Marina Torgovnik Blog

Der Umgang mit emotional belastenden Themen im E-Learning

Emotion vs. Kognition?

Lange Zeit wurden kognitive und emotionale Prozesse als voneinander unabhängige Aspekte menschlicher Erfahrung betrachtet. Inzwischen wurde anerkannt, dass diese im Zusammenhang stehen und das Interesse an diesem Zusammenspiel steigt. Dennoch wurde dieses bisher unzureichend erforscht und in der Didaktik berücksichtigt. Dabei gibt es Weiterbildungen, in denen emotional potentiell belastende Inhalte vermittelt werden. Das betrifft unter anderem Weiterbildungen des Sozialwesens, wenn es etwa um Kindeswohlgefährdung oder Trauma geht. Aber wie kann die emotionale Beanspruchung von Lernenden im digitalen Raum berücksichtigt werden? Und wie können Lernende darin unterstützt werden, mit potentiell emotional belastenden Lerninhalten umzugehen, insbesondere wenn es sich um Online-Kurse handelt? Mit solchen Fragen setzt sich das Projekt „Smarte Lernwelten im Sozialwesen – innovative digitale Lernräume für die hybride Vermittlung sensibler Weiterbildungsthemen“ (LiSiL) auseinander.

Das Zusammenspiel von Emotionen und Lernen

Wenn in der Forschung Emotionen im Zusammenhang mit Lernen thematisiert werden, dann geht es meistens um die sogenannten „leistungsbezogenen“ Emotionen. 

Das Zusammenspiel von Emotionen und Lernen ist aber natürlich komplexer: auch negative Emotionen können aktivierend wirken und die Lernmotivation erhöhen, wenn dadurch Misserfolge vermieden werden sollen (vgl. ebd.). So strenge ich mich z. B. beim Lernen mehr an, wenn ich Angst habe, eine Prüfung nicht zu bestehen.

Umgang mit Emotionen in Weiterbildungen des Sozialwesens

Themenbezogene Emotionen sind in Aus- und Weiterbildungen im Sozialwesen besonders relevant. Hier müssen sich Lernende mit emotional aufwühlenden und potentiell verstörenden Inhalten auseinandersetzen (z. B. Kindeswohlgefährdung, Trauma und Gewalt). Das kann Emotionen wie Wut, Stress oder Angst hervorrufen. Auch die Konfrontation mit eigenen Vorurteilen oder neuen Perspektiven kann zu negativen Emotionen bei Lernenden führen (vgl. Zembylas et al., 2008). Zugleich ist die Auseinandersetzung mit negativen Gefühlen spätestens in der Berufspraxis des Sozialwesens unumgänglich, wenn man etwa mit einer potentiellen Kindeswohlgefährdung oder dem aggressiven Verhalten von Adressat:innen konfrontiert ist.

Ersichtlich wird das bei Betrachtung einer Statistik der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Burn-out-Erkrankung von AOK-Mitgliedern: zu den am häufigsten betroffenen Berufsfeldern gehören solche mit hoher sozialer Interaktion wie beispielweise in der Sozial- und Sonderpädagogik oder in der Pflege (Meyer, Wing & Schenkel, 2022). Strategien zum Umgang mit emotionalen Belastungen zu vermitteln, wird daher an mehreren Stellen bereits in der Ausbildung bzw. im Studium empfohlen (vgl. Wendt, Tuckey & Prosser, 2011; Bogo, et al., 2016; Collins 2008). Zudem ist ein professioneller Umgang mit den eigenen Emotionen nicht nur für die eigene Gesundheit und das eigene Wohlergehen wichtig, sondern ebenfalls für die Berufspraxis (vgl. z. B. Morrison, 2007). Um mit den Emotionen eines verzweifelten oder aggressiven Gegenübers umgehen zu können, müssen zunächst die eigenen Emotionen reflektiert und reguliert werden können.

Wahrnehmung und Interaktion im digitalen Raum

Mit der zunehmenden Digitalisierung von Schulungen ergibt sich im Sozialwesen die besondere Herausforderung, emotional aufwühlende Themen digital zu vermitteln. In Online-Veranstaltungen ist es augenscheinlich schwer, auf Emotionen der Lernenden auf gleiche Weise zu reagieren, wie in einer Präsenzschulung. Daher stellt sich die Frage, ob analog zum Präsenzunterricht die emotionalen Zustände der Lernenden im digitalen Raum erkannt und berücksichtigt werden können.

Wie können digital themenbezogene Emotionen berücksichtigt werden?

Zusätzlich zu den genannten Hürden in der Interaktion und Wahrnehmung in Online-Kursen stellt sich die Frage, ob es denn überhaupt möglich ist, empathisch auf digitalem Wege auf emotionale Belastungen von Lernenden zu reagieren, wenn solche erkannt werden.

Einerseits gibt es Hinweise darauf, dass es möglich ist, auch online emotionale Themen zu bearbeiten. Es kann für manche Personen sogar einfacher sein, sich bei digitalen Angeboten mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen. So erzählt eine Teilnehmerin einer Weiterbildung zum Thema „Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch“ in der Studie von König et al. (2015), wie sie in einem Präsenzkurs sehr viel verschlossener mit ihren Emotionen bezüglich der Thematik gewesen wäre. Im Online-Kurs konnte sie sich besser mit ihren Empfindungen auseinandersetzen und profitierte sehr von dem Angebot (vgl. ebd.). Auch Lehr et al. (2014) weisen in ihrer Analyse von Stressbewältigungs-Trainings darauf hin, dass einerseits Präsenztrainings Möglichkeiten bieten, sich gegenseitig zu unterstützen und Perspektiven auszutauschen. Für manche Personen hingegen kann es ein Hemmnis darstellen, sich vor einer Gruppe zu öffnen. Durch digitale Angebote können also Personen erreicht werden, die nicht dazu bereit sind, vor einer Gruppe über ihre Emotionen zu sprechen. Andererseits können digitale Angebote problematisch werden, wenn die betreffende Person nicht die notwendigen Ressourcen hat, um sich alleine mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen und benötigte Hilfestellungen in akuten Belastungssituationen aufgrund eines asynchronen Settings erst zeitversetzt zur Verfügung stehen. Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten und Designvorschläge für emotionssensitive Lernumgebungen, die themeninduzierte negative Emotionen v. a. in asynchronen Settings berücksichtigen, existieren bisher nicht.

 Empfehlungen für eine empathische Online-Lehre

 

CC BY-SA 3.0 DE by Marina Torgovnik für wb-web (2024)

Marina Torgovnik ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum KMI (Künstlich Menschlich Intelligent) am Institut für Angewandte Informatik e. V. in Leipzig. Ihr Studium der Erziehungswissenschaften (M. A.) und ihre mehrjährige Erfahrung im Bereich der Eingliederungshilfe als Sozialpädagogin bilden ihre fachlichen Grundlagen. Im Projekt LiSiL liegt ihr Forschungsschwerpunkt auf digitalem Lernen und Emotionen in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung.


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