Jan Koschorreck Forschung quergelesen

Bernsteine für die Weiterbildung: Lernnachweise in die Blockchain?

Das Bild zeigt einen Bernsteinring in Detailaufnahme.

"Bernsteinring" CC-BY-SA 3.0 DE von Lars Kilian

Zertifikate und andere Bildungsnachweise sind greifbare Dokumentationen der eigenen Qualifikation. Im Zeitalter digitaler Bildung wird auch die Dokumentation der lebensbegleitenden Lernleistung zunehmend digitalisiert. Damit werden deren zuverlässige Speicherung, Nachprüfbarkeit und Fälschungssicherheit zu Herausforderungen, von deren Bewältigung unter Umständen berufliche Werdegänge und damit Lebensläufe abhängen. Wie die Zertifizierung der Zukunft aussehen und welche Rolle die geheimnisvolle Blockchain-Technologie dabei spielen könnte, davon handelt die nachfolgende Studie.

Einleitung

Neben Künstlicher Intelligenz zählt die Blockchain zu den Technologien, die zugleich in ihrem Potenzial mystisch anmuten, weil sie für den Laien schwer nachzuvollziehen sind. Spätestens mit dem Aufkommen von Kryptowährungen wie Bitcoin ist die Technologie in aller Munde. Bei einer Blockchain handelt es sich vereinfacht gesagt um ein digitales Datenregister, dass Transaktionen zwischen zwei Parteien erlaubt, ohne dass eine vermittelnde Instanz notwendig ist. Das Besondere an der Technologie ist, dass die Daten verschlüsselt und verteilt gespeichert werden: damit ist es nachträglich sehr schwer, sie zu manipulieren. Jedes Datenpaket ist in einem Block wie ein Fossil in Bernstein festgehalten. Aktualisierungen und Veränderungen sind nicht möglich: Für ein neues Datenpaket muss ein neuer Block angelegt werden. Was kann das mit Bildung zu tun haben? Dieser Frage gehen Grech und Camilleri in ihrer Arbeit „Blockchain in Education“ nach.

Worum geht es in dieser Studie?

Die Autoren untersuchen in ihrer Studie, ob die Blockchain-Technologie zur Verwaltung von formalen und non-formalen Bildungszertifikaten eingesetzt werden kann. Neben der grundsätzlichen Machbarkeit fragen sie auch nach den Chancen und Herausforderungen (Grech & Camilleri, 2017, S.12). Zur Datenerhebung und Auswertung setzen die Autoren verschiedene qualitative Methoden ein: neben einem Literatur-Review zum Einsatz der Technologie in der Bildung und Analysen von technischen Spezifikationen und Anwendungen der Blockchain führten Grech und Camilleri Interviews mit verschiedenen Experten durch (S. 14). Sie entwerfen auf dieser Basis verschiedene Anwendungsszenarien. Die Abbildung zeigt ein mögliches Szenario in Anlehnung an die Studie.

 

 

Abbildung in Anlehnung an: Camilleri, A. (2017): Outline of a trust and recognition structure for qualifications in Europe. https://doi.org/10.6084/m9.figshare.5372758.v1 in: Gretch & Camilleri, 2017, S. 29. Übersetzt, angepasst an Erwachsenenbildung, erweitert um mögliche Einsatzpunkte der Blockchain-Technologie, die nach Gretch und Camilleri (2017) Zeugnisse etc. in klassischer Papierform ablösen kann.

Was fand die Studie heraus?

Laut den Autoren sind Anwendungen der Blockchain in der Bildung kaum verbreitet und noch nicht alle Anwendungsmöglichkeiten wurden erkannt. Sie legen sich aber darin fest, dass die Technologie das Ende der Papierzertifikate beschleunigen wird und großes Potenzial für Kosteneinsparungen im Bereich der Verwaltung mit sich bringt. Sie halten es für wahrscheinlich, dass durch den Einsatz der Blockchain Bildungseinrichtungen zukünftig Zeugnisse und Berechtigungen nicht mehr prüfen und für rechtsgültig erklären müssen, sondern dies automatisiert geschieht (S. 101- 106).

