Weiterhin kann KI sofortiges Feedback zu Vokabular und Grammatik geben und bei Prüfungsvorbereitungen helfen. Auch als Rechercheassistent zur Informationsbeschaffung und Zusammenfassung von Inhalten kann sie eingesetzt werden.
Für Lehrkräfte haben LLMs den Vorteil, dass sie vor allem in Verbindung mit anderen Plattformen, wie z.B. Brisk bei der Erstellung und Entwicklung von Lernmaterialien fungieren und helfen können. Sie bieten Unterstützung bei der Planung und Etablierung von Unterrichtsroutinen, etwa durch die Generierung von Fragen oder die Erstellung von Übungsaufgaben. Insgesamt kann KI den gesamten Lehrworkflow optimieren, indem sie repetitive Aufgaben übernimmt und Lehrkräften mehr Zeit für individuelle Betreuung lässt.
Grenzen und offene Fragen: Wo die Forschung noch keine belastbaren Ergebnisse hat
Trotz der vielversprechenden Potenziale großer Sprachmodelle gibt es wichtige Bereiche des Sprachenunterrichts, in denen die Forschung den Einsatz von KI noch nicht abschließend klären konnte. Hierzu gehören die Langzeiteffekte auf das Lernen. Die meisten bisherigen Studien wurden über kurze Zeiträume durchgeführt, sodass verlässliche Daten zu den langfristigen Auswirkungen des KI-Einsatzes auf den Spracherwerb und die Nachhaltigkeit der Lernerfolge fehlen.
Nicht abschließend geklärt ist zudem die ethische Integration von KI in den Bildungsbereich. Fragen des Datenschutzes, algorithmischer Verzerrungen (Bias) und der Transparenz der KI-Entscheidungen müssen adressiert werden, um einen gerechten und fairen Einsatz zu gewährleisten. Des Weiteren mangelt es an Forschungsergebnissen aus diversen kulturellen Kontexten, beispielsweise aus dem afrikanischen Kontinent, da die Mehrheit der Studien aus nordamerikanischen, europäischen oder chinesischen Bildungseinrichtungen stammen. Für Sprachen aus wenig beforschten kulturellen Kontexten könnten die Forschungsergebnisse somit ggf. nicht zutreffend sein.
Auch die Auswirkungen von KI auf das soziale Lernen im Klassenzimmer und auf die Entwicklung des kritischen Denkens bei Lernenden sind noch nicht ausreichend erforscht. Ein zu starker Fokus auf individuelle Interaktionen mit KI könnte soziale Aspekte des Lernens vernachlässigen. Obwohl KI als Feedbackgeber dient, sind die spezifischen Lernerfolge in Bezug auf Vokabular, Aussprache und Grammatik in der Erwachsenenbildung noch nicht abschließend belegt. Es gibt Inkonsistenzen in den Studienergebnissen, die weitere Untersuchungen erfordern.
Praktische Implikationen für Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung: Chancen und konkrete Handlungsempfehlungen
Der Einsatz generativer KI-Modelle im Sprachenunterricht für Erwachsene birgt erhebliche Chancen, sofern Lehrkräfte sich ihrer Potenziale und Grenzen bewusst sind.
Chancen und Einsatzmöglichkeiten: LLMs können als interaktiver Übungspartner (Peer), Tutor oder Schreibassistent fungieren, was insbesondere im individualisierten Lernen von Vorteil ist. Für viele Erwachsene ist die Hemmschwelle in einer Fremdsprache zu sprechen hoch. Hier bietet die KI eine Umgebung, in der Lernende ohne Bewertungsdruck üben können. KI ermöglicht personalisierte Lernpfade und bietet sofortiges Feedback, wodurch die Motivation von Lernenden gesteigert werden kann. Dies ist besonders für erwachsene Lernende mit unterschiedlichen Vorkenntnissen und Zielen von Bedeutung. Zudem können Lehrkräfte mit LLMs (auch in Verbindung mit anderen Plattformen) bei der Materialerstellung, -anpassung und -bewertung entlastet werden. Dadurch bleibt mehr Zeit für individuelle Betreuung und Interaktion im Klassenraum.
Handlungsempfehlungen für Lehrkräfte: Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung sollten die folgenden Punkte berücksichtigen, um den sinnvollen und verantwortungsvollen Einsatz generativer KI-Modelle zu gewährleisten: LLMs können „halluzinieren", d.h. faktisch falsche Informationen generieren. Bei inhaltlich präzisen Kurseinheiten ist daher Vorsicht geboten. Eine Ergänzung durch die Lehrkraft mittels expliziter Instruktionen und die Überprüfung der generierten Inhalte sind unerlässlich. Lehrkräfte sollten dies im Hinterkopf behalten und den KI-Einsatz als Ergänzung, nicht als alleinige Lösung betrachten.
Lehrkräfte sollten geeignete Einsatzszenarien für KI auswählen. Besonders gut eignen sich LLMs in kreativen Phasen um Ideen zu generieren oder für Dialogübungen. Bei inhaltlichen Aufgaben können sie unterstützend hinzugezogen werden, ersetzen aber nicht die fachliche Anleitung der Lehrkraft. Damit Lernende den KI-Einsatz sinnvoll und selbstreguliert steuern können, sollten klare Lernziele definiert werden. Dies hilft den Lernenden, den Fokus zu behalten und nicht unproduktiv unendlich viel Text zu generieren. Zudem kann es sinnvoll sein, Lernenden Prompts für Übungen zu geben. Bei der Erstellung von Prompts hat es sich als sinnvoll erwiesen, Chatbots wie ChatGPT eine Rolle zuzuweisen, ihnen die Ziele der Interaktion mitzuteilen und eine Frage nach der anderen stellen zu lassen.
Es ist zudem entscheidend, die Vor- und Nachteile sowie die Grenzen von KI-Tools regelmäßig mit den Lernenden zu reflektieren. Dies fördert nicht nur die Informationskompetenz, sondern auch die zunehmend wichtige spezifische KI-Kompetenz – eine wichtige Schlüsselqualifikation in der heutigen Zeit. Lehrkräfte benötigen hierfür möglicherweise selbst entsprechende Fortbildungen.
Quellen:
Deng, Q., Fu, C., Ban, M., & Iio, T. (2024). A systematic review on robot-assisted language learning for adults. Frontiers in Psychology, 15, 1471370. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2024.1471370
Li, B., Lowell, V. L., Wang, C., & Li, X. (2024). A systematic review of the first year of publications on ChatGPT and language education: Examining research on ChatGPT’s use in language learning and teaching. Computers and Education: Artificial Intelligence, 7(100266), 100266. https://doi.org/10.1016/j.caeai.2024.100266
"Generative KI im Sprachenunterricht für Erwachsene: Chancen, Grenzen und praktische Implikationen für Lehrkräfte" von Tanja Mayer für wb-web (2025), CC BY-SA 3.0 DE
Tanja Mayer studierte Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Nachdem sie 2023 als Science Communication Officer am Center of Nanointegration Duisburg-Essen (CENIDE) tätig war, ist sie seit 2024 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Learning Lab der Universität Duisburg-Essen. Dort forscht sie im Projekt digi-ebf zu Kompetenzen des digitalen Zeitalters sowie zum Transfer von wissenschaftlicher Evidenz in die Praxis. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit dem Einfluss generativer KI-Chatbots auf Learner Agency.