Anfangssituationen
Zurück in die Schule, zurück in die Schülerrolle? - Wie gestalte ich Anfangssituationen in Erwachsenenbildungskursen?
Ein neuer Kurs steht vor der Tür, aber wie präsentiere ich mich den Teilnehmenden? Wie werden sie sich vorstellen? Der erste Eindruck ist wichtig – seine Wirkung bleibt. So verhält es sich auch mit Anfangssituationen von Lehrveranstaltungen. Wie strukturiert man den Beginn? Wie bildet man eine Lerngruppe? Dies sind zentrale Aspekte, die bis zum Ende des Kurses wirken.
DefinitionWas ist das?
Die Anfangssituation in einem Kurs bezeichnet das erste Aufeinandertreffen des Lehrenden und der Kursteilnehmenden am Lernort. Dabei stehen die Bildung von Beziehungen untereinander und der Abbau von Ängsten bzw. Unsicherheiten im Mittelpunkt. Es werden die Grundregeln für die kommende Zusammenarbeit und Rahmenbedingungen vom Lehrenden mitgeteilt bzw. mit den Teilnehmenden ausgehandelt. Die Vermittlung von Inhalten erfolgt erst im Anschluss oder in der nächsten Kurseinheit.
MerkmaleWie geht das?
Die Anfangssituation ist durch die Vorarbeit des Lehrenden und der Bildungseinrichtung, den Lernort sowie die emotionale Einstellung und Erwartungshaltung der Teilnehmenden geprägt. Bereits mit der Kursankündigung werden u. a. Ziel, Zielgruppe, Inhalt und Art des Kurses sowie Lernort festgelegt. Selbstverständlich ist der Lehrende rechtzeitig vor Veranstaltungsbeginn in der Einrichtung, prüft die Technik und die Ausstattung auf Vollständigkeit. Letzte Absprachen mit Vertretern der Bildungsinstitution können noch getroffen werden, z. B. wann diese sich im Verlauf der ersten Kursstunde vorstellt. Auch die Teilnehmerlisten oder andere Unterlagen können eingeholt werden.
Lernort
Insbesondere der Sitzordnung (Reihen, Kreis, Stern oder Hufeisen) und der Sitzweise (mit Tisch oder offen ohne Tisch) kommt eine besondere Bedeutung zu. Mit der Anordnung zeigt der Dozent eine eher partnerschaftliche oder eine eher autoritäre Organisationsform des Lehr-Lernarrangements. Mit seiner Platzwahl entscheidet der Teilnehmende über Sehen-Können und Gesehen-Werden und zeigt sein Interesse am Thema und seinen Willen zur Mitwirkung.
Rollendefinition
Mit ihrem Verhalten und Auftreten definieren die Lehrenden Zuständigkeiten und Aufgaben. Die Art und Weise, wie sie ihre Rolle ausfüllen, müssen die Lehrenden vor Beginn festlegen und dabei berücksichtigen, dass sie selbst als Person authentisch bleiben. Die Besonderheit der Anfangssituation liegt darin, dass von der Leitung eher die soziale Kompetenz bei der Moderation des Prozesses der Gruppen- bzw. Kursbildung aus verschiedenen Individuen mit eigenen Erwartungen und Vorerfahrungen gefordert wird und erst später die fachliche Kompetenz zum Tragen kommt.
Begrüßung
Mit der Begrüßung fängt die Veranstaltung offiziell an. Sie legt die Grundlage für die gemeinsame Aufmerksamkeit auf das Kommende, z. B. die Vorstellungsrunde, die Interessen der Lernenden, die Seminarinhalte, die Zeitplanung, die Seminarregeln und die institutionellen Rahmenbedingungen. Die Art der Begrüßung ist abhängig von der Art der Veranstaltung und von der Anzahl der Teilnehmenden. Die Formalität richtet sich nach der Kultur des Unternehmens und damit verbunden nach der Zielgruppe (Akademiker, Führungskräfte, Arbeitslose u. a.). Generell wird die Begrüßung umso formaler, je größer die Teilnehmerzahl ist. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Begrüßung ist die Nennung des Veranstaltungsnamens. Sie gibt Klarheit, ob die Anwesenden auch in der gewünschten Veranstaltung bzw. im richtigen Raum sitzen.
Vorstellung
Die Vorstellungsrunde dient dem Kennenlernen, aber auch der Offenlegung von Impulsen, Motiven, Erwartungen und Erfahrungen zum Thema. Neben dem klassischen „Sich-selbst-Vorstellen“ gibt es – je nach Heterogenität der Gruppe – u. a. die Varianten des Partnerinterviews oder des Marktplatzes, um sich untereinander besser kennenzulernen.
In den meisten Fällen eröffnet die Lehrperson mit der eigenen Vorstellung die Runde. Hierbei gilt es, eine Balance zu wahren zwischen ausführlicher und offener Information, die dem Kursthema dient, sowie ausufernder Biografien, die Zeit kosten und dem Kurs keine wertvollen Informationen liefern. Typische Angaben sind:
- Name,
- Berufsposition,
- Bildungsbiografie (in Kürze),
- persönlicher Bezug zum Thema,
- Bezug zur Bildungseinrichtung
- allgemein Persönliches, das für den Kurs bedeutsam werden kann.
