Lars Kilian News

Bei politischen Engagement Verlust der Gemeinnützigkeit?

Auf einer Demonstration

Foto von Lars Kilian 2024, CC BY-SA 4.0

Mehr als 100 Organisationen und Vereine warnen in einem Brief an Olaf Scholz vor einem Zusammenbruch des Engagements für Demokratie. Derzeit sehen sie die Gefahr, bei politischem Engagement die Gemeinnützigkeit zu verlieren

Grund für den Brief ist die Befürchtung  gemeinnütziger Einrichtungen bei ihrer Arbeit gegen Rechtsextremismus eingeschränkt zu werden. Hintergrund der Sorge ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Netzwerks attac durch ein Urteil des Bundesfinanzhofs 2019. Das Gericht stellte fest, dass Tätigkeiten der politischen Bildung, die politische Entscheidungen und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen beeinflussen, nicht gemeinnützig seien. Mit der aktuellen Rechtslage werden diese Einrichtungen bei ihrer Demokratiearbeit behindert, da ein politisches Engagement dazu führen kann, dass die Gemeinnützigkeit nicht anerkannt wird, was steuerliche Auswirkungen für die Einrichtungen hätte. Die Unterzeichner des Briefes beklagen, dass sie Briefe vom Finanzamt bekommen, die die Gemeinnützigkeit aufgrund des politischen Engagements in Frage stellen. »Nur eine zügige Reform kann verhindern, dass in den nächsten Monaten immer mehr Vereine Probleme bekommen und sich zurückziehen«, steht in dem Schreiben aus der Zivilgesellschaft (Spiegel). Bei den Unterzeichnern handelt es sich überwiegend um kleine Organisationen aus der Wohlfahrtspflege, Kultur und Bildung, Natur- und Umweltschutz, Sport und Demokratiearbeit, die ein Bündnis gegen Rechtsextremisten aufgebaut haben.

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung schätzt die Gemeinnützigkeit.  So sieht sie gemeinnützige Wohlfahrtsverbände u.a. „als wichtigen Partner bei der Förderung des gesellschaftlichen Engagements und Zusammenhalts“ (KoaV, S. 61) oder als „wichtige Stütze der Daseinsvorsorge“ (S. 81). Zugleich hält der Koalitionsvertrag fest, dass das Gemeinnützigkeitsrecht modernisiert werden soll, „um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtssprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken“ (S. 93). Dabei will die Ampel „gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.“ (S. 131).

Bereits im Mai wandten sich gemeinnützige Stiftungen wie z.B. die Bertelsmann Stiftung oder die Robert Bosch Stiftung mit einem offenen Brief an die Bundesregierung. Die Unterzeichnenden forderten notwendige Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht, die im Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums für das Jahressteuergesetz 2024 fehlen, im Koalitionsvertrag jedoch festgehalten wurden. Konkret geht es um

  1. die Klarstellung der politischen Betätigung, die Rechtssicherheit für die politische Betätigung von gemeinnützigen Organisationen schafft,
  2. eine zeitgemäße Erweiterung des Zweckkatalogs entsprechend der gesellschaftlichen Bedürfnisse, zumindest um die „Förderung des Schutzes und Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte“ und „gemeinnütziger Journalismus“,
  3. und die Aufhebung der Ungleichbehandlung von Förderungen innerhalb und außerhalb der EU, wofür praktikable Anforderungen an Nachweispflichten der gemeinnützigen Mittelverwendung bei Weiterleitung an ausländische Körperschaften notwendig sind.

Die im offenen Brief geforderte rechtliche Klarstellung soll helfen, Sicherheit bei gemeinnützigen Akteuren zu erzeugen und für größere Einheitlichkeit bei der Auslegung durch die nachgeordneten Behörden zu sorgen. Das Gemeinnützigkeitsrecht betrifft mehr als 20.000 Stiftungen und hundertausende Vereine, von denen viele auch in der (politischen) Erwachsenenbildung tätig sind.

Auf der Plattform openpetition.de wurde eine Petition zum Thema Zivilgesellschaft nützt der Gemeinschaft: Politische Beteiligung ist #gemeinnützig!“ eingerichtet, die sich an den Finanzminister und die Bundesregierung richtet.

Quellen

Koalitionsvertrag 2021-2025 (KoaV) „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Online unter https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

Offener Brief zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2024. Online unter https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/documents/2024-05/20240529_OffenerBrief_PM_Reform_Jahressteuergesetz_Gemeinn%C3%BCtzigkeit_final.pdf

Spiegel (26.4.2024): Hilferuf an Kanzler Scholz. Mehr als 100 Organisationen sehen ihren Einsatz gegen rechts bedroht. Online unter 

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/rechtsextremismus-brief-an-olaf-scholz-vereine-warnen-vor-kollaps-ihres-engagements-a-b00236da-0f42-469b-bfc6-985acbca1ce7