Erfahrungsbericht

Sterben, Tod und Trauer als Themen der Erwachsenenbildung

Lars Kilian: Liebe Frau Brandt, „Endlich! Leben“, so lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe der Evangelischen Erwachsenenbildung Bochum 2021. Hier geht es um die Themen „Sterben, Tod und Trauer“. Wie kommen Sie darauf, eine solche Reihe zu konzipieren und anzubieten?

Doris Brandt: Lieber Herr Kilian, seit März 2020 zählt unsere Stadt täglich die Corona-Toten und hält es für wichtig, uns Bürger*innen zeitnah zu informieren. Seit Kriegsende sind wir nicht mehr so intensiv kollektiv darauf hingewiesen worden, dass wir sterblich sind. Gleichzeitig ist der Tod eines der letzten großen Tabuthemen in unserer Gesellschaft. „Darüber spricht man nicht!“ Das ist für uns als kirchliche Bildungseinrichtung eine gute Gelegenheit, dieses Thema zur Sprache zu bringen. Als ich die Idee zu einer Veranstaltung entwickelte, merkte ich, dass ich nicht allein bin. Die ambulante Hospizarbeit Bochum und einige Kirchengemeinden waren auch in dieser Richtung unterwegs und so habe ich unsere Angebote zu einer Reihe zusammengefasst.

Ich hatte dabei von Anfang an den Wunsch etwas Neues anzubieten, Formate, die nicht alltäglich sind. 

Es ist ja ein gesellschaftlicher Trend zu einer neuen Bestattungs- und auch Trauerkultur erkennbar. Vieles ist möglich geworden, wir können z.B. Bestattungsarten wählen, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. Nur kennen die meisten Menschen sich damit nicht aus. Bis vor kurzem wusste ich z.B. gar nicht, dass es in meiner Nachbarstadt einen Friedwald gibt. Auch wissen wir Laien gar nicht, was in Deutschland erlaubt ist oder ob es eine einheitliche Friedhofsordnung gibt. Darf ich die Asche eines Verstorbenen verstreuen? Darf ich mir selber einen Sarg bauen? Gibt es eigentlich Urnen, die die Umwelt nicht belasten und sich sofort auflösen? Könnte ich statt eines Grabsteins etwas anderes aufstellen? Es gibt so viele Fragen, auch sehr intime. Was für ein Geschenk, wenn ich in einer vertraulichen Runde Antworten erhalte und vielleicht sogar meinen eigenen Wünschen auf die Spur komme.

LK: Mit Ihrem Programm sprechen Sie Themen an, die oft tabuisiert werden und emotional aufgeladen sind. Es geht um sehr persönliches, um intimes, wie Sie sagen. Neben den fachlichen Kompetenzen bedarf es Seitens der Kursleitenden in diesen Kursen vermutlich weiterer Kompetenzen. Welche sind wichtig für derartige Angebote und wie finden Sie Kursleitende, die diese Kompetenzen mitbringen?

DB: In den Kursen, die wir bisher in dieser Reihe durchgeführt haben, waren unsere Kursleitenden alle sehr offene, warmherzige Persönlichkeiten, die sehr schnell eine gute Wohlfühlatmosphäre hergestellt haben. Alle waren positiv und tolerant und haben auch von sich erzählt, auf Augenhöhe. Natürlich sind die unterschiedlichen Rollen klar und doch glaube ich, dass eine betonte „professionelle Distanz“ nicht angebracht ist. Beim Thema Sterblichkeit sitzen wir als Menschen ja alle in einem Boot und das sollte im Umgang miteinander deutlich werden. Da ist eine Fähigkeit zu Menschlichkeit wichtig.

Unserem Schreinermeister, der den Sargbau-Workshop geleitet hat, war es sehr wichtig, nicht nur den handwerklichen Part zu übernehmen. Er hatte seine Gitarre dabei und hat mit der Gruppe gesungen. Zum Schluss schenkte er allen Teilnehmenden Kopfkissen mit gemahlenem Zirbenholz für den Sarg. Sie können sich vielleicht vorstellen, was für eine tolle Stimmung in dem Kurs herrschte. Wir haben viel gelacht und waren manchmal auch zu Tränen gerührt. Und das war ganz selbstverständlich. Übrigens hatten alle Kursleitenden pädagogische Vorerfahrungen, auch der Schreiner und die Bestatterin, die den Sargbau-Workshop im Wesentlichen konzipiert haben.

Bei der Planung der Themenreihe zum Tod war es von Vorteil, dass ich die Kurse nicht schon komplett fertig erdacht hatte und dann die passenden Referent*innen gesucht habe. Viel mehr hatte ich Ideen und habe  davon erzählt. Und so kam eins zum anderen. Die Kursleitenden und ich haben uns gefunden. Dann haben wir die Angebote zusammen entwickelt. Mitstreiter*innen für eine tolle Idee zu finden und dann zusammen ein eigenes Angebot zu erfinden, halte ich für wesentlich besser als einfach nur etwas zu kopieren, das in einer anderen Stadt funktioniert hat. Es macht sehr viel Spaß und setzt Energie frei. Es hat mich selbst als Person auch weitergebracht, weil ich sehr viel darüber nachgedacht habe, was mich an dem Thema Sterblichkeit, Tod, Abschiednehmen besonders interessiert.

