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Ermöglichungsdidaktik – was ist das eigentlich?
Rolf Arnold hatte sich das
Symposium zum 25jährigen Lehrstuhlbestehen „geschenkt“ und viele Freunde und Weggefährten
eingeladen. Die Keynote „wachsenlassen ermöglichen“ am Donnerstag von John Erpenbeck war
eine wunderbare Einstimmung in das Thema: Wie Schimpansen sollten wir unser
Wissen erwerben, durch Instruktion, Zusehen und Nachahmen, war sein Vorschlag. Er
demonstrierte das Lernen der Affen durch die Einspielung eines kurzen Videos
über Jane Goodall und ihre Forschung an den Schimpansen. Erpenbeck meinte, die
Schimpansen praktizierten das Ermöglichungslernen bereits durch ein
gegenseitiges „über die Schulter schauen“, was als Metapher auch für
Ermöglichungslernen passend wäre. Die Verschränkung von Ermöglichung und
Instruktion würde ihrerseits zur Entwicklung und Anwendung von Kompetenzen
führen. Kompetenzen, so John Erpenbeck, könnten nur im Modus der Ermöglichung
erworben werden.
Erpenbeck beklagte zwei existierende Grundillusionen:
- Aufgenommenes
Informationswissen führt zu kompetentem Handeln
- Wissensweitergabe (nicht einmal –vermittlung) statt Kompetenzentwicklung ist notwendig und hinreichend
Einen historischen Rückblick gab es von ihm auch: Die Ermöglichungsdidaktik hätte nämlich schon eine lange Tradition mit Rousseau und seinem „Emile“ als reinstem Beispiel der Ermöglichungsdidaktik: Schon dort arrangierte der Erzieher lediglich die Lernsituationen, der Zögling realisierte sie durch Handeln.
Wie das geht? Die Ermöglichungsdidaktik gibt da ganz praktische Hinweise, so Rolf Arnold. Lehrende sind nur Begleiter und die Ermöglichungsdidaktik eher ein situatives Konzept. In der Umsetzung sollten Lehrende in der Fähigkeit gestärkt werden, angemessen situativ zu handeln, zum Beispiel Widerstände von Teilnehmenden nicht konfrontativ anzugehen. Den Lernenden sollte man hingegen ermöglichen, das zu lernen, was sie lernen könnten. Und sie könnten nur selbst lernen. Das hört sich plausibel an, aber wenn man die Praxis betrachtet, wird eben oft die Idee verfolgt, dass man den Lernenden etwas vermitteln könnte – was laut Arnold gar nicht geht.
In einer Diskussion wurde von den Teilnehmenden nach Gründen gesucht, warum die Ermöglichungsdidaktik von Wissenschaft und Praxis deutlich kritischer betrachtet wurde als beispielsweise das Hamburger oder Berliner Modell. Ängste der Lehrenden oder sogar die Furcht vor dem Verlust von Kontrolle oder Macht wurden genannt. Die „alten“ Modelle seien, so die These eines Teilnehmers, deutlich lehrerzentrierter als die Ermöglichungsdidaktik. Die Kontrolle über die Schülerinnen und Schüler bzw. die Lernenden wäre dort größer. Und Institutionen wollten sicher keine unkontrollierbaren Teilnehmenden. Eine Aussage, die man überdenken sollte, oder? Vielleicht ergibt sich im Forum von wb-web eine Diskussion dazu.
Praktische Anwendung der Ermöglichungsdidaktik
Neben theoretischen Grundlagen, Herleitungen und Weiterführungen der Ermöglichungsdidaktik wurden auch Anwendungen in der Praxis vorgestellt:
- Harald Geißler demonstrierte, was Ermöglichungsdidaktik mit Coaching zu tun hat. In der anschließenden Diskussion wurde festgestellt, dass die systemische Beratung den Pädagogen um einiges voraus ist, was die praktische Anwendung der Ermöglichungsdidaktik angeht.
- Susanne Czachs und Alice Fleischer berichteten über die Arbeit des WiFi (Wirtschaftsförderungsinstituts der Wirtschaftskammern Österreich). Ihre Train-the-Trainer-Ausbildung beruht auf dem Konzept der Ermöglichungsdidaktik. Sie gaben Tipps und Hinweise dazu, wie die Umsetzung in großen Bildungseinrichtungen möglich ist. Über ihr Modell „LENA“ berichtet wb-web Ende 2015.
- Ortfried Schäffter referierte über ein Projekt, in dem aus Adressaten Zielgruppen gemacht werden sollen. Eine seiner Thesen war, dass der ermittelte Bildungsbedarf einer Zielgruppe oft nicht deren Bildungsbedürfnis entspricht. So würden Angebote an der Zielgruppe vorbei entwickelt. Ein Beispiel seien Angebote für Frauen aus muslimischen Ländern: Hier würden Strick- oder Klöppelkurse angeboten, um den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich ohne Kontrolle ihrer Männer auszutauschen. Leider, so Schäffter, kämen zu diesen Veranstaltungen in den seltensten Fällen türkische Frauen, sondern Sozialarbeiter, die wissen wollen, wie man solche Kurse durchführt. Daher, so meinte er, müsse man Angebote mit den Repräsentanten der Adressaten gemeinsam planen. Ermöglichungsdidaktik dürfe also nicht erst in der praktischen Umsetzung einsetzen, sondern bereits im Planungsprozess.
Wir danken Lars Kilian für die freundliche Bereitstellung der Fotos des Symposiums.