Erfahrungsbericht

Kollaboratives Storytelling – über Hintergründe und Beispiele aus der Erwachsenenbildung

wb-web unterhält sich mit Jürgen Pelzer (Goethe Universität in Frankfurt am Main) über Hintergründe und seine Erfahrungen beim kollaborativen Storytelling.  Was verbirgt sich hinter dem Begriff und woher kommt er? Wie und wo kommt Storytelling bei ihm zum Einsatz? Welche  Beispiele aus der Erwachsenenbildung gibt es, bei denen mit kollaborativem Storytelling gearbeitet wird?

wb-web: Was macht den Unterschied zu anderen Methoden und Zusammenhängen aus?

Jürgen Pelzer: Ich finde gute Bildung zeichnet sich durch die hohe Involviertheit der Teilnehmenden aus. Von daher würde ich die Methode weniger in Abgrenzung als eher in Fortführung einer Grundidee sehen, dem Crowdsourcing (die Teilnehmenden als Quelle). Diese kann methodisch auch anders umgesetzt werden kann. Allerdings ist beim Storytelling der kreative und emotionale Anteil doch sehr hoch, vielleicht ist das eine Besonderheit. Wenn die einzelnen Erzähler dann noch in Interaktion gebracht werden und ein öffentliches Medium genutzt wird, ist das Storytelling perfekt.

wb-web: Im Sinne eines pädagogischen Settings ist oftmals auch von kollaborativem Storytelling die Rede. Worin besteht der Unterschied und womöglich der Mehrwert? 

Jürgen Pelzer: Den Mehrwert habe ich sehr deutlich bei dem Experiment auf  Facebook erlebt: Wenn die Studierende, die Maria spielt, bei dem Studierenden, der den Zeloten spielt, kommentiert, dann ist direkt ein aktives lebendiges Gruppenklima da. Die Dynamik in der Gruppe ist viel höher, als bei Szenarien, in denen jeder nur (beispielsweise in einem Blog im Sinne eines Portfolios) seine Geschichte erzählt oder eine andere Geschichte wiedergibt. Ich würde daher immer zu kooperativen Settings tendieren. Es gibt ja auch hier viele Abwandlungen. So haben beispielsweise Studierende der Geschichte ihren Schülern je Zweier-Team einen Blog gegeben. Die beiden Schüler mussten dann miteinander in unterschiedlichen Rollen den Blog füllen. Einer spielte den Soldaten an der Front, der zweite die Frau, welche zuhause geblieben war. Simuliert wurde ein Briefwechsel anhand von originalen Briefen aus der Kriegszeit.

wb-web: Kennen Sie Beispiele der Erwachsenenbildung, bei denen mit kollaborativem Storytelling gearbeitet wird?

Jürgen Pelzer: Ich kenne in der Erwachsenenbildung das Projekt Cornelius Breuninger. Dort wurde bewußt öffentlich die Geschichte des Soldaten Cornelius Breuninger anhand seiner Tagebucheinträge nacherzählt. Dies geschah auch auf  Facebook. Kooperativ war daran, dass alle Nutzer sich mittels Kommentaren etc. beteiligen konnten und dies auch taten.  

wb-web: Inwiefern eignet sich das (kollaborative) Storytelling als Methode für die Weiterbildung-/Erwachsenenbildung?

Jürgen Pelzer:  Nun, zunächst einmal ist eine kreative Erarbeitung möglich, die ich mir für viele Themen und Bereiche vorstellen kann. Die Methode macht sehr neugierig. Für Gruppen etc. eignet sich die Methode aufgrund des Aufwandes vor allem bei längerfristigen Kursen bzw. länger bestehenden Gruppen. Ebenso ist sie einsetzbar für die Promotion bestimmter Themen einer Bildungseinrichtung, denn das Marketing hat das Storytelling ja als festen Bestandteil übernommen.

Allerdings bestehen auch Bedenken gegenüber der Methode. Sie mag in einem ersten Blick wie eine Trivialisierung erscheinen. Dies wurde auch bei dem Szenario des jungen Henio Zytomirski diskutiert: Darf man ein so grausames Schicksal mittels Storytelling auf Facebook darstellen? Es gibt immer noch Kritiker, aber insgesamt hat sich doch die Linie durchgesetzt, dass es ein aufschlussreicher Zugang ist, gerade für jüngere Zielgruppen. Didaktisch würde ich sagen ist der Lerneffekt gerade beim sozialen Storytelling, wo Interaktion zwischen den Erzählenden stattfindet, sehr hoch.

wb-web: Und was würden Sie sagen, wann stößt die Methode an ihre Grenzen?

Jürgen Pelzer: Die Methode ist relativ aufwendig und erfordert unter anderem eine spielerische Herangehensweise, d.h. man macht kein Storytelling einfach so nebenbei. Anders herum ist die Möglichkeit doch sehr spannend. Thematisch sehe ich wenig Grenzen.

wb-web: Gibt es besondere Dinge zu beachten? Und was würden Sie Menschen empfehlen, die das gerne einmal ausprobieren wollen?

Jürgen Pelzer:  Kommen Sie in die Facebook-Gruppe „Soziale Netzwerke, Neue Medien und Unterricht“, denn dort findet meines Erachtens nach reger Austausch statt, und teilen Sie Ihre Idee mit den Kolleginnen und Kollegen dort. Meiner Erfahrung nach starten gute Projekte oft in solch einem kollegialen Austausch, aus dem man oftmals neue Impulse für das eigene Projekt erhält. Ich würde auch dazu raten, sich jemanden ins Projektteam zu nehmen, der sich gut in Facebook bzw. den sozialen Medien und dem dortigen Umgangston auskennt.

wb-web: Wo kann man sich weiterführend damit beschäftigen?

Jürgen Pelzer: Die kostenlose Broschüre “Massive Online Storytelling Scenarios” gibt auch einen guten Eindruck von solch einem größeren Storytelling und verweist auf weitere Möglichkeiten. Aber auch die Katholische Erwachsenenbildung Hessen hat aufgrund der Erfahrungen mit dem Storytelling eine aufschlussreiche und anregende Broschüre  „Social Storytelling und  Challenges“ kostenlos zur Verfügung gestellt.

wb-web: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pelzer! 

CC BY-SA 3.0 by Kristin Narr für wb-web 


Lesen Sie auch den zweiten Teil zum Thema „Kollaboratives Storytelling, mit Einblicken aus der politischen Bildungsarbeit. Studienleiter Anselm Sellen (Europahaus Marienberg) im Interview.


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