Wissensbaustein

Open Educational Resources

Wie frei lizenzierte Materialien der Weiterbildungspraxis helfen

Wer die eigenen Seminarunterlagen, Handouts oder Online-Materialien nicht immer von Grund auf neu erstellen will, der findet im Internet ein Füllhorn mit Inhalten. Man kann eigene Materialien mit Fotos und Zeichnungen bebildern oder man übernimmt thematisch passende Texte Dritter. Doch Material aus dem Internet und Urheberrecht – das ist nicht unbedingt eine Liebesbeziehung. Frei lizenzierte Materialien, sogenannte Open Educational Resources (OER) versprechen hier praktische Erleichterungen – und vielleicht sogar neue Formen der kollegialen Zusammenarbeit.

DefinitionWas ist das?

GeschichteWoher kommt das?

Die Idee von OER ist eng mit der Digitalisierung von Bildungsmaterialien verbunden. Zu Beginn des Jahrtausends wurden erstmals Kursmaterialien aus Hochschulen bereitgestellt, um den Wissenstransfer in Entwicklungsländer zu erleichtern. In Deutschland nahm das Thema erst ab 2012 Fahrt auf. Hier steht weniger der globale Blick im Vordergrund. Als Chancen werden vielmehr die Rechtssicherheit und Qualitätsverbesserung sowie die Potenziale für Zusammenarbeit und Austausch gesehen. Während OER in Deutschland zunächst vor allem für die Bereiche Schule und Hochschule diskutiert wurde, ist das Thema jetzt auch in der Weiterbildung angekommen (vgl. Blees, Deimann, Hirschmann, Muuß-Merholz & Seipel, 2015a).

MerkmaleWie geht das?

In der Weiterbildung spielen Lehr-Lern-Materialien in vielen Formen eine wichtige Rolle, zum Beispiel als Präsentation, Handout, Lehrbuch oder Übungen. Mit der Digitalisierung haben sich nicht nur neue Lernorte und -formen (e-learning etc.) eröffnet. Auch werden häufig digitale Materialien aus eigener Herstellung, von Kolleginnen und Kollegen, Verlagen oder aus dem Internet neu als Materialien für die „Offline-Bildung“ zusammengestellt. 

Was dabei in der Erwachsenenbildung erlaubt ist und was nicht, lässt sich auf der Website kopierregeln.de nachlesen. Und eine Warnung gibt es dort auch dazu: „Verstöße gegen das Urheberrechtsgesetz sind kein Kavaliersdelikt. Sie sind strafbar. Als Sanktion sieht das Gesetz Geld- und sogar Freiheitsstrafen vor.“

Open Educational Resources sind eine Möglichkeit, die durch das Urheberrecht gesetzten Hürden und die damit verbundene Verunsicherung zu überwinden. Im Kern geht es um einen einfachen Kniff: Der Urheber versieht sein Werk bei der Veröffentlichung mit einem Hinweis „Du kannst dieses Material gerne weiterverwenden.“ Aus dem üblichen „alle Recht vorbehalten“ wird ein „manche Rechte vorbehalten“. Damit kann der Nutzer solche Materialien bei sich speichern, in neuen Kontexten nutzen, an andere weitergeben, bearbeiten und neu zusammenstellen, ohne dass der Urheber dadurch seine Rechte verliert. Juristische Grundlage dafür sind freie Lizenzen, wie sie beispielsweise von der gemeinnützigen Organisation Creative Commons bereitgestellt werden. Diese haben den Vorteil, dass sie bereits rechtssicher erprobt sind und für bald eine Milliarde Inhalte im World Wide Web angewendet werden (vgl. Creative Commons, o.J.).

HandlungsfelderWo brauche ich das?

Open Educational Resources mag als Begriff in der Praxis der Weiterbildung noch wenig bekannt sein. Die damit verbundenen Potenziale gehören jedoch zur täglichen Praxis der Akteure. Die möglichen Vorteile im Überblick:

  • Effizienz: Zu den allermeisten Themen gibt es bereits gute Materialien. Wenn diese als OER freigegeben werden, können Praktikerinnen und Praktiker darauf aufbauen und müssen nicht von vorne beginnen.
  • Rechtssicherheit: OER dürfen per Definition weitergegeben werden, zum Beispiel an Teilnehmende oder im Internet.
  • Anpassbarkeit: Viele vorhandene Materialien dürfen bearbeitet werden, so sie für den individuellen Einsatz verändert und angepasst werden können.
  • Zusammenarbeit: Auch in der Weiterbildung ist kollaboratives Arbeiten das Gebot der Stunde. OER können helfen, eine Kultur des Teilens in Teams vor Ort und Communities online zu fördern.
  • Qualität und Vielfalt: Wenn sich die Idee von OER gemeinsam mit einer guten Feedbackkultur ausbreitet, kann mittelfristig eine Erhöhung der Materialqualität erreicht werden. OER erlauben Fehlerkorrekturen, Verbesserungen, Erweiterungen und vielfältige Varianten.
  • ●     Didaktik: Auch auf pädagogischer Ebene sind OER interessant. Im Sinne von projektorientiertem Lernen können auch Lernende selbst zu Produzierenden von Materialien werden, die anschließend weiterverwendet werden können.

