Angelika Gundermann Forschung quergelesen
Selbstregulierung als ein Erfolgsfaktor im Blended Learning?
Wie gehen Lernende mit den Herausforderungen eines Lernangebots um? Wie bewältigen sie Aufgaben, wie teilen sie ihre Zeit ein, wie reagieren sie bei Problemen, können sie Hürden auch emotional verarbeiten, halten sie durch und können sie rechtzeitig nach Unterstützung fragen? Diese Fragen werden mit dem Begriff Selbstregulierung erfasst. Gerade bei Angeboten im Blended-Learning-Format ist ein gewisses Maß an Selbstregulierung bei den Lernenden Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. Deshalb, so die Autor*innen der hier vorgestellten Studie, muss die Fähigkeit zur Selbstregulierung gerade in Blended-Learning-Angeboten gefördert werden.
Warum sind die Ergebnisse für die Praxis der Erwachsenenbildung relevant?
In der Erwachsenenbildung gibt es (nicht nur) bei Blended-Learning-Angeboten eine große Heterogenität unter den Lernenden. Deshalb ist maßgeschneiderte Unterstützung beim Lernen nötig. Lehrende sollten erkennen können, wie die Fähigkeiten zum selbstregulierten Lernen (SRL) bei ihren Lernenden ausgeprägt sind.
Bisher gibt es laut den Autor*innen der vorliegenden Studie keine Forschung dazu, wie es damit bei Blended-Learning-Angeboten aussieht. Untersuchungen zu anderen Lernformaten sind nicht ohne weiteres übertragbar. Eine individuelle Betreuung der Lernenden, um ihre Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen zu fördern, ist sehr aufwendig und kaum zu realisieren. Die Untersuchung will es Lehrenden erleichtern, homogenere Lerngruppen zu bilden und unterstützende Online- und Präsenzangebote zu erstellen, die den Bedarfen der Lernenden entsprechen.
Worum geht es in dieser Studie?
Wie können Lehrende mehr über die Fähigkeiten zum selbstregulierten Lernen ihrer Kursteilnehmer*innen erfahren? Dieser Frage gingen die Forschenden in der vorliegenden Studie nach. An neun Erwachsenenbildungszentren in Flandern/Belgien wurden zahlreiche Blended-Learning-Kurse untersucht, 312 Lernende nahmen an einer Online-Umfrage teil. Sie gaben neben Daten zum Beispiel zu Geschlecht, Alter und Beschäftigungsart viele weitere Details zu ihren Lebensumständen und zum Bildungshintergrund an.
Bei der Auswertung suchten die Wissenschaftler*innen nach latenten, also nicht unmittelbar erkennbaren Profilen, die Auskunft darüber geben, wie Lernende in Blended-Learning-Arrangements Selbstregulierung nutzen. Untersucht wurde auch, ob möglicherweise individuelle Charakteristika (z.B. Alter, Geschlecht, Bildungshintergrund) und die Leistungsmotivation Aufschluss geben können über das Selbstregulierungs-Profil der Lernenden im Online-Teil von Blended-Learning-Kursen. Leistungsmotivation ist eine besondere Form der Motivation, gekennzeichnet durch die individuellen Zielsetzungen der Lernenden, die ihnen Ansporn für Lernaktivitäten gibt. Leistungsmotivation hat nachweislich eine signifikante – das heißt, mehr als zufällige - Beziehung zu Selbstregulierung (Vanslambrouck et al. 2019a, S. 128).
Vorangegangene Studien ergaben, dass der Einsatz von selbstregulierenden Strategien den Lernerfolg entscheidend beeinflusst, bezogen sich aber überwiegend auf Studierende oder Schüler*innen in Präsenzformaten (Vanslambrouck et al. 2019, S. 127). Für die vorliegende Studie wurden erstmals Daten zu Lernenden untersucht, die in Erwachsenenbildungseinrichtungen an Blended-Learning-Kursen teilnahmen. Bei diesen Kursen handelte es sich um eine Kombination aus Präsenz- und Online-Angebot.
Was fand diese Studie heraus?
Die Forschenden konnten aus den Daten drei Profile identifizieren: Es gibt Lernende mit hoher, durchschnittlicher und geringer Fähigkeit zum SRL. Von den untersuchten Lernenden wurden nur wenige dem niedrigen SRL-Profil zugeordnet. Die meisten besaßen durchschnittliche SRL-Fähigkeiten. Das sehen die Forschenden als positives Ergebnis für den Einsatz von Blended Learning in der Erwachsenenbildung. Sie konstatieren zudem, dass der Nachweis unterschiedlicher SRL-Profile den Bedarf an adaptiven Lernangeboten in der Erwachsenenbildung mittels digitaler Materialien unterstreicht (Vanslambrouck et al. 2019, S. 133). Die Identifikation von verschiedenen Profilen macht eine adaptive Gestaltung von Lernumgebungen leichter, so die Forschenden. Interessant sind die Ergebnisse zu einzelnen untersuchten Unterkategorien:
Ziele setzen und Strukturierung der Lernumgebung sind Kategorien, bei denen die untersuchten Lernenden alle überdurchschnittlich aktiv waren. Ziele setzen ist für Erwachsene, die viele andere Lebensaufgaben neben dem Lernen haben, eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen, so dass Vanslambrouck und ihre Mitautor*innen dieses Ergebnis sehr positiv bewerteten. Bei der Gestaltung der Lernumgebung ging es für die Lernenden vor allem um ihre physische und nicht die virtuelle Lernumgebung.