Es ist auch gut, vernetzt zu sein, in der eigenen Stadt unterschiedliche Berufsgruppen zu kennen, sich dabei nicht auf pädagogische Berufe zu beschränken. Wenn man einmal anfängt, sich mit dem Thema Tod, Trauer zu befassen, lernt man immer mehr Menschen kennen, die das auch tun - und erlebt Überraschungen.

LK: Beim Blick auf Ihre Veranstaltungsreihe fiel mir der für mich zum Thema bezogene klare aber auch gefühlt leichte Ton in den Beschreibungen auf, die auf das erste Lesen vielleicht gar nicht so angebracht scheinen. Schon der Titel "Endlich! Leben" las sich für mich gegensätzlich und doppeldeutig. Aber auch Titel wie "Ein Möbelstück für die letzte Reise" für den Sargbau-Workshop, "Endlich. Und beständig" für den Urnenbau-Workshop oder der "Letzte Hilfe-Kurs", dem kleinen 1x1 der Sterbebegleitung fand ich bemerkenswert - und mich ansprechend. Worauf ist aus Ihrer Erfahrung bei der Ankündigung derartiger Angebote und der Ansprache potentieller Teilnehmender in der Erwachsenenbildung zu achten? 

DB: Ich bin keine Formulierungsexpertin. Da gibt es sicher andere Fachleute. Intuitiv schreibe ich Überschriften, die mich selbst ansprechen würden und die das Anliegen der Kurse abbilden. Offensichtlich ist die Botschaft bei Ihnen angekommen, Herr Kilian. Das freut mich wirklich. Sicherlich nehme ich das Thema Tod nicht leicht. Doch, wenn sich nach dem Besuch unserer Veranstaltungen Klärung und vielleicht Erleichterung einstellt, wäre viel erreicht. Wir müssen ja keine pathetische oder schwermütige Sprache wählen. Unsere Sterblichkeit ist selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens und meiner Meinung nach sollten wir auch so darüber sprechen – oder es wieder lernen. Der „Letzte Hilfe-Kurs“ wurde von Dr. Georg Bollig erfunden und auch so benannt. Und ich habe von einer Bestatterin gelernt, dass Särge „Erdmöbel“ sind. Diesen Gedanken finde ich sehr schön. Denn mit Möbeln wohnen wir. Im übertragenden Sinn wohnen wir später in unserem Sarg; wir werden nicht einfach wie Gegenstände verpackt. Dazu passt auch die „Ruhestätte“.

Wenn Sie sagen „ENDLICH! LEBEN“ liest sich für Sie gegensätzlich, muss ich sagen, ja ist es denn nicht auch so, das Leben? Das Leben ist begrenzt und wird dadurch so wertvoll. Viele haben Angst vor dem Tod, aber ich kenne niemanden, der ewig leben möchte. Die Doppeldeutigkeit ist natürlich gewollt. Wenn man Vorsorge für die letzten Dinge getroffen hat, belasten sie nicht mehr so sehr die Gegenwart. Es setzt Energie frei. Endlich bin ich eine Sorge los, ich kann leben! Und wenn ich meinen Willen für mein Ende durchgesetzt habe, habe ich auch in anderen Dingen meines Lebens mehr Kraft, selbst zu bestimmen. Ich habe erfahren, ich kann das.

LK: Und wen sprechen Sie mit Ihren Angeboten an? Wer kommt in die Veranstaltungen? Gibt es verbindende Motive, die die Teilnehmenden kennzeichnen?

DB: Die Teilnehmenden sind zwischen Ende 40 und Mitte 60 Jahre alt. Für Bestattungsorte wie den „Garten der Erinnerung“ interessieren sich auch Menschen über 80 Jahre. Was ich feststellen konnte, ist, dass sich alle Teilnehmenden schon im Vorfeld gut informiert hatten und mit sehr gezielten Fragen kamen. Die Nachfrage an dem „Letzte Hilfe-Kurs“ ist sehr hoch (in Kooperation mit der Ambulanten Hospizarbeit). Dort melden sich Interessierte, aber auch Pflegekräfte an.

Auch wenn alle Kurse in der Reihe „ENDLICH! LEBEN“ mit dem Tod zu tun haben, sind sie doch sehr verschieden und somit auch die Motive der Teilnehmenden, einen Kurs zu besuchen. Die Vorstellung, dass sich allein lebende Menschen ohne Angehörige und einem hohen Lebensalter besonders für diese Veranstaltungen interessieren, stimmt eindeutig nicht. Mein Eindruck ist, dass die Corona-Pandemie und die Erfahrungen, die wir alle gerade zwangsläufig machen, den Wunsch nach solchen Angeboten erhöht.

LK: Liebe Frau Brandt, danke für Ihre Zeit und die Einblicke, die Sie uns gewährt haben.

DB: Lieber Herr Kilian, bitte blieben Sie gesund.

CC BY SA 3.0 DE by Lars Kilian (Dezember 2021)


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