Im Rahmen der Vorstellungsrunde (vorher oder anschließend) werden die Grundregeln geklärt, wie z. B. Anredeform („Du“ oder „Sie“) oder Pausen.
Marktplatz
Nach einer Auswahl von Kategorien (z. B. Teilnahmemotiv, Lebensalter, Berufserfahrung u. a.) vergibt die Lehrperson zu jeder Raumecke jeweils ein Merkmal (z. B. bei Motiv „berufliche Weiterbildung“, „privates Interesse“, „Arbeitgeber“). Die Teilnehmenden treffen sich nach dem auf sie zutreffenden Merkmal in der dazu ausgewählten Ecke und diskutieren über eine von der Lehrkraft gestellt Frage (z. B. „Wie unterstützt Ihr Arbeitgeber hier Ihre Teilnahme oder Weiterbildung generell?“).
HandlungsfelderWo brauche ich das?
Jedes Seminar, jeder Workshop, alle Kurse, jegliche Art von Bildungsveranstaltung beginnt mit einer Anfangssituation. Ihr Zweck ist die Vermittlung der folgenden grundlegenden Eckpunkte:
- Kennenlernen,
- Grundregeln vermitteln,
- Lerninhalte und Zeitplan mit Anpassungsspielräumen vorstellen,
- institutionelle Rahmenbedingungen (z. B. Anwesenheitsliste, Teilnahmegebühr oder benötigte Literatur) bekanntgeben,
- Motivation, Interessen und Ziele der Teilnehmenden erfragen.
Insbesondere die Kenntnis der Interessen der Teilnehmenden, ihre Motivation und Ziele geben den Lehrenden die Möglichkeit, diese bei der Kursgestaltung in den Unterrichtsinhalt zu integrieren. Erwartungen der Lernenden können an realistische Ziele angepasst werden. Ihr Einbinden vermittelt den Teilnehmern Wertschätzung und motiviert.
Fragen nach Interessen und Motivationsgründen für eine Teilnahme können bei schwierigen Kursthemen auch schriftlich mit Karten erfolgen. Die Auswertung erfolgt in diesem Fall diskret nach der Kursstunde.
Das Vereinbaren der Grundregeln steht nicht im Fokus der Veranstaltung, muss aber geklärt werden. Zu den Grundregeln zählt, dass man pünktlich anfängt, wann die Pausen eingelegt werden, sowie welche institutionellen Vorgaben bezüglich der Teilnehmerlisten, Hausordnung und des Entgelts gelten.
DiskussionWas wird diskutiert?
Zwischen „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ (Hermann Hesse) und „Wehret den Anfängen!“ (Ovid) liegen sowohl bei Dozenten wie auch den Teilnehmenden die Emotionen in der Anfangssituation.
Auf Teilnehmerseite stehen Erwartung, Erfahrungen sowie daraus resultierende Ängste und Befürchtungen sich gegenüber. Aber auch viele Lehrende fürchten sich vor dem ersten offiziellen Aufeinandertreffen am Lernort. Beiderseits ist es die Angst vor dem Unbekannten, die Beziehungslosigkeit und Lebenserfahrungen, die zu Unwohlsein führen. Pflichtteilnehmer, z. B. im Rahmen von Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA), können hochmotiviert sein, aber auch absolut desinteressiert. Entsprechend variieren ihre Interessen an einer Kursteilnahme. Die Planung und Struktur der Anfangssituation kann Emotionen kanalisieren und so den Prozess der Gruppenbildung erleichtern (Geißler, 2005).
Verwandte Begriffe
Gruppendynamik, Lernwiderstände, Tätigkeitsfelder Lehrender,
Didaktik, Methodik, aktivierende Methoden
Zur Reflexion
Wie stellen Sie sich einer neuen Lerngruppe vor?
- Welche Sitz-/Raumordnung hat aus Ihrer Sicht welche Vor- und Nachteile?
- Welche Inhalte enthält die Begrüßung der Teilnehmenden?
Lernpfad: Anfangssituationen gestalten
Literaturliste
Geißler, K. (2005). Anfangssituationen (10. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz.
Herrle, M. (2013). Ermöglichung pädagogischer Interaktionen. Wiesbaden: Springer VS.
Nuissl, E., & Siebert, H. (2013). Lehren an der VHS. Bielefeld: W. Bertelsmann.
Quilling, E., & Nicolini, H. J. (2007). Erfolgreiche Seminargestaltung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Siebert, H. (2010). Methoden für die Bildungsarbeit (4. Aufl.). Bielefeld: W. Bertelsmann.
Szepansky, W.-P. (2010). Souverän Seminare leiten (2. Aufl.). Bielefeld: W. Bertelsmann.