Blog

Es gibt keinen störungsfreien Unterricht

Nicht zu vergessen sind die Situationen, in denen ich störe. Ich komme zu spät, Kopien fehlen, ich erkläre zu schnell und zu viel und wundere mich über fragende Gesichter.

Wir führen Gespräche im Plenum. Darf man „Psst“ oder „Sch“ sagen, wenn Nebengespräche stören? Ich bin der Ansicht, dass ich mit den Lauten für Ruhe sorge, aber in arabischen Ländern ruft man mit ähnlichen Geräuschen Tiere herbei. Entsetzen und Entrüstung kann ich kaum mit meiner Entschuldigung bremsen, dass ich doch nicht meine, sie seien Hunde und Katzen.

Doch nicht nur ich weiß, dass gemeinsames Lernen Toleranz, Gelassenheit, Mitmenschlichkeit und Humor erfordert. Die Teilnehmer wissen und praktizieren es gleichermaßen. Sie sind in gleicher Weise Mitgestalter des Unterrichtsgeschehens.

Es klopft an der Tür. Sie geht auf und ein neuer Teilnehmer kommt in die Gruppe. Er braucht einen Platz, Stift und Papier und ist deutlich verunsichert. Die Teilnehmer bewältigen die Störung als kleine spannende Integrationsaufgabe.

Wer sich weswegen gestört fühlt, das ist subjektiv. So ertappe ich mich auch dabei, oft feste Vorstellungen zu haben, was stört oder eben nicht.

So sitze ich im Startloch einer neuen Arbeitsphase. Auf einmal werden mitgebrachte Süßigkeiten verteilt und genüsslich verzehrt. Denn die Enkelin wurde getauft, die Tochter ist nun schon 15 Jahre tot, der Sohn hat Geburtstag oder die Tochter ein besonders gutes Zeugnis. Papier wird zerknüllt, eingesammelt und als Kursleiterin bekomme ich liebevoll aufgetragen, die Reste allein zu essen. Letztlich höre ich den Ruf: „Seht, was in meinem Leben passiert. Habt Teil daran!“ Ich höre zu, zeige Anteilnahme und einige mich mit den Teilnehmern auf einen passenderen Moment.

 Was man als Lehrende wissen muss!

Fachliches Wissen ist unabdingbar, um guten Unterricht vorzubereiten. Aber der Umgang mit dem, was die Teilnehmer oder mich stört, gehört zu den alltäglichen Herausforderungen, um Unterricht möglich zu machen. Erfahrungen und Ursachenforschung erweitern die Kompetenz, mit Störungen umzugehen oder sie sogar zu vermeiden. Sehr wichtig ist es jedoch, sich aufeinander einzulassen, echtes Interesse zu zeigen und Beziehungsarbeit zu leisten. Störungen haben Vorrang, so dass es für uns als Gruppe notwendig ist, uns auf Regeln zu einigen und sie einzuhalten. Mit der Zeit reicht jedoch ein Blickkontakt und Teilnehmer ermahnen sich gegenseitig. Verhaltensweisen spielen sich ein und Rituale stabilisieren Unterrichtsabläufe. Sie verringern, aber verhindern nicht Störungen. Sie ermutigen mich auch, Lernende zu sein, meinen Unterricht zu hinterfragen und Neues auszuprobieren.

Schließlich merken die Teilnehmer, dass ich meine Rolle als Kursleiterin kenne und sie gerne wahrnehme. Sie danken es mir und wir können zusammen arbeiten.

CC BY-SA 3.0 DE by Melanie Rudolph für wb-web