In der Kategorie Zeitmanagement wiesen nur die Lernenden mit dem hohen SRL-Profil hohe Werte auf. Für die Lernenden mit durchschnittlichem oder niedrigem SRL-Profil kann dies bedeuten, dass sie wegen schlechter Zeiteinteilung nicht so gut lernen können.
Lernende der Gruppen mit durchschnittlichem und niedrigem SRL-Profil erfragten öfter Hilfe. Dies zeige, so die Forschenden, dass insbesondere die Lernenden mit niedrigem SRL-Profil intensive Unterstützung von Peers und Lehrenden brauchen.
Die Gruppe mit niedrigem SRL-Profil nannte die Bewertung durch Peers ,also Mitlernenden, zudem als eine für sie wichtige Kategorie.
Aus den Daten schlossen die Forschenden, dass die Gruppe mit hohem SRL-Profil in Blended-Learning-Umgebungen mit anspruchsvollem Austausch unter Peers und mit Lehrenden gut zurechtkommt. Lernende mit durchschnittlichem Profil werden in Blended-Learning-Angeboten eher nur das tun, was nötig ist.
Als entscheidend für die Entwicklung von adaptiven Lerneinheiten schätzen die Forschenden die untersuchte Kategorie der Leistungsmotivation ein. Je höher diese Kategorie bei den untersuchten Lernenden eingeordnet wurde, umso eher gehörten die Personen zur Gruppe mit hohem SRL-Profil. Diese Lernenden legten besonderen Wert darauf, im Blended Learning gut abzuschneiden und hielten die Aufgaben für besonders nutzbringend, so Vanslambrouck und Mitautor*innen.
Im Gegensatz zu anderen Studien fanden Vanslambrouck und Kolleg*innen bei den Lernenden der verschiedenen Profile keinen Unterschied hinsichtlich ihrer Einstellung, ob einerseits das Lernen in Blended-Learning-Arrangements für sie möglich ist und andererseits ihrem Interesse an dieser Lernform. Ebenfalls anders als in anderen Studien konnten hier keine Hinweise gefunden werden, dass der individuelle Hintergrund der Lernenden (Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss etc.) Voraussagen zur Profilzuordnung nahelegt (Vanslambrouck et al. 2019, S. 134).
Wie schätze ich die Studie ein?
Selbstregulierung kann entscheidend sein für den Lernerfolg. Dies gilt besonders bei Angeboten im Blended-Learning-Format, denn diese bieten den Lernenden viel Autonomie. Lernende mit guten Fähigkeiten zur Selbstregulierung können dies nutzen, es ist aber herausfordernd für Lernende mit weniger Selbstregulierungsfähigkeiten Praktisch geht es um Lernstrategien, Zeitmanagement, Umgang mit Aufgaben und Schwierigkeiten sowie die emotionale Reaktion auf Hürden, das Durchhaltevermögen und die Fähigkeit nach Unterstützung zu fragen sowie den Umgang mit der (Online-)Lernumgebung.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie geben der Praxis Anregungen, wie es möglich ist, SRL zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Zunächst kann aufgrund der Ergebnisse davon ausgegangen werden, dass Blended Learning ein Format ist, dass bei den Lernenden aller SRL-Profile akzeptiert und für sie interessant ist.
Die Autor*innen empfehlen die Gestaltung von Lernangeboten mittels Scaffolding. Entsprechend der unterschiedlichen SRL-Profile sollte die Unterstützung adaptiv erfolgen: Lernende mit hohem SRL-Profil brauchen weniger Unterstützung, können aber angehalten werden, ihren Peers mit anderem SRL-Profil Hilfestellung zu leisten. Hier sind Lerngruppen als Sozialform geeignet. Besonders für die Gruppe mit niedrigem SRL-Profil empfiehlt die Studie, Skills beim Zeitmanagement und Selbstevaluationsstrategien zu vermitteln. Die Studie empfiehlt auch die Abfrage von Vorerfahrungen der Lernenden mit dem Format Blended Learning und verweist darauf, dass die Daten aus Selbstauskünften der Befragten stammen und deshalb nur eingeschränkt als objektiv zu betrachten sind.
Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass weitere Untersuchungen zum Thema SRL nötig sind, um die Ergebnisse zu stützen. Vor allem braucht es eine größere Zahl von Befragten.
CC BY-SA 3.0 DE by Angelika Gundermann für wb-web (24.07.2023), letztmalig geprüft am 07.03.2024
Digitalisierung in der Erwachsenenbildung
Mit Smartphone,
Tablet und Laptop bringen Teilnehmende heute ganz selbstverständlich ihre
eigenen digitalen Geräte mit in Kurse und Trainings, Workshops und Vorträge –
unabhängig vom Thema. Für Erwachsenenbildung und Weiterbildung bieten sich
damit neue Chancen für das Lernen, das abwechslungsreicher, individueller und
kreativer gestaltet werden kann. Auch die Lehrenden können von digitalen Medien
profitieren, wenn sie um die neuen Möglichkeiten wissen und professionelle
Vernetzungsangebote kennen.