 Gleichzeitig sind im Bereich Weiterbildung der Idee von offen geteilten Materialien auch Grenzen gesetzt. Dabei geht es insbesondere um:

  • Vertraulichkeit: Gerade in der betrieblichen Weiterbildung sind Materialien häufig nicht nur sehr individuell, sondern beinhalten auch „Betriebsgeheimnisse“. 
  • Verkauf: In vielen Bereichen ist die Erstellung von Materialien Teil des Arbeitsauftrags an konkurrierende Weiterbildner. Hier kann es kontraproduktiv sein, die eigenen Materialien an die Konkurrenz weiterzugeben.
  • Aufwand: OER erleichtern die Arbeit, wenn man auf die Arbeiten anderer zurückgreifen kann. Gleichzeitig ergibt sich für die korrekte Auszeichnung mit Lizenzen ein Mehraufwand, wenn man eigene Materialien zu OER machen will.
  • Qualität: In vielen Bereichen wird gerne auf die bewährten Materialien von Verlagen zurückgegriffen, weil damit ein gewisses Qualitätsversprechen verbunden wird. Für OER müssen sich entsprechend vertrauenswürdige Institutionen noch etablieren.

Ein kurzes Zwischenfazit: Gerade in Verbindung mit großen Trends der Weiterbildung können OER eine wichtige Rolle spielen. Das Potenzial ist aber in vielen Fällen mit grundlegenden Fragen oder gar kulturellen Veränderungen verbunden.

DiskussionWas wird diskutiert?

Das Thema OER hat auch auf politischer Ebene stark an Bedeutung gewonnen. Im Bundeshaushalt 2015 sind erstmal gesondert Mittel für OER ausgewiesen. Es ist zu erwarten, dass das Thema in der Folge auch in die Breite getragen wird. Hier kommt es darauf an, inwieweit das Konzept in der Praxis Akzeptanz findet und ob sich eine „Kultur des Teilens“ zwischen Weiterbildnerinnen und Weiterbildnern etabliert (vgl. Blees, Deimann, Hirschmann, Muuß-Merholz & Seipel, 2015b und Schöb, Sahlender, Brandt, Fischer & Wintermann, 2015).

Anfang 2016 wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Richtlinie zur Förderung von Offenen Bildungsmaterialien (Open Educational Resources – OERinfo) veröffentlicht. Im diesem Rahmen werden zwei Jahre lang mehr als zwanzig Projekte aus allen Bildungsbereichen gefördert, um das Thema OER bekannt zu machen und Kompetenzen zu vermitteln. Zudem wurde mit der Informationsstelle OER ein zentraler Knotenpunkt für Information, Transfer und Vernetzung zum Thema geschaffen.

Internationale BezügeWie sieht man das woanders?

 

 

Auf internationaler Ebene wird das Thema OER von verschiedenen Akteuren vorangetrieben, darunter die UNESCO, die OECD und die EU-Kommission. Letztere startete 2013 eine Initiative „Die Bildung öffnen: Innovatives Lehren und Lernen für alle mithilfe neuer Technologien und frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien“. In Europa ist besonders Großbritannien hervorzuheben, wo bereits zahlreiche Aktivitäten in der Erwachsenenbildung mit OER verbunden werden. Auch in den USA sind einige groß angelegte OER-Projekte in der (beruflichen) Erwachsenenbildung zu verzeichnen (vgl. Blees, 2015). 

