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"Arbeit ist mehr als ein Finger, der auf eine Taste drückt"

Ihre Ausführungen signalisieren eine gewisse Gelassenheit?

Dr. Susanne Umbach: Die in Teilen zu beobachtende Aufregung in Bezug auf die Digitalisierung haben wir in den von uns besuchten Unternehmen nur an wenigen Stellen gefunden. Ausgenommen Unternehmen, die sehr vielgestaltig aufgestellt sind; die stehen viel stärker unter Druck und drehen an ganz vielen Stellschrauben gleichzeitig. In der Folge müssen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer häufiger mit neuen Programmen, Arbeitsoberflächen und –abläufen vertraut machen. Für manche ist das eine Herausforderung – aber meistens arrangiert man sich damit und findet kleine Auswege im kollegialen Miteinander. Frustrierend wird es, wenn es zu Vereinzelung kommt. In der Logistik haben früher zum Beispiel Teams gemeinsam draußen Containernummern verglichen und kontrolliert. Heute wird das von einer Person am Bildschirm gemacht. Die Folge: Bewegung wird eingeschränkt, das Miteinander von Kollegen wird weniger. Diese Trennung vom Arbeitsgegenstand ist übrigens eine typische Folge der Digitalisierung. Das merken auch die Unternehmensführungen und steuern zum Teil dagegen.

Wohin entwickeln sich die Kompetenzen im Zuge der Digitalisierung?

Dr. Susanne Umbach: Digitalisierung darf nicht als etwas Fertiges gesehen werden, es kann und muss von uns gestaltet werden. Die Technik gibt nicht vor, wie sich etwas entwickelt – der Mensch spielt eine wichtige Rolle und auch die Organisation. Ein gutes Beispiel für Kompetenzentwicklung liefert der Einzelhandel, in dem Arbeitstätigkeiten tendenziell komplexer werden; denken sie nur an die Automaten in Drogeriemärkten, an denen Kunden Fotos ausdrucken oder ganze Fotobücher gestalten können. Die Angestellten mussten lernen, wie man gleichzeitig mit der neuen Technik und den Kunden umgeht. Wenn mehrere Kunden am Fotodrucker Schlange stehen, ein anderer um Auskunft bittet und man selbst eigentlich bei einer komplett anderen Tätigkeit war, benötigt man andere Formen der Selbstkontrolle, neue technische und kommunikative Strategien und muss seine Tätigkeiten priorisieren können.

Identifikation mit der Arbeit wichtig 

Auch in der Logistik gibt es – etwa bei der Beladung automatisch fahrender Gondeln – Situationen, in denen Erfahrung, eine gewisse Gestaltungsfreiheit und gegenseitige Unterstützung zu einem reibungsloseren Arbeitsablauf beitragen; so können beispielweise Staus schnell behoben oder vermieden werden. Aufmerksamkeit, die räumlich visuelle Wahrnehmung und Eigeninitiative sind nach wie vor wichtig. Insgesamt werden in der Logistik die Aufgaben in der Tendenz aber monotoner, Kompetenzentwicklung findet also eher weniger statt. Die Beschäftigten schaffen sich dann kleine Inseln der Gemeinsamkeit, nutzen formelle oder informelle Begegnungen zum Austausch oder legen besonderen Wert auf einen ordentlichen Arbeitsplatz. Alles Dinge, die dazu beitragen, dass sie sich mit ihrer Arbeit wenigstens ein bisschen identifizieren können und mehr sind als ein Finger, der auf eine Taste drückt.

Was könnten Leitlinien für eine zukunftsorientierte betriebliche Weiterbildung sein?

Dr. Susanne Umbach:  Zurzeit wird ja viel diskutiert, welche neuen Anforderungen die digitale Technik an Menschen stellt. Wir plädieren für eine partizipative Kompetenzanalyse, um herauszuarbeiten, was Mitarbeiter brauchen, um sich in der Arbeit entwickeln zu können. In  Befragungen können die Beschäftigten Auskunft geben über die Folgen technischer Entwicklungen für ihre konkrete Arbeitstätigkeit. So können Arbeitsprozesse transparent gemacht und die Möglichkeiten und Risiken, die sich verändernde Arbeitsplätze den Beschäftigten bieten, identifiziert werden. Darüber hinaus kann sich in so einer Beteiligung der Beschäftigten auch zeigen, wie der größere Arbeitskontext sich auf die Arbeitstätigkeit selbst auswirkt. Denn mit neuen Arbeitsabläufen ändern sich oft auch die organisationalen Strukturen. Weiterbildung und Organisationsentwicklung können und müssen also zusammen gedacht werden. Am besten über eine deutliche Personalorientierung, die die bisher dominante Technikorientierung ergänzt.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Umbach!

Dieser Text erschien zuerst im Bildungsserver Blog.

  CC BY  4.0  by Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver

Informationen zum Projekt

Die Studie „Kompetenz 4.0“, wird von der Universität Hamburg  in Kooperation mit der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung der PH Zürich (Prof. Dr. Erik Haberzeth) durchgeführt. Sie untersucht den Zusammenhang von Digitalisierung, Wandel der Arbeit, Kompetenzen der Beschäftigten und Weiterbildung.  Dabei steht das betriebliche Lernen und Weiterbildung im Fokus.

Weitere Informationen finden Sie hier.


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