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"Arbeit ist mehr als ein Finger, der auf eine Taste drückt"

Zeichnung mit Arbeitern am Fließband in einer Fabrik

Frau Dr. Umbach, Sie untersuchen, wie Beschäftigte in Unternehmen mit Digitalisierungsprozessen umgehen. Wie gehen Sie vor?

Dr. Susanne Umbach: Wenn man sich damit beschäftigt, wie Digitalisierungsprozesse die Arbeit, also Arbeitsplätze und Arbeitshandlungen verändern, muss man die Leute vor Ort fragen. In unserem Projekt Kompetenz 4.0 haben wir ein- bis eineinhalb stündige Experteninterviews in sechs großen Unternehmen  aus Handel und Logistik geführt. Wir haben sie zu ihren Arbeitstätigkeiten befragt, und dazu, wie sie zukünftige Entwicklungen einschätzen. Insgesamt waren das über 53 Interviews, 35 davon mit Beschäftigten und 18 mit Experten aus Geschäftsleitung, Betriebsrat und Weiterbildung.

Dabei haben wir uns nicht auf die ziemlich komplexe Definition von Industrie 4.0 fokussiert, sondern den Begriff der Digitalisierung relativ weit gefasst und uns an dem orientiert, was von Unternehmen und Beschäftigten mehrheitlich als solche benannt wird: Der verstärkte Einsatz von Computern, Scannern und anderen digitalen Arbeitsmitteln und die Arbeit mit großen Datenbanken. Bei einem der Betriebe, mit denen wir zusammengearbeitet haben, wurde zum Beispiel die Auftragsvergabe digitalisiert, die bis dahin ausschließlich in Papierform abgewickelt wurde. Seit der Umstellung erhalten die Beschäftigten alle ihre Aufträge über das Smartphone. Das war etwas ganz Neues, über das noch vier Monate nach der Einführung im Betrieb viel gesprochen wurde.

Wie gehen Beschäftigte mit solchen Veränderungen um?

Dr. Susanne Umbach: Unser Augenmerk liegt auf Beschäftigten, die am Ende der digitalen Nahrungskette sitzen, also eher ausführende Funktionen wahrnehmen; die sind relativ gelassen und nehmen die Veränderungen einfach wahr als neue Anforderungen, die an sie gestellt werden. Allerdings beschreiben sie, dass ihnen nicht viel Zeit bleibt, um sich in Neues einzuarbeiten und passende Fortbildungen oft zu spät angeboten werden. Daher spielt hier der kollegiale Austausch eine wichtige Rolle: Eine hat was herausgefunden oder etwas gelernt und gibt es an Kollegen weiter. Man unterstützt sich also gegenseitig. Dazu kommt, dass digitale Anwendungen zunehmend einfach zu bedienen sind, man dazu also kein detailliertes technisches Verständnis benötigt. Wichtig ist das Wissen, welche Rolle man im Gesamtprozess spielt – zu wissen, wer vor mir dran ist, wer nach mir, und welche Auswirkungen Fehler haben.

Wie sieht es auf Seiten der Unternehmensführung aus?

Dr. Susanne Umbach: Für Unternehmensvertreter ist Digitalisierung etwas, wo man mitgehen muss.  Und sie stellen fest, wie wichtig es ist, dass die Beschäftigten gut geschult sind, denn es kommt immer wieder zu unvorhergesehenen Zwischenfällen, die nur mit Erfahrung und Wissen zu beheben sind. Wie Weiterbildung genau dies vermitteln kann, ist nicht immer ganz einfach zu beantworten. Grundsätzlich scheint es zwei Unternehmensstrategien zu geben: Die einen versuchen bei technischen Neueinführungen ihre Leute durch Schulungen stets auf dem neuesten Stand zu halten. Andere Unternehmen wollen eher die Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit unterstützen, weil sie merken, dass auch bei digitalisierten Arbeitsplätzen das Miteinander unter den Kollegen sehr wichtig ist.

Bieten Digitalisierungsprozesse einem eigentlich auch Chancen, seine beruflichen Kompetenzen zu erweitern?

Dr. Susanne Umbach: Die Arbeit unter Bedingungen zunehmender Digitalisierung bietet – immer noch – Nischen für Beschäftigte, um sich trotz kleiner werdender Arbeitszuschnitte mit ihrer Arbeit identifizieren zu können und sich weiter zu entwickeln. In der Logistikbranche, in der es viele an- bzw. ungelernte Beschäftigte gibt, kann man zum Beispiel Pate für Azubis oder Anzulernende werden und anhand eines mit der Teamleitung abgesprochenen Plans lernen, wie man anderen etwas beibringt. Oft gibt es für solche Mentorenaufgaben in Unternehmen auch eigene Schulungen. Eine explizite Entwicklung beruflicher Kompetenzen ist besonders in der Instandhaltung zu finden, in der digitale Techniken den Arbeitsalltag bestimmen. An Stellen, wo früher Elektriker beschäftigt waren, sind heute vermehrt ausgebildete Mechatroniker zu finden. Zusätzlich werden langjährig Beschäftigte in unternehmensinternen Fortbildungen mit den neuen Techniken vertraut gemacht und so beispielsweise für die Arbeit mit digitalen Diagnosesystemen qualifiziert.

Beschäftigte sind die Experten für ihre eigene Weiterbildung

Welche Weiterbildungen braucht man, um in der digitalisierten Arbeitswelt mithalten zu können?