 

CC BY SA 3.0 DE by Jöran Muuß-Merholz für wb-web, Überarbeitung Jan Koschorreck (2018)

Folgende Änderungen am Originaltext wurden im Zuge der Überarbeitung 2018 vorgenommen:

  • Einzelne, Sinn und Aussage erhaltende Kürzungen, Ersetzungen oder Umformulierungen (z.B. Ersetzen von „jedermann“ durch „der Nutzer“; Entfernen von „in Form von sogenannten Jedermann-Lizenzen“, da im selben Satz auf ein konkretes Beispiel Bezug genommen wird; Ersetzen von „ein riesiger Fundus“ durch „ein Füllhorn“) zur Verbesserung des Leseflusses
  • Hinzufügen des Absatzes zur OERinfo-Förderlinie des BMBF im Abschnitt „Was wird diskutiert?“

Service

Verwandte Begriffe

Lehr-Lern-Materialien, Unterlagen, Handouts, Medien, freie Bildungsmaterialien, Open Educational Practices (OEP)

Urheberrecht, freie Lizenzen, Creative Commons Lizenzen

Zur Reflexion

  • „Alle Bildungsmaterialien, deren Erstellung durch öffentliche Mittel (Steuergelder) finanziert wurden, sollten der Öffentlichkeit frei (als OER) zur Verfügung stehen!“ Wie denken Sie über diese politische Forderung? 
  • Was spricht für Sie persönlich dagegen, von Ihnen erstellte Materialien als OER zu veröffentlichen? Bei welchen Inhalten ginge das gar nicht, bei welchen besonders gut?

Literaturliste

  • Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.) (2014). „Was sind Open Educational Resources?“ Und andere häufig gestellte Fragen zu OER. Bonn. (Stand 08.07.2015).
    Die Broschüre bietet solides Hintergrund- und Grundlagenwissen sowie eine einflussreiche Definition zu OER.
  •  Muuß-Merholz, J., Blees, I., Deimann, M., Hirschmann, D. und Seipel, H. (2015). Whitepaper Open Educational Resources (OER) in Weiterbildung / Erwachsenenbildung – Bestandsaufnahme und Potenziale 2015. Gütersloh. (Stand 08.07.2015).

    Das Whitepaper bietet eine Einführung in das Thema OER mit speziellem Fokus auf die Situation in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung. Neben einer Definition und rechtlichen Hinweisen zur Verwendung der verschiedenen CC-Lizenzen stellt es die institutionellen und pädagogischen Rahmenbedingungen des Einsatzes von OER dar.

  • Weizmann, J., Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) (Hrsg.) (2014). Offene Bildungsressourcen (OER) in der Praxis. (2. Auflage). Berlin. (Stand 08.07.2015).
    Die Broschüre bietet praktische Informationen für Multiplikatoren in der schulischen und außerschulischen Bildung.
  • open-educational-resources.de – Informationsstelle OER
    Die Informationsstelle OER ist ein Think-and-Do-Tank zum Thema OER in Deutschland. Die Informationsstelle begleitet die Projekte der BMBF-Förderlinie und leistet Information, Transfer und Vernetzung zum Thema OER. Die Website bietet zum Beispiel umfassende Informationen zu den aktuellen Entwicklungen des Themenfeldes, Literatur- und Veranstaltungsübersichten, eine Podcastreihe und Fortbildungsangebote. Die Informationsstelle steht unter der Federführung des Deutschen Instituts für internationale pädagogische Forschung (DIPF).

Quellen

Blees, I. (2015). Internationale Einordnung: Der Blick ins Ausland. In: Muuß-Merholz, J., Blees, I., Deimann, M., Hirschmann, D. und Seipel, H. (2015). Whitepaper Open Educational Resources (OER) in Weiterbildung / Erwachsenenbildung – Bestandsaufnahme und Potenziale 2015. Gütersloh.  S. 37–43.

Creative Commons (Hrsg.) (o.J.). State of the Commons. (10.07.2015).

Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.) (2013). Was sind Open Educational Resources? Und andere häufig gestellte Fragen zu OER. Bonn. (08.07.2015).

Muuß-Merholz, J., Blees, I., Deimann, M., Hirschmann, D. und Seipel, H. (2015). Whitepaper Open Educational Resources (OER) in Weiterbildung / Erwachsenenbildung – Bestandsaufnahme und Potenziale 2015. Gütersloh. (08.07.2015).

Muuß-Merholz, J., Blees, I., Deimann, M., Hirschmann, D. und Seipel, H. (2015). Ausblick und Erwartungen: Welche Faktoren beeinflussen die zukünftige Entwicklung? In: Muuß-Merholz, J., Blees, I., Deimann, M., Hirschmann, D. und Seipel, H. (2015): Whitepaper Open Educational Resources (OER) in Weiterbildung/Erwachsenenbildung – Bestandsaufnahme und Potenziale. Gütersloh. S. 58–65.

Schöb, S., Sahlender, M., Brandt, P., Fischer, M., Wintermann, O. (2015). Information und Vernetzung – Bedarfe und Erwartungen von Lehrkräften an online-gestützte Fortbildungsangebote. Eine Umfrage der Universität Tübingen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung. (08.07.2015).

 


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