Warum sind die Ergebnisse für die Erwachsenenbildung relevant?

Bildungsnachweise und Zertifikate steuern den Zugang zu vielen verschiedenen Bereichen: Ein Ausbildungszertifikat ermöglicht es erst, in bestimmten Berufsfeldern tätig zu werden bzw. einen Berufswechsel oder -aufstieg. Andere hingegen sind Voraussetzung für den Weg zur Einbürgerung in Deutschland, wie etwa die sogenannten Integrationskurse. Perspektivisch kann diese Technologie für Lehrende in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung relevant werden, die in eher formalen Bildungskontexten aktiv sind, beispielsweise an Abendschulen, in der Wissenschaftlichen Weiterbildung oder in der staatlich regulierten Bildungsarbeit mit Migrant*innen und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits als Instanz, die über die Ausstellung eines Zertifikats wenigstens mitentscheidet (z.B. über Bewertungen oder Benotungen). Zum anderen könnten auch sie zukünftig unter das „Diktat der Blockchain“ fallen, indem der Nachweis einer Qualifikation für die Lehre in diesen Bereich auch über entsprechende digitale Nachweise erfolgen muss.

Die Ergebnisse werfen bei Lesenden weitergehende Fragen auf, die in der Praxis diskutiert werden müssen: Welche langfristigen Entwicklungen hat der Einsatz der Blockchain? Wird in Zukunft jeder Staatsbürger neben einer Steueridentifikationsnummer auch ein zentrales digitales Bildungsportfolio bekommen, dass sie oder ihn lebenslang begleitet? Und was bedeutet das im Zusammenhang mit Bildungsteilhabe und Bildungsungleichheit? Wie kann in diesem Zusammenhang die Dokumentation informell erworbener Kompetenzen realisiert werden? Wer hat die Hoheit über die Ausstellung von welchen Zertifikaten, und welche Rolle spielen die Lehrenden dabei?

Die Technologie scheint jedenfalls gekommen, um zu bleiben, das lassen zumindest aktuelle Initiativen dazu vermuten: Mit der INSIGHT-Förderlinie hat das BMBF kürzlich eine umfangreiche Förderung von Projekten aufgelegt, die sich u.a. mit Digitaler Bildung und der Erprobung der Blockchain-Technologie im Zusammenhang mit Bildungsnachweisen.

Die Blockchain-Technologie ist aktuell in den Fokus von Investitionen und Förderprogrammen gerückt: Ende 2020 wurde vom Europäischen Investitionsfonds insgesamt 700 Mio. Euro an Risikokapital unter anderem nach Deutschland vergeben, um Entwicklung und Einsatz von KI und Blockchain zu fördern. Ob daraus Anwendungen für die Erwachsenen- und Weiterbildung entstehen, bleibt abzuwarten.

Wie schätze ich die Studie ein?

Die Studie ist eine Machbarkeitsstudie oder Whitepaper zum Einsatz der Blockchain-Technologie in der Bildung. Sie belegt die grundlegende Einsetzbarkeit in Bildungszusammenhängen und trägt dazu bei, dass diese und andere Fragen perspektivisch verhandelt werden müssen. Die Tatsache, dass die Studie vom Joint Research Centre, dem Forschungszentrum der Europäischen Union durchgeführt und veröffentlicht wurde, zeigt, dass das Thema auf dem Radar der europäischen Bildungspolitik gelandet ist und verleiht ihm entsprechendes Gewicht. Insgesamt erscheinen die Schlussfolgerungen der Studie realistisch und nicht dem inzwischen ausgebrochenen Hype um die Technologie zu verfallen.

Wo finde ich den Originaltext zum Nachlesen?

Die Zitation lautet wie folgt:

Grech, Alexander; Camilleri, Anthony F.: Blockchain in Education. Luxembourg: Publications Office of the European Union 2017, 132 S. - (JRC Science for Policy Report) - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-150132 - DOI: 10.2760/60649

Den Originaltext gibt es bei peDOCS zum Nachlesen in englischer Originalsprache:

http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-150132

 

CC-BY-SA 3.0 by Jan Koschorreck für wb-web (09.08.2021), letztmalig geprüft am 07.03.2024


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