Dr. Susanne Umbach: Es wird schon viel in Technik-Schulungen investiert. Wir haben allerdings festgestellt, dass es sich lohnt, genau darauf zu schauen, was für den Betrieb und für die konkrete Arbeit wirklich benötigt wird. Wir haben Beschäftigte gefragt, was sich aus ihrer Sicht verändert, und was das für ihre eigenen Tätigkeiten bedeutet. Also: Wo brauche ich Unterstützung? Und von wem? Von Kollegen? Mentoren? In welcher Form – Präsenzveranstaltung? Schulung? Es gibt ja viele Möglichkeiten. Mein Appell: Nehmt die Beschäftigten ernst als Experten für das, was sie tun; zieht in Betracht, was sie über ihre Arbeit sagen und welche Effekte Digitalisierungsprozesse für diese Tätigkeiten haben.

Ihre Ausführungen signalisieren eine gewisse Gelassenheit?

Dr. Susanne Umbach: Die in Teilen zu beobachtende Aufregung in Bezug auf die Digitalisierung haben wir in den von uns besuchten Unternehmen nur an wenigen Stellen gefunden. Ausgenommen Unternehmen, die sehr vielgestaltig aufgestellt sind; die stehen viel stärker unter Druck und drehen an ganz vielen Stellschrauben gleichzeitig. In der Folge müssen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer häufiger mit neuen Programmen, Arbeitsoberflächen und –abläufen vertraut machen. Für manche ist das eine Herausforderung – aber meistens arrangiert man sich damit und findet kleine Auswege im kollegialen Miteinander. Frustrierend wird es, wenn es zu Vereinzelung kommt. In der Logistik haben früher zum Beispiel Teams gemeinsam draußen Containernummern verglichen und kontrolliert. Heute wird das von einer Person am Bildschirm gemacht. Die Folge: Bewegung wird eingeschränkt, das Miteinander von Kollegen wird weniger. Diese Trennung vom Arbeitsgegenstand ist übrigens eine typische Folge der Digitalisierung. Das merken auch die Unternehmensführungen und steuern zum Teil dagegen.

Wohin entwickeln sich die Kompetenzen im Zuge der Digitalisierung?

Dr. Susanne Umbach: Digitalisierung darf nicht als etwas Fertiges gesehen werden, es kann und muss von uns gestaltet werden. Die Technik gibt nicht vor, wie sich etwas entwickelt – der Mensch spielt eine wichtige Rolle und auch die Organisation. Ein gutes Beispiel für Kompetenzentwicklung liefert der Einzelhandel, in dem Arbeitstätigkeiten tendenziell komplexer werden; denken sie nur an die Automaten in Drogeriemärkten, an denen Kunden Fotos ausdrucken oder ganze Fotobücher gestalten können. Die Angestellten mussten lernen, wie man gleichzeitig mit der neuen Technik und den Kunden umgeht. Wenn mehrere Kunden am Fotodrucker Schlange stehen, ein anderer um Auskunft bittet und man selbst eigentlich bei einer komplett anderen Tätigkeit war, benötigt man andere Formen der Selbstkontrolle, neue technische und kommunikative Strategien und muss seine Tätigkeiten priorisieren können.

Identifikation mit der Arbeit wichtig 

Auch in der Logistik gibt es – etwa bei der Beladung automatisch fahrender Gondeln – Situationen, in denen Erfahrung, eine gewisse Gestaltungsfreiheit und gegenseitige Unterstützung zu einem reibungsloseren Arbeitsablauf beitragen; so können beispielweise Staus schnell behoben oder vermieden werden. Aufmerksamkeit, die räumlich visuelle Wahrnehmung und Eigeninitiative sind nach wie vor wichtig. Insgesamt werden in der Logistik die Aufgaben in der Tendenz aber monotoner, Kompetenzentwicklung findet also eher weniger statt. Die Beschäftigten schaffen sich dann kleine Inseln der Gemeinsamkeit, nutzen formelle oder informelle Begegnungen zum Austausch oder legen besonderen Wert auf einen ordentlichen Arbeitsplatz. Alles Dinge, die dazu beitragen, dass sie sich mit ihrer Arbeit wenigstens ein bisschen identifizieren können und mehr sind als ein Finger, der auf eine Taste drückt.

Was könnten Leitlinien für eine zukunftsorientierte betriebliche Weiterbildung sein?

Dr. Susanne Umbach:  Zurzeit wird ja viel diskutiert, welche neuen Anforderungen die digitale Technik an Menschen stellt. Wir plädieren für eine partizipative Kompetenzanalyse, um herauszuarbeiten, was Mitarbeiter brauchen, um sich in der Arbeit entwickeln zu können. In  Befragungen können die Beschäftigten Auskunft geben über die Folgen technischer Entwicklungen für ihre konkrete Arbeitstätigkeit. So können Arbeitsprozesse transparent gemacht und die Möglichkeiten und Risiken, die sich verändernde Arbeitsplätze den Beschäftigten bieten, identifiziert werden. Darüber hinaus kann sich in so einer Beteiligung der Beschäftigten auch zeigen, wie der größere Arbeitskontext sich auf die Arbeitstätigkeit selbst auswirkt. Denn mit neuen Arbeitsabläufen ändern sich oft auch die organisationalen Strukturen. Weiterbildung und Organisationsentwicklung können und müssen also zusammen gedacht werden. Am besten über eine deutliche Personalorientierung, die die bisher dominante Technikorientierung ergänzt.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Umbach!

Dieser Text erschien zuerst im Bildungsserver Blog.

  CC BY  4.0  by Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver

Informationen zum Projekt

Die Studie „Kompetenz 4.0“, wird von der Universität Hamburg  in Kooperation mit der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung der PH Zürich (Prof. Dr. Erik Haberzeth) durchgeführt. Sie untersucht den Zusammenhang von Digitalisierung, Wandel der Arbeit, Kompetenzen der Beschäftigten und Weiterbildung.  Dabei steht das betriebliche Lernen und Weiterbildung im Fokus.

Weitere Informationen finden Sie